Hotel Rwanda (#) von Terry George. Südafrika/England/Italien, 2004. Don Cheadle, Sophie Okonedo, Joaquin Phoenix, Nick Nolte, Desmond Dube, David O’Hara, Cara Seymour
Gemeint ist das Hotel Les Milles Colines in Kigali, bis Mitte der Neunziger Residenz der europäischen Touristen und Geschäftsleute. Dann, 1994, bricht das Unheil über das Land aus. Der ruandesische Präsident wird auf dem Rückflug von Friedensverhandlungen in Burundi abgeschossen und urplötzlich explodiert ein jahrzehntelang brodelnder und nicht zuletzt von den belgischen Kolonialherren geschürter Konflikt zwischen der Mehrheit der Hutu und der Minderheit der Tutsi, die bis dahin stets protegiert und privilegiert worden waren. Ein hauptsächlich mit Macheten bewaffneter Hutu-Mob
macht sich daran, den angeblich von den Tutsi begangenen Mord an dem Präsidenten zu vergelten. Es beginnt ein infernalisches Gemetzel, dem fast eine Million Menschen zum Opfer fallen, und dem die gesamte sogenannte zivilisierte Welt den Rücken zukehrt und sich höchstens noch dahingehend engagiert, die eigenen Landsleute auszufliegen. Zurück bleiben hilflose, der wahnwitzigen Gewalt ausgelieferte Menschen, riesige Flüchtlingsströme und eine Handvoll ohnmächtiger Blauhelme, die zu alledem noch mit einem Schießverbot bedacht wurden, der schiere, reine Hohn im Angesicht des unglaublichen Blutrauschs. Die sogenannte zivilisierte Welt aber hat beschlossen, daß dies Geschehen nicht als „Völkermord“ qualifizierbar und deshalb ein Eingreifen auch nicht vonnöten sei.
Vor diesem grausamen Hintergrund wird die Geschichte Paul Rusebaginas erzählt, der als Angestellter des erwähnten Hotels vom Sturzbach der Ereignisse mitgerissen wird und dem es unter Aufbietung einer ungeheuren Zivilcourage gelingt, nicht nur seine eigenen Familie sondern auch über tausend weitere Menschen zu retten, und der dann in einem Konvoy vom restlichen Häufchen Blauhelme in ein Flüchtlingslager jenseits der Frontgrenze gebracht und von dort nach Belgien ausgeflogen wird. Rusebagina, der sich genau wie alle andere, die im Hotel Zuflucht finden, stets in höchster Lebensgefahr befindet, überwindet all seine eigenen Ängste, erträgt jedwede Demütigung und Erniedrigung, handelt verzweifelt mit allem was er hat, sieht über Leichenberge hinweg, weil er es sich nicht leisten kann, die Verbrecher anzuklagen, laviert zwischen korrupten, größenwahnsinnigen, brutalen Polizeioffizieren und Hutu-Milizen, mobilisiert in letzter Sekunde die Hilfe der Sabena in Belgien, der das Hotel gehört, und nutzt schließlich die Einfalt des Tutsi-Generals für seinen riskantesten Bluff, der aber schließlich wie durch ein Wunder gelingt.
Eine Geschichte gerade wie aus einem Hollywoodfilm, und doch eine wahre Geschichte, und genau darin liegt schon eine der potentiellen Tücken dieses Films, der Bilder für das Unsagbare finden muß, der zugleich eine ganz essentielle, dramatische, private Situation schildern will und der natürlich über all dem eine ganz bittere humane Anklage erheben muß. Wie nun unternimmt man dies, ohne die Zuschauer in schierem Entsetzen aus dem Kino zu treiben, in maßlosem Kitsch zu ersäufen oder aber in trockenen Thesen zu versanden und damit an jedermann vorbei zu argumentieren? Eine recht angeregte Diskussion mit meinem ewigen Mitstreiter fand mich zu meiner eigenen Überraschung plötzlich auf Seiten der Verteidiger dieses Films, mich, der ich sonst gern und oft zu wettern pflege gegen halbgare Kommerzwaren, die ihre vermeintlichen Anliegen und Botschaften schmählichst verraten haben auf dem Irrweg zum Publikum. Mit einigem Recht sicherlich könnte man auch dieses Machwerk in selbige Kategorie sortieren, gibt es doch reichlich Szenen, die sich als Kompromiß oder als banale Dramatisierung der Ereignisse werten ließen, und natürlich darf man auch die Frage stellen, ob es wirklich eines solchen Helden wie eben dieses Herrn Paul bedurft hätte, um die menschliche Tragödie Ruandas wirkungsvoll darzustellen. Ich aber muß sagen, daß ich für meinen Teil sehr bewegt, mitgenommen und absorbiert war von der Art und Weise, wie Terry George seine schwierige Mission, sprich den Spagat zwischen finanziellen und inhaltlichen und politischen Interessen bewältigt hat, und ich muß auch sagen, daß ich diesen Film auf seine Art sehr ehrenhaft und stark finde. Er geht unheimlich direkt in die Situation hinein ohne jegliche Vorrede, ohne weitschweifige Einleitungen und erzeugt von Beginn an eine bis zum Schluß anhaltende, extrem intensive Spannung, allein indem er nachfühlbar macht, wie das gewesen sein muß in diesem Land, wo Menschenleben plötzlich wertlos, wo Millionen Menschen plötzlich Freiwild für den blutrünstigen Mob waren, wo jegliche Menschlichkeit vernichtet und verhöhnt wurde. In dem Maße, wie Paul all dies erkennt, erkennen auch wir es, erleben die groteske Tatenlosigkeit der Blauhelme, die bürokratische Ignoranz der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft, die keinen Finger rühren wollte für ein kleines Land, in dem es nun mal keinerlei wirtschaftliche oder strategische Interessen zu verfolgen gab. Hastig flog man die weißen Menschen in Sicherheit und überließ die schwarzen Menschen ihrem Schicksal. Bemerkenswert ist, daß Terry George weitgehend auf blutige Bilder verzichten kann und trotzdem eine vehemente Anklage gegen diese brutalste und zynischste Form des Rassismus formuliert. In Pauls Gesicht spiegelt sich unsere eigene Fassungslosigkeit, verstehen wir, wie er zunächst gar nicht glauben mag, daß die Franzosen, Amerikaner, Belgier ihn und all seine Landsleute wirklich schutzlos zurücklassen in dem sicheren Wissen, daß ein schrecklicher Massenmord stattfinden wird und schon stattfindet. Als er dann verstanden hat, wandelt sich sein Entsetzen in Entschlossenheit, erkennt er, daß er und seine Leute sich nur selbst helfen können und alles versuchen müssen, um irgendwie aus dem Machtbereich der Hutu zu entkommen. Der Film bleibt die gesamte Zeit über sehr dicht am Geschehen und an Paul, verfolgt seine Wege durch eine Stadt im Chaos, seine wahnwitzigen Verhandlungen mit Mördern und Verbrechern, seine verzweifelten Unterredungen mit einem ebenso verzweifelten und beschämten UN-General, der tatenlos zusehen muß, wie alles, wofür er und seine Uniformträger eigentlich einstehen, in den Dreck getreten wird, und der sich nicht einmal dagegen wehren darf. Parallel dazu verfolgen wir, wie Paul versucht, seine eigene Familie in Sicherheit zu bringen. Er selbst hat als Hutu nicht so viel zu befürchten, doch seine Frau und deren Verwandte sind Tutsi, und indem er ihnen Schutz und Unterkunft gewährt, wird auch er zum Feind der fanatisierten, von zahllosen Radioempfängern immer wieder aufgestachelten Mördern. Die Ereignisse im Hotel sind zum Teil von unerhörter Dramatik, und die Spannung schlägt gehörig auf den Magen, und ich persönlich finde auch nicht, daß George hier auf unredliche Weise mit Tricks und Effekten arbeitet, die Geschichte an sich ist schon so. Und natürlich kommt auch hinzu, daß Don Cheadle in der Hauptrolle eine ganz außerordentliche Darstellung zeigt, eine Darstellung von allergrößter physischer und seelischer Eindringlichkeit, zum Teil fast zurückgenommen und bescheiden, andererseits sichtlich engagiert und tief empfunden – man sieht ihm die eigene Betroffenheit in vielen Szenen sehr deutlich an, und ich denke, daß selbst ein routinierter Schauspieler so etwas nicht einfach runterspielt, ohne emotional beteiligt zu sein.
Wie gesagt, daß es sich hierbei durchaus um ein Produkt mit kommerzieller Prägung handelt, ist vollkommen klar, aber
ich finde diesen Film dennoch sehr beeindruckend und habe ganz sicher aus dieser Kategorie schon ganz andere, viel weniger geglückte und viel verlogenere Beispiele gesehen. Dieser Film wurde mit Leidenschaft und Engagement gemacht, das merkt man ihm an, und das läßt auch die eine oder andere mögliche Konzession vergessen, auf die man sicherlich hätte verzichten können. (12.4.)