Crash (L.A. Crash) von Paul Haggis. USA, 2004. Don Cheadle, Matt Dillon, Terence Dashon Howard, Thandie Newton, Jennifer Esposito, Brendan Fraser, Sandra Bullock, Michael Pena, Larenz Tate, Ludacris, William Fichtner, Ryan Phillippe, Keith David, Loretta Devine, Nona Gaye
Solche oder ähnliche Filme habe ich schon einige Male im Kino gesehen – Altmans „Short Cuts“ fällt mir immer sofort ein oder auch, obwohl weit weniger überzeugend, Kasdans „Grand Canyon“, Geschichten aus Los Angeles, die zusammengerafft ein Puzzle und zugleich ein Porträt der großen Stadt ergeben. Das sind Filme, die grundsätzlich etwas sehr Konstruiertes, Künstliches an sich haben, und wer das nicht akzeptieren mag, wird mit ihnen ein ziemliches Problem haben. Natürlich ist es nüchtern betrachtet äußerst zufällig und willkürlich, daß sich ausgerechnet in einer solch riesigen Metropole die Lebenswege einiger Leute so vielfältig verstricken und kreuzen sollen, aber das macht andererseits das faszinierende daran aus, wenn es funktioniert, vorausgesetzt also, Drehbuch und Regie haben das Ganze in den Griff bekommen, was gar nicht so einfach ist.
Während sich Meister Altman vorwiegend im breit gefächerten weißen Bevölkerungsspektrum der Stadt umgesehen hat, geht Paul Haggis gerade den entgegengesetzten Weg und präsentiert - auch dies natürlich ein reines Konstrukt – betont ethnische Vielfalt: Wir sehen in ziemlich ausbalancierten Quantitäten WASPs, Schwarze, Latinos, Perser, Chinesen und andere leider nicht genau identifizierbare Ostasiaten. Eine von vornherein angespannte Mischung, ein tägliches Miteinander voller Verständigungsprobleme, alter und neuer Rassismusmotive, gegenseitiger Vorbehalte und Aggressionen. Aggressiv beginnt der Film – wir sehen die Folgen eines Autounfalls und gleich dazu noch einen ermordeten jungen Mann -, doch ziemlich bald wir deutlich, daß sich Dramatik und Spannung im weiteren nicht aus Gewalt und Spektakel ergeben, sondern aus dem sogenannten Zwischenmenschlichen (genau, das gibt’s sogar im US-Film noch hier und da). Unfall und Mord sind Klammer und Ausgangspunkt einer wie gesagt stückchenweise erzählten, sich über einige wenige Tage erstreckenden Geschichte zwischen Alltag und Extremsituationen, Familiendrama, Ehekrise, Versöhnung, zerstörter Existenz, taqtäglicher Straßenkriminalität, rassistischer Demütigung, tragischem Sterben und wundersamem Leben. Alles im einzelnen nachzuerzählen wäre Unfug, gesagt werden muß nur, daß Paul Haggis aus Drehbuchautor die einzelnen Schicksale mit blendendem Geschick verbindet, daß er sich nicht scheut, mit viel Emotion und auch offen zur Schau gestellter Emotion zu erzählen, und daß er sich gleichfalls nicht scheut, kontroverse Themen anzusprechen und diese dann im Raum stehen zu lassen. Er bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Tragik und gelegentlichem Humor, beweist aber immer das Gespür für den richtigen Ton, und das ist eine echte Kunst, denn wie oft ist das schon daneben gegangen. Tragödien sind also richtig tragisch, aber sie erdrücken uns nicht mit Kitsch und Kalkül, komische Momente dürfen komisch sein, ohne leichtfertig die Substanz des Films aufs Spiel zu setzen und die ganze unendliche schwierige Problematik um das Zusammenleben der vielen Ethnogruppen in der Stadt wird jetzt und hier nicht in Wohlgefallen gelöst, sondern ist nachher noch immer so schwierig wie zuvor.
Es geht häufig um Lernprozesse, Wendepunkte, die berühmten zwei Seiten einer Medaille: Die hochnäsige weiße Zicke lernt zuzugeben, daß die mexikanische Haushälterin, die sie bis dato nur mit äußerster Herablassung behandelt hat, ihre einzige Freundin ist. Der idealistische junge Polizist erfährt bitter, daß man doch nicht immer nur gut und richtig handeln kann, genau wie es ihm der gemeine ältere Polizist vorausgesagt hatte. Dieser gemeine ältere Polizist wiederum rettet just jener Frau das Leben, die er vorher aufs äußerste gedemütigt hat, während er selbst von den Gesundheitsbehörden gedemütigt wird, die keine Behandlung für seinen schwerkranken Vater bezahlen wollen. Die Frau wiederum erfährt, daß das miese Rassisten- und Sexistenschwein gleichzeitig ihr Lebensretter sein kann. Der paranoide Gangstaman lernt, seine wirren Rassentheorien zu relativieren und sieht ein, daß er auf seine Art ebensolch ein Rassist ist. Der persische Ladenbesitzer erlebt schockartig, daß Gewalt zerstört statt zu heilen, als er beinahe ein kleines Mädchen erschießt statt ihres Vaters, was allerdings genauso sinnlos gewesen wäre. Der schwarze TV-Regisseur und Ehemann lernt, nicht mehr jede Demütigung durch Weiße hinzunehmen, sondern sich endlich zu wehren, auch wenn es ihn fast das Leben kostet. Der schwarze Polizeibeamte, der sich aus schlechten sozialen Verhältnissen hochgearbeitet hat, lernt, Familiensinn und Verantwortung zu entwickeln, doch ist es fast zu spät, denn der Bruder wurde getötet und die Mutter wendet sich von ihm ab. Der chinesische Herr wird einerseits Opfer eines brutalen Unfalls, ist andererseits aber selbst ein genauso brutaler Täter, denn in seinem Van in einem Käfig finden sich wie Tiere eingesperrt illegale Einwanderer aus Fernost. Tja, jetzt hab ich doch fast alles nacherzählt.
Haggis schlägt ein ruhiges Tempo an, arbeitet einzelne, besonders dramatische oder zentrale Momente stark heraus, verfährt dabei durchaus polemisch oder manipulativ, verliert jedoch nie das bereits erwähnte sogenannte Menschliche aus dem Blick. Das Menschliche wird wesentlich transportiert durch die sensible, einfühlsame Regie und ein fabelhaftes Darstellerteam, in das sich auch große Stars bruchlos einfügen, und das das Konzept des Drehbuchs großartig umsetzt. Hollywoodfilme wie dieser hier sind ganz selten geworden – erschütternd selten, um es mal so zu sagen! -, und schon während ich im Kino sitze, merke ich, wie wenig die meisten Filme von drüben eigentlich über das Leben in dem Land sagen und zeigen, wie selten man einfache Straßenszenen sieht, mitbekommt, wie und wo die Leute leben und was sie so tun. Was zählt, sind Tempo, Action, Effekte, rauschende Digitalschlachten, und irgendwie wurden Land und Leute über alledem in den letzten zwanzig Jahren nach und nach begraben, so als ob die Amerikaner sich selbst vor der Konsumentenwelt verstecken wollten. Folglich werden bestimmt wesentlich mehr Leute dem neuen Digitalejakulat „Sin City“ beiwohnen als diesem hervorragenden Film, der für mich einer der eindrucksvollsten US-Filme der letzten Jahre ist. (7.8.)