Don’t come knocking (#) von Wim Wenders. BRD/USA, 2005. Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Sarah Polley, Gabriel Mann, Fairuza Balk, Eve Marie Saint

   Natürlich könnte man diesen neuen Film von Onkel Wim auch „Paris, Texas revisited“ nennen, und zwar nicht nur weil der Drehbuchautor derselbe ist, sondern weil sich eben einige zentrale Motive von vor zwanzig Jahren heute wieder finden: Der einsame Mann mit viel Vergangenheit auf der Suche nach seinen Wurzeln, seiner Familie, seiner wahren Identität. Das Unterwegssein, die Konfrontation mit verschiedenen, uramerikanischen Orten und Mythen. Und schließlich die Abgleichung dieser Mythen mit der vorgefundenen Gegenwart, immer natürlich betrachtet durch die Brille des Europäers, für den die USA zwar einerseits das  „Land of plenty“ sind, andererseits aber eben auch ein Ort, wo viel von den alten Werten und Lebensformen verlorengegangen sind, wo kurz gesagt der gute alte amerikanische Traum keinen richtigen Platz mehr hat.

   Vor zwanzig Jahren hat Wim Wenders das ganz ernst und tiefgründig behandelt, und nun überrascht er mich ein bißchen, indem er seine Geschichte mit wirklich feiner Ironie vorträgt. Die Geschichte nämlich vom gegerbten Cowboydarsteller Howard Spence, der eines schönen Tages einfach den Set verläßt, durchbrennt zu Mama in Nevada  und schließlich weiter nach Butte/Montana, wo seine Frau und sein Sohn leben, die Frau, die er seit dreißig Jahren nicht, und den Sohn, der er überhaupt noch nie gesehen hat. Howard ist dabei naiv genug anzunehmen, jene Frau werde ihn womöglich mit offenen Armen wieder aufnehmen oder sein Sohn habe all die Jahre nur darauf gewartet, daß Paps eines Tages aufkreuzen werde, und daß genau dies nicht passiert, irritiert ihn ziemlich. Auch irritiert ihn, daß sich ein junges Mädchen still und beharrlich an seine Fersen heftet und behauptet, ebenfalls ein Kind von ihm zu sein, und noch mehr irritiert ihn, daß ein Versicherungsheini von der Filmgesellschaft ihn verfolgt und schließlich schnappt und zwecks Vertragserfüllung rückführt zum Drehort.

   Eben die Sichtweise des kritischen und zugleich faszinierten Europäers ist es, die Wenders’ USA-Filme noch immer reizvoll macht, wenn man vielleicht von so vermurksten Langweilern wie „Am Ende der Gewalt“ oder „Million Dollar Hotel“ absehen will. Noch immer gelingen Wenders frappierende Ansichten und Einsichten und nach wie vor beeindruckt seine Ästhetik, die im Gegensatz zu „Land of plenty“ diesmal wieder mehr mit Stilisierungen und Kunstanstrengungen arbeitet. Vor allem die eigenartigen Städtelandschaften aus Butte/Montana, die groben Linien, die menschenleeren Straßen, die Motive aus den Bildern Edward Hoppers, prägen sich ein, erschließen sich vielleicht nicht immer im Sinngehalt, dafür umso mehr auf der sinnlichen, der Wahrnehmungsebene, wo sich Auge und Ohr einmal mehr an vielfältigen, reizvollen Eindrücken erfreuen dürfen. Vor allem fehlt diesem Film jene Schwerfälligkeit, die Wenders gern als Gedankentiefe tarnt und die viele seiner Werke zu prätentiösen und schwer verdaulichen Brocken macht. Auch hier herrschen Langsamkeit und Stille vor, doch der Held ist keine große tragische Figur mehr wie Harry Dean Stantons Travis, sondern ein leicht verwirrter, alternder Macho, der längst die Zügel aus der Hand gegeben und jeglichen Überblick über sein Leben verloren hat und nun versucht, diesen Realitätsverlust in der Begegnung mit ganz realen und zum Teil handfest pragmatischen Menschen wieder aufzuholen. Ein paar skurrile Begegnungen on the road kommen hinzu, ein paar nächtliche Ausfälle, dazu die oft nicht weniger exzentrische Umgebung sprich die eigene Familie, und schließlich Tim Roth als Versicherungsdetektiv, der wie eine Figur aus einem private-eye-movie der Fünfziger oder aber einem Jim-Jarmusch-Film entnommen wirkt, cool in Schwarzweiß mit Sonnebrille, unveränderlich stoischer Miene und sehr sparsamen Sprüchen. Howard hat natürlich überhaupt keinen blassen Schimmer, wie er mit all diesen Leuten umgehen soll, geschweige denn wie man mit einem Sohn, den man noch nie gesehen hat ins Gespräch kommt, und wenn ich das so sehe, ist diese feine Selbstironie die einzige Möglichkeit für mich, Sam Shepard zu ertragen, denn ansonsten ist mir dieser Macho für Intellektuelle in all seinen bisherigen Filmen gehörig auf die Nerven gegangen. Hier wird alles nicht so ernst genommen, also ist Shepard auch okay, und all die anderen prima Darsteller sowieso. Wenders hat diesmal den angestrengten Tiefsinn draußen vor gelassen, eine einfache Geschichte ohne verquaste Moral erzählt, dazu einmal mehr schöne Bilder gefunden, und alles in allem habe ich sehr gern zugesehen, was mir in den vergangenen zwanzig Jahren bei Wenders weißgott nicht allzu häufig passiert ist. (11.9.)