La finestra di fronte (Das Fenster gegenüber) von Ferzan Özpetek. Italien/Türkei, 2003. Giovanna Mezzogiorno, Raoul Bova, Massimo Girotti, Filippo Nigro, Serra Yılmaz, Maria Grazia Bon

   Die Italiener haben zur Zeit irgendwie einen Lauf. Zwar erscheinen ihre Filme in dieser unserer Stadt nicht unbedingt inflationär häufig im Kino, wenn sie’s aber durch glückliche Fügung doch mal tun, erfreuen sie uns seit Jahren mit höchst delikater Kinokunst, ob nun „Ich habe keine Angst“, „Das Zimmer meines Sohnes, “Lampedusa“, „Nicht von dieser Welt“ oder die bereits drei Filme aus dem bisherigen Jahr – allesamt Meisterstücke der allerfeinsten Art.

   Und nun haben sie noch einen drangehängt, einen weiteren wunderschönen Film, kunstvoll ausbalanciert zwischen Drama, Liebesfilm und zarter Komödie, ein ästhetischer Genuß mit unerhört viel Gefühl, der zwei Liebesgeschichten erzählt, eine aus den Kriegsjahren, eine von heute: Im Rom des Jahres 1943 flüchtet ein junger Konditor aus dem Haus, um die Bewohner des Ghettos von einer bevorstehenden Deportation der Nazis zu warnen. Er rettet damit zwar viele Menschenleben, doch wahrscheinlich nicht das seines Geliebten, Simone, der im KZ als Homosexueller ermordet wird. Sechzig Jahre später irrt dieser nun alte Mann verwirrt durch die Stadt und wird aufgelesen von Filippo, der ihn zum Mißvergnügen seiner Frau Giovanna mit nach Hause bringt. Giovanna ist Mutter von zwei Kindern, halbwegs unzufriedene Ehefrau und in der Buchhaltung einer Hähnchenfabrik tätig. Abends steht sie am Fenster, rauch und späht hinüber zum Fenster des attraktiven Herrn von gegenüber. Der Alte nistet sich bei der Familie ein, zumal seine Identität nicht geklärt werden kann und die Polizei wenig Interesse an der Sache zeigt, und als Giovanna endlich selbst die Sache in die Hand nehmen will, bringt der Zufall sie mit dem erwähnten Nachbarn, Lorenzo, zusammen. Die beiden verlieben sich, sind aber zu schüchtern, um tätig zu werden, und als es dann doch geschehen soll, kann Giovanna nicht, auch wenn sie weiß, daß Lorenzo in Kürze nach Ischia versetzt wird. Die Identität des Alten klärt sich schließlich doch, er geht zurück nach Hause, fabriziert in der heimischen Küche weiterhin fantastische Torten und erzählt Giovannas seine Geschichte, die einer verpaßten Liebe. Auch Giovanna hat ihre Liebe verpaßt, doch am Schluß arbeitet sie, was sie schon immer wollte, endlich doch als Konditorin und richtet sie sich halbwegs mit ihrem Alltagsleben ein.

 

   Nicht gerade ein romantisch dröhnendes Happy End sondern der lange Blick auf ein Gesicht, das abwechselnd skeptisch und optimistisch dreinschaut und ungefähr Giovannas finalen Gemütszustand reflektiert: Sie ist sich der versäumten Gelegenheit allzu bewußt, ist auch immer noch nicht sicher, ob sie einen Fehler gemacht hat, sieht aber der Zukunft als Konditorin, Ehefrau und Mutter gefaßt entgegen, selbst wenn sie genau weiß, daß ihre Erwartungen und Ansprüche sich fortan sehr im Rahmen halten werden. Özpeteks fabelhaft einfühlsame Regie verknüpft wie gesagt traurige, komische, melodramatische und zarte Momente zu einer vollendeten Einheit, läßt uns häufig am Alltagsleben der nicht sonderlich gut situierten römischen Durchschnittsfamilie teilnehmen, am Schwatz Giovannas mit ihrer Nachbarin, die immer einen guten Ratschlag in petto hat, am hektischen tagtäglichen Jonglieren mit Zeiten, Pflichten und Terminen, an Giovannas Auseinandersetzungen mit Filippo, der beruflich zu ihrem Verdruß nichts richtig auf die Reihe kriegt und schließlich an ihren ersten gehemmten Begegnungen mit dem smarten Lorenzo, der eigentlich genau das ist, wovon sie schon länger träumt. Es ist schließlich der Blick aus dem Fenster, aus just dem Fenster, in das sie sonst immer geschaut hat, rüber in ihre eigene Wohnung, wo sie ihren Mann, die Kinder, die Freundin sieht, der sie davon abhält, den letzten entscheidenden Schritt zu tun, und genau wie der alte Mann wird sie diese Entscheidung später mal bereuen und mal nicht, denn es gibt für beide Möglichkeiten gute Gründe, allein ihrem Gefühl folgt sie nicht. Dabei steht der junge Konditor 1943 vor einer ungleich dramatischeren und schwerwiegenderen Entscheidung, denn hier geht es darum, eventuell viele Menschenleben zu retten, und genau das tut er, und dennoch wird er nie von dem toten Geliebten loskommen und in späterer Verwirrung sogar dessen Namen als seinen eigenen nennen. Die Schauspieler gestalten ihre Rollen ganz toll, vor allem Giovanna Mezzogiorno und Massimo Girotti, der steinalt sein muß, denn vor über sechzig Jahren tauchte der ja schon in Viscontis „Ossessione“ auf. Ihr Spiel ist genauso diskret, subtil und gekonnt wie der ganze Film, der sich wie gesagt einreiht in eine mittlerweile eindrucksvolle Serie italienischer Filme, und wer weiß, vielleicht ist es auch ganz gut, daß wir nicht alle zu sehen bekommen, sondern nur die besten – obwohl, genau das wissen wir ja nicht einmal. (2.11.)