Charlie and the chocolate factory (Charlie und die Schokoladenfabrik) von Tim Burton. USA/England, 2005. Johnny Depp, Freddie Highmore, David Kelly, Noah Taylor, Helena Bonham Carter, James Fox, Christopher Lee, Missi Pyle
In seinen schwächeren Momenten ist Tim Burton sowas wie ein wild gewordener Struwwelpeter, dem ein paar Sicherungen durchgebrannt sind und der zwar ziemlich schrägen Nonsense produziert, aber keinen wirklich schönen oder witzigen. In seinen besseren Momenten ist er aber Hollywoods genialstes großes Kind und sein Nonsense ist einfach hinreißend und definitiv ein idealer gemeinsamer Nenner für Groß und Klein.
Solch ein Film ist dies hier. Ein skurriles, wundersames Märchen von Roald Dahl, und deshalb auch voller Untiefen, herrlicher kleiner Bosheiten und makaberer Streiche, mal eine knallbunte, von Ideen sprühende Wundertüte, die unsere lieben Sprößlinge staunen läßt und zwischendrin und ganz nebenher auch die Geschichte eines einsamen Sonderlings, der eigentlich Kinder verabscheut und dennoch sein ganzes Genie darin investiert, sie glücklich zu machen. Johnny Depp als Willy Wonka, dem fabelhaften Erfinder und Besitzer der weltbesten Schokoladenfabrik, der eines Tages die Pforten dicht macht, als ihm Industriespione die besten Geheimnisse gestohlen und die Konkurrenz damit gefüttert haben, und der ebenso unerwartet eines weiteren Tages fünf Freikarten für einen ganzen Tag in seiner Fabrik in fünf Schokoladentafeln weltweit versteckt. Die Gewinner sind: Ein fetter, unentwegt mampfender deutscher Bursch, ein monströs verwöhntes englisches Oberschichtmädchen, eine amerikanische Barbiepuppe, die unentwegt Kaugummi schmatzt und auch eine Barbiepuppe zur Mutter hat und schließlich ein ebenfalls amerikanischer TV-Junkie, der zu seinen hilflosen Eltern in einem Jargon spricht, den sie nicht mehr verstehen. Und: Charlie, ein ganz normaler Junge aus höchst ärmlichen Verhältnisse, just aus der Stadt, in der Wonka seine Märchenfabrik hat. Eines Tages trifft sich also diese Gruppe vor dem schmiedeeisernen Wonka-Tor, und vier von fünf Kindern mit Anhang scharren gierig mit den Hufen, denn Wonka hat noch einen fantastischen Hauptgewinn ausgelobt, nur weiß noch niemand, was es ist und wer ihn wie gewinnen kann. Los geht dann die Reise durch Wonkas Schokoladenuniversum, und hier besonders läßt Tim Burton seiner einzigartigen visuellen Phantasie freien Lauf und präsentiert uns ein Schlaraffenland voller Verführungen und zugleich voller fieser kleiner Widerhaken, und die eben sind es, die den Film auch für Erwachsene reizvoll und komisch machen. Wonkas Spielchen lassen die Deformationen der Kinder voll zutage treten: Freßsucht, Egoismus, Gier, kranken Ehrgeiz, ewiges Konkurrenzdenken, Verrohung und totalen Realitätsverlust. Alles natürlich genüßlich und satirisch überzogen, aber im Kern randvoll mit diebsicher Schadenfreude, so wie wir sie auf Willy Wonkas maskenhaftem Puppengesicht sehen, wenn einer der kleinen Tyrannen mal wieder zu weit geht, um dann fast zu Schokolade verwurstet oder im Müllschlucker zerhäckselt oder zur riesigen Blaubeere verwandelt oder aber als Miniaturausgabe für ewig in der TV-Welt landen werden. Wonka zieht dazu nur süffisant die Augenbrauen hoch oder rümpft indigniert die Nase, wenn die raffgierigen Gören seinen Einfallsreichtum als Spinnerei abtun, wie sowieso (und auch da scheint Roald Dahl deutlich durch) der Film auf liebenswürdige Weise einen eher traditionellen, fast moralistischen Standpunkt einnimmt, ohne allerdings auch dies sonderlich ernst zu nehmen. Immerhin aber erhalten wir auch bruchstückhafte Einblicke in Willys traurige und vor allen genußarme Kindheit als Sohn und Versuchskaninchen eines besessenen Zahnarztes und Zahnklammertechnokraten, die als Auslöser für seine Kinder- und Familienphobie gelten darf. Erst als er Charlies Sippe kennenlernt, die vielköpfig und unter erbarmungswürdigsten Bedingungen in einer zugigen Bretterbude haust (vier Senioren in einem Bett – da müßten die Pflegekassen doch auf ganz neue Ideen kommen!), und dennoch menschliche Wärme und Liebe herrschen, kann er sich nach einiger Zeit umbesinnen, mit seinem Vater (dem grimmigen Zauberer Saruman) Frieden schließen und sich einfach selbst mal dieser Geborgenheit anheim geben. Langsam aber sicher schält dann auch Johnny Depp aus seiner dick geschminkten Puppenmaske ein wahres Gesicht, läßt tiefere Gefühle durchscheinen, ohne daß der Film gegen Ende nun übertrieben sentimental wäre oder mit einer zu dick aufgegossenen Botschaft aufwartete. Der Spaß an der Freud und an der üppig wuchernden Imagination überwiegt deutlich, und eigentlich ist das schon früh im Herbst ein richtig feiner Weihnachtsfilm und einer von Burtons schönsten obendrein. (28.9.)