The Merchant of Venice (Der Kaufmann von Venedig) von Michael Radford. England/Italien/USA, 2004. Al Pacino, Jeremy Irons, Joseph Fiennes, Lynn Collins, Zuleikha Robinson, Kris Marshall, Heather Goldenhersh, Charlie Cox, Alan Corduner

   Mit Shylock, dem Wucherer aus dem Ghetto zu Venedig, der darauf besteht, sich ein Pfund Fleisch aus dem Körper des Antonio zu schneiden, als dieser ihm zum verabredeten Tag nicht das geliehene Geld zurückzahlen kann, hat Shakespeare seine vielleicht faszinierendste, monströseste und zugleich vielschichtigste Figur geschaffen, und das interessanterweise zu einem großen Teil unbeabsichtigt, denn der gute alte Willie konnte vor vierhundert Jahren noch nicht wissen, was wir heute wissen. Und so ist der Jude Shylock eine Mischung aus abstoßendem Wüterich und unnachgiebigem Rächer, und man kann sich leicht ausmalen, wie diese Figur zu jeder Zeit instrumentalisiert werden konnte. Heute aber, sechzig Jahre nach dem Holocaust, ist das nicht mehr möglich, und folglich traut Radford dem Stück einerseits und unserem Differenzierungsvermögen andererseits offenbar selbst nicht so ganz, denn weshalb sonst hätte er diesen Vorspann voranstellen und darin erklären sollen, wie es dazu kam, daß die entrechteten, diskriminierten, verfolgten und ghettoisierten Juden in aller Welt sich ausgerechnet auf das Geschäft mit Geld verlegen mußten, nur um in der Folge natürlich noch mehr gehaßt und verachtet zu werden. Also scheute sich Radford, uns das Stück einfach und kommentarlos in seiner ganzen Zwiespältigkeit und Wucht vorzusetzen, wahrscheinlich um sich müßige Diskussionen um antisemitische Elemente darin zu ersparen. Der Bürger von Welt mag dies unnötig finden, andere wiederum werden für diese Art von Vermittlung vielleicht dankbar sein, weil sie einfach hilft, die Geschichte etwas besser einzuordnen und zu ertragen.

 

   Wirklich aufregend ist auch nur die Hälfte davon. Die andere, die sich um das Liebesgeplänkel mit Bassanio und Portia und ihre Dienerschaft rankt, bietet nicht mehr als leichte, amüsante Unterhaltung vor bewährt fotogener venezianischer Kulisse, und wäre sicher nicht weiter der Rede wert, wenn da nicht die andere Hälfte wäre. Die hat es freilich in sich: Das Drama des Juden Shylock, der, als sich Antonio um dreitausend Dukaten an ihn wendet, die große Gelegenheit sieht, sich für all die Schmähungen und Demütigungen, denen er Tag für Tag ausgesetzt ist, zu rächen. Anspucken läßt er sich (auch vom Herrn Antonio höchstpersönlich), Hund nennen läßt er sich, ins Ghetto hat er sich pferchen und enteignen lassen, und nun benutzt er das strenge venezianische Recht, um es dem Christen heimzuzahlen. In zwei großartigen und für mich zumindest tief beeindruckenden Monologen umreißt er seine Position als Jude, seine Erfahrungen mit den Christen und seine Verzweiflung darüber, daß die beiden Religionen nicht nebeneinander existieren können. Gerade die Gerichtsverhandlung ist der Höhepunkt des Films, eine atemberaubend spannende, intensive Sequenz, die mich, das habe ich nachher noch gespürt, irgendwie total geschockt hat, weil sich das Machtgefüge innerhalb kurzer Zeit auf zugleich zynische und nachgerade prophetische Weise umkehrt: Zunächst tritt Shylock auf, unbeugsam und unbarmherzig auf seinem Recht beharrend, und er hat auch noch den Nerv, den Christen ihre eigene Verlogenheit und Heuchelei vorzuhalten (mit vollem Recht überdies), indem er sie an ihren Sklavenhandel und dergleichen erinnert und sie im nächsten Atemzug fragt, weshalb sie ihm wohl sein Eigentum verweigern wollten, wenn sie ihrerseits Menschen aus Afrika einfach gekauft haben und nun als ihren Besitz betrachten. Ungerührt läßt er die sechstausend Piepen liegen, die Bassanio ihm hinknallt, ganz unverblümt gibt er zu, daß es ihm einzig darum geht, diesem Christen nun ein Pfund buchstäblich aus den Rippen zu schneiden, und er weiß, daß ihm das venezianische Gesetz das Recht dazu gibt. Die Christen bitten ihn um Gnade, doch kurze Zeit später, als Portia als Jurist verkleidet den Spieß mit einem genialen Trick doch noch umgedreht hat, muß nun doch der Jude niederknien, sich schlimm demütigen lassen und sogar zum christlichen Glauben konvertieren, für ihn natürlich die furchtbarste aller Strafen. Welche Dimension auch immer dies seinerzeit für Shakespeare gehabt haben mag – für uns ist dies ein zeitloses, allgemeingültiges Sinnbild für die jahrhundertealte Geschichte der Erniedrigung und Schändung der Juden durch die Christen, gipfelnd dann im zwanzigsten Jahrhundert, wie man weiß. Man läßt den Juden um Gnade betteln, um sein Leben, und großzügig wie der Christ ist, läßt er es ihm, allerdings nur, nachdem er ihn aller übrigen Güter beraubt hat. Nach 1933, so weiß man inzwischen eben auch, haben Christen die Juden ebenfalls oft genug bitten und betteln lassen, haben ihnen jegliches Hab und Gut abgenommen, und sie dann am Schluß doch getötet. Die Barmherzigkeit also, um die man zunächst Shylock ersucht, haben die Juden ihrerseits nie erfahren, und obgleich der Film keine einzige direkte oder indirekte Andeutung in diese Richtung unternimmt, hatte ich die ganze Geschichte dennoch ständig im Hinterkopf. Leider löst sich diese großartig inszenierte und gespielte Szene dann wieder auf in wolkig amouröses Treiben, und dennoch gehört der letzte Gedanke Shylock, wenn nämlich seine Tochter den Ring betrachtet, den sie ihm abnahm, bevor sie für immer aus seinem Hause floh, und wieder empfindet man diese zweigeteilten Gefühle, zum einen Abscheu vor dem hartherzigen Tyrannen, zum anderen Mitleid für den gedemütigten Juden. Al Pacino spielt den Shylock bravourös und ich hätte ihm noch sehr viel mehr Raum gewünscht in diesem Film. Statt dessen tritt meistens ein etwas seichter Joseph Fiennes mit ebenso seichtem Gefolge auf, Jeremy Irons mit ausgezehrter, bleicher Miene hat leider auch recht wenig zu tun, und in dem bunten, burlesken Treiben drumherum finden sich zwar manche Schauwerte, doch mein Interesse war von Anfang an nur auf einen Aspekt fokussiert. So ist also dieser neue Shakespearefilm eine recht durchmischte Angelegenheit, in weiten Teilen gar nichts Besonderes, in anderen aber schon, und gerade die wiegen den leichtgewichtigen Rest doch auf. (10.5.)