Confidences trop intimes (Intime Fremde) von Patrice Leconte. Frankreich, 2004. Sandrine Bonnaire, Fabrice Luchini, Anne Brochet, Michel Duchaussoy
Auch unsere in den letzten Jahren so sehnlichst und oft vermißten westlichen Nachbarn starten mit einer Galavorstellung des archetypisch französischen Films in die frische Saison. Patrice Leconte, über die Jahre durchaus nicht immer ein geschmackssicherer und konstanter Zeitgenosse, doch in seinen guten Momenten ein Regisseur von exquisitem Stil und unübertrefflichem Gespür für unkonventionelle und auch schon mal provokante Erotik, hat mit diesem Film vielleicht sein Meisterstück vorgelegt (obwohl „Ridicule“ oder „Das Parfum von Yvonne“ ähnlich gelungen sind), ein Kammerspiel im besten Sinne des Wortes, ein äußerst subtil und fein ausgewogenes Zweipersonenstück mit ein paar Nebenfiguren als Beilage und vor allem, wie bereits gesagt, ein durch und durch französisches Spiel mit Stimmungen und Emotionen.
Eine Frau irrt sich in der Tür – sie möchte zu einem Psychiater und gerät an einen Steuerprüfer, dem sie, zunächst ahnungslos über den Irrtum, ihre Eheprobleme anvertraut. Er ist sofort fasziniert von ihr, klärt das Mißverständnis nicht sofort auf, doch auch als er es schließlich tut, geht sie weiter zu ihm und es entwickelt sich ein zunehmend intensives aber auch verwirrendes Verhältnis, das ihn aber dermaßen gefangennimmt, daß er bereit ist, sein Dasein in Paris dranzugeben und ihr in den Süden zu folgen, wo die beiden alsbald ihre Therapiegespräche fortsetzen.
Zum einen besticht Leconte hier als brillanter Regisseur, der seine Geschichte mit größtmöglicher Effektivität und Diskretion erzählt. Fast alles spielt sich in eng geschlossenen Räumen und dunklen Fluren ab, eine weltabgeschiedene Szenerie merkwürdig altmodisch wirkender Büros und Vorzimmer, die unsere Aufmerksamkeit völlig auf die Personen lenkt. Lecontes Ironie ist sehr zart und dezent, er spart sich seine sonst leider manchmal anzutreffenden Plattheiten, auch auf stilistischer Ebene: Der Film ist bemerkenswert diszipliniert, fast streng inszeniert und schafft so einen reizvollen inneren Kontrast zu den amüsanten und prickelnden Vieldeutigkeiten in dem Verhältnis der beiden Protagonisten.
Diese beiden brillieren auch, und zwar durch ihre Darsteller. Bonnaire und Luchini beteiligen sich auf eindrucksvolle Art an dem Spiel, indem sie mit ihrem jeweiligen Image spielen, ihren aus vielen Filmen bekannten und typischen Rollen und den Charakteristika, die ihnen gewöhnlich zugeschrieben werden. Luchini, der oftmals sympathische aber auch enervierende Schwätzer beispielsweise bei Rohmer, nimmt sich hier betont zurück, doch als Zuschauer erwartet man natürlich ständig eine seiner berüchtigten Tiraden. Er dosiert aber sein gewohntes Temperament sehr geschickt, läßt es nur ganz selten, dann aber umso wirkungsvoller zum Ausbruch kommen, und zieht sich häufig hinter die Maske des staunend gaffenden Jungen zurück, der gehemmt ist von tausend bürgerlichen Verhaltensmaßregeln und deshalb außerstande, dieser Frau seine Bewunderung und Liebe ganz direkt mitzuteilen. Bonnaire ihrerseits setzt ihre markante, herbe Physiognomie und Körperlichkeit mit vollem Kalkül ein, gibt sich mal flirtend, lockend, lasziv, dann wieder überlegen, amüsiert, distanziert, oder auch abweisend und rätselhaft. Bis zuletzt sind uns und dem armen Kerl ihre Motive nicht vollkommen klar: Will sie nun mit ihm anbändeln, benutzt sie ihn als Ausstieg aus der lästigen Ehe oder will sie doch nur ihren Mann scharf machen, in dem sie sich einen Liebhaber zulegt? Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, und gerade diese Offenheit macht den Reiz des Films aus, die langen Begegnungen der beiden, die Spannung zwischen dem sehnsüchtigen Wunsch der offen in seinem großäugigen Gesicht zu lesen steht und ihrer Unberechenbarkeit, die einmal alles verspricht und im nächsten Moment wieder gar nichts.
Die scheinbar ganz einfache, unspektakuläre Machart des Films täuscht – so was ist gar nicht leicht hinzukriegen, man muß schon eine sichere Hand als Filmemacher haben und über solch tolle Schauspieler verfügen, wie Leconte es hier tut. Glücklicherweise, denn somit ist dies ein Genuß der besonders delikaten Sorte geworden. (6.1.)