Gespenster von Christian Petzold. BRD, 2005. Julia Hummer, Sabine Timoteo, Marianne Basler, Aurélien Recoing, Benno Fürmann

   Bei der nachträglichen Rekonstruktion des Films kam dann die Frage nach dem Titel und seinem möglichen Sinn auf. In gewissem Sinne, so läßt sich dann feststellen, paßt das mit den Gespenstern schon. Die beiden Mädchen, die sich in einem unwirklich menschenleeren Berlin-Tiergarten treffen und umherstreifen wie am Rande der Zivilisation, selten in direktem Kontakt zu anderen Menschen und wenn, dann zumeist auch unter eher feindseligen Bedingungen (Konflikten bzw. Diebstählen) haben schon etwas geister- oder schattenhaftes an sich. Wie Petzold sie und die Orte in Berlin filmt, hat mich ganz stark an gewisse Filme von Jacques Rivette und seine Vorliebe für die Geheimnisse von Paris erinnert. Hier also ginge es um die Geheimnisse von Berlin, nur kommt Petzold ungefähr mit der Hälfte der Zeit aus und auch ohne den spielerischen Charme der Franzosen. Sein Film ist dunkel, bedächtig und sehr ernst, die Odyssee seiner Hauptfiguren durch Parks, Straßen und Kaufhäuser hat nichts mit der Lust am Detektivspielen zu tun, sondern nur mit Einsamkeit und der vagen Hoffnung auf Freundschaft. Nina, die im Heim lebt und wenig Lust hat, im zwanghaft geordneten Arbeitsleben Anschluß zu finden, lernt Toni auf merkwürdige und letztlich nicht erklärte Weise kennen (sie wird Opfer männlicher Gewalt), und die beiden gehen gemeinsam ein Stück weiter, schlagen sich mit Diebstählen durch, haben aber eigentlich überhaupt keine Richtung und kein Ziel. Eine Französin kreuzt ihren Weg, die in Nina ihre seit fünfzehn Jahren verschwundene Tochter Marie zu sehen glaubt und die dafür auch physische Beweise findet. Nina und Toni werden auf der Party eines TV-Machers auseinandergerissen, und Nina trifft Françoise noch einmal, und nun ist sie bereit zu glauben, sie sei die Tochter dieser Frau, natürlich auch in der plötzlichen Hoffnung, eine Familie zu finden. Doch Pierre, der Mann von Françoise, ernüchtert Nina, erklärt ihr, Marie sei längst tot und seine Frau schwer krank.

 

   Petzold hat dieses stille Drama mit wenigen Personen in einer eigenartig stilisierten Welt inszeniert, sich dabei wie üblich auf seinen eleganten, ruhigen, konzentrierten Stil, die hervorragende, sehr poetische Bildgestaltung und die wirklich große Klasse seiner Darsteller verlassen, und es fällt mir auch keineswegs schwer, die Vorzüge seines neuen Films aufzuzählen und gebührend zu würdigen, dennoch muß ich sagen, daß ich von diesmal weitgehend unberührt geblieben bin. Wahrscheinlich liegt es schon an seiner Konzeption, an der Langsamkeit, der Distanz des Blicks und der Fremdheit der Menschen hier, denn weder über Nina noch über Toni erfahren wir irgendetwas wichtiges, wir werden mit ihnen konfrontiert, begleiten sie ein Stück, bevor sie uns dann wieder aus den Augen gleiten, aber genau darin bleiben sie nur schemenhaft, undeutlich, rätselhaft, und deshalb haben sie bei mir auch keine Spuren hinterlassen. Ihr zielloses Umhertreiben löste bei mir weder Sympathie noch Ablehnung aus, Ninas schüchterne aber deutliche liebesuchende Annäherung an die ältere und augenscheinlich abgeklärtere Toni ist viel greifbarer, und natürlich auch Françoises  unbedingte Sehnsucht nach ihrer Tochter. Einige der Episoden wirken dagegen regelrecht störend, irritierend, vor allem die gesamte Sequenz mit Fürmann als Schickiemacho, die mich absolut nicht interessiert hat und eher die Intimität der Geschichte stört. Auch der potentielle Höhepunkt des Films, als Nina nämlich beim dem Casting endlich ihr störrisches Schweigen bricht und in einem langen Monolog ihre Sehnsucht und ihre Gefühle für Toni zum Ausdruck bringt, kann nicht vollkommen zur Wirkung kommen, weil mir zuvor einfach die emotionale Bindung fehlte. Mein Problem, ich weiß, aber dennoch: Dies ist absolut kein schlechter Film, er ist im Gegenteil sehr kunstvoll und gekonnt gemacht, er ist mir nur nicht besonders nahe gekommen. Und das sollte eigentlich schon sein. (28.9.)