Brødre (Brothers - zwischen Brüdern) von Susanne Bier. Dänemark, 2004. Connie Nielsen, Ulrich Thomsen, Nikolaj Lie Kaas, Bent Mejding, Solbjørg Højtfeldt, Sarah Juel Werner, Rebecca Løgstrup

   Dies ist einer von den Filmen, die man erst mal gehörig verdauen muß, die mich zumindest für eine gewisse Zeit ein wenig sprachlos machen. Ein in jeder Hinsicht gewaltiges, ergreifendes menschliches Drama (hört sich blöd an, ich weiß, ist aber ganz und gar nicht so), das auf einer hauchdünnen Klippe balanciert und, es handelt sich ja schließlich um ein dänisches Produkt, diesen Balanceakt mit großartiger Bravour absolviert. In den allermeisten Fällen erstickt so was unter maßlosem Kitsch, unerträglichem Gefühlsballast oder monströsen Klischees, und nur selten, allzu selten natürlich, kommt dabei solch ein Film heraus, der einem zwar die Schwere des Themas jederzeit bewußt macht, der aber uns Zuschauer niemals einfach nur erdrückt, was ich persönlich zumindest immer als recht unangenehm empfinde.

   Die Brüder, von denen hier die Rede ist, sind Michael und Jannik. Jannik kommt gerade aus dem Knast und Michael wird als Soldat nach Afghanistan gehen. Jannik ist der klassische Loser, der deshalb von seinem Vater mit Verachtung behandelt wird, Michael der sympathische Erfolgstyp mit toller Familie und geordnetem Leben. Michael wird dann während eines Einsatzes im Hubschrauber abgeschossen und für tot erklärt, was Frau und Kinder fassungslos und verzweifelt zurückläßt. Jannik kümmert sich nach einigen Annäherungsschwierigkeiten um die drei, er und Sarah nähern sich langsam an. Michael hat den Absturz überlebt, doch er wird Gefangener der Aufständischen. In deren Lager trifft er auf einen seit längerem vermißten Landsmann, der bereits kurz vor dem psychischen Zusammenbruch steht. Michael wird vor eine fürchterliche Wahl gestellt: Um überleben zu dürfen, muß er den Landsmann erschlagen, was er schließlich auch tut. Er wird befreit, kann nach Hause zurückkehren, völlig traumatisiert und belastet von einem Schuldgefühl, das er mit niemandem teilen will. Sein Versuch, als ganz normaler Familienvater weiter zu leben scheitert, endet in einer Katastrophe. Er steigert sich in Eifersucht, Wut und Gewalt, landet im Gefängnis und könnte mit Sarahs Hilfe einen Neuanfang versuchen, wenn er bereit ist, über seine Erlebnisse in Afghanistan zu sprechen.

 

   Es geht hier durchaus um sehr grundsätzliche Fragen des menschlichen Zusammenlebens, in Familien, in Paaren, für jeden einzelnen, es geht um Lebensentwürfe, um Ziele und Pläne, um Erwartungen, um Rollen, es geht ums tägliche Miteinander, um Liebe natürlich und um die Bedingungen dafür. Der Krieg und vor allem das, was er aus Menschen macht oder besser gesagt aus dem, was noch von ihnen geblieben ist, fungiert als er eine Schicksalsschlag, der die gesamte delikate Balance ins Wanken bringt und darüber hinaus klar macht, wie empfindlich diese Balance wirklich ist. Michael wir auf schlimmste Weise deformiert, entmenschlicht und erniedrigt und er kann oder will nicht erzählen, will sich nicht öffnen, seine Schuld nicht eingestehen, weder Sarah noch der Frau des getöteten Landsmannes noch seinem Vorgesetzten gegenüber. Die furchtbaren Erlebnisse werfen ihn und die gesamte Familie vollkommen aus der Bahn, er, eigentlich ein liebevoller Familienvater, tritt nun als tyrannischer, eifersüchtiger, gewalttätiger Choleriker auf, der sich natürlich von allen Menschen entfremdet, was dann bei ihm nur noch mehr Reaktionen hilfloser Gewalt hervorruft. All dies hat man schon häufiger gesehen und die Entwicklung des Dramas hat eine bittere Zwangsläufigkeit, und wer dem Film Übles will, mag auch von schematischer, vorhersehbarer Konstruktion reden, doch finde ich die Darstellung hier so eindrucksvoll und erschütternd, daß sie sich einfach über jede Kritik erhebt. Der scheinbar so beliebige, scheinbar sprunghafte und jedenfalls mittlerweile gern und viel gescholtene Dogma-Stil bewirkt für mich immer noch Wunder, weil er so nahe an den Menschen ist, kompromißlos ihr Miteinander einfängt, ihre Emotionen, Konflikten nicht aus dem Wege geht und sie nicht verharmlost, andererseits aber auch keine einseitigen Verurteilungen zuläßt, was den Film im Grunde noch sperriger macht, denn es ist ja doch viel leichter, wenn man schnell eine Position in dem Ganzen findet und sich bequem auf eine Seite schlagen kann. Susanne Bier hat schon in „Open hearts“ ihre Vorliebe für sehr dramatische Geschichten gezeigt und schon in diesem ersten Film das hohe Risiko auf sich genommen, in maßlosem Overkill zu enden, doch da wie hier ist es ihr bravourös gelungen, daraus mitreißendes, total bewegendes Kino zu machen, weil sie einerseits total zu diesen recht krassen Geschichten steht und vor allem Schauspieler mit im Boot hat, die einfach nur grandios sind, und selbst manchmal allzu schwer lastende Schicksalswendungen in pure Menschlichkeit umwandeln. Ohne diese Schauspieler und die Art, wie sie in den Bildern eingesetzt werden, wäre solch ein Film eine Katastrophe ohne Glaubwürdigkeit und Substanz, so aber habe ich jedenfalls zwei Stunden lang fasziniert und völlig beeindruckt auf die Leinwand gestarrt und möchte abschließend auch noch sagen, daß ich auf die Meinung der Erbsenzähler vom Katholischen Filmdienst mit Verlaub einen Scheiß gebe. (14.4.)