Luce die miei occhi (Licht meiner Augen) von Giuseppe Piccioni. Italien, 2001. Luigi Lo Casio, Sandra Ceccarelli, Silvio Orlando
Welch ein Kontrast zu den bunten, ausgeflippten Typen oben, welch ein Kontrast zum burlesken, temperamentvollen Erzählstil Silvio Soldinis: Giuseppe Piccioni läßt uns für annähernd zwei Stunden fast ertrinken in einem tiefen See aus schwarzem Samt. Wie umnebelt gleitet man sanft dahin, zugleich fasziniert und auch befremdet, versucht verzweifelt, die beiden Hauptfiguren dieses großartigen Dramas zu begreifen, festzuhalten und wird zugleich immer wieder dazu verurteilt, sie loszulassen und weiter ihrer rätselhaften Wege ziehen zu lassen. Tiefgründig wäre eine Möglichkeit, diesen Film zu beschreiben, doch trifft „abgründig“ ebenso zu, und es ist vielleicht auch nicht so wichtig, die passenden Begriffe zu finden, wichtig ist allein, den Film auf sich wirken zu lassen.
Antonio lebt allein, liest Science-Fiction-Romane und ist Fahrer, gern eingesetzt, weil er diskret und höflich ist und zur rechten Zeit zu reden oder auch zu schweigen weiß. Er lernt das zehnjährige Mädchen Lisa und ihre Mutter Maria kennen und verliebt sich sofort in Maria. Die erzieht allein, betreibt einen Laden für Tiefkühlkost, unterhält eine offensichtlich aufreibende Liaison mit einem verheirateten man und wird vom Jugendamt bewacht, denn Lisas Großeltern erheben Ansprüche auf das Kind. Obwohl Maria Antonio mit deutlichen Worten abweist, engagiert er sich immer mehr für sie, tritt sogar in die Dienste eines mehr als zwielichtigen Mannes ein, dem Maria sehr viel Geld schuldet. Als er merkt, daß er zu tief in die üblen Geschäfte hineingerät, zieht er die Notbremse, steigt aus, verliert auch später seinen Job. Auch Maria verliert Lisa, als diese aus Trotz gegen ihre unstete, ständig telefonierende und kurz vor dem Nervenzusammenbruch befindliche Mutter rebelliert und erst von der Polizei nach Hause gebracht wird. Maria bittet Antonio erneut um Hilfe, gemeinsam besuchen sie Lisa, doch was nun aus den dreien wird, bleibt am Schluß offen.
Und so treibt man einfach weiter, genau wie die drei, und sicherlich könnte dieser Film noch lang so weitergehen, ohne merklich an Faszination zu verlieren. Gottlob aber hat Piccioni rechtzeitig aufgehört und uns ein bequemes, flaches Happy End erspart, denn es würde überhaupt nicht hierher passen. Als Zuschauer ist man wie schon gesagt in einem ständigen Zwiespalt zwischen tiefer Zuneigung zu den Personen und ebenso tiefer Verunsicherung, denn nie kann man sich ganz sicher sein, was genau Antonio und Maria umtreibt, was sie zu ihrem jeweiligen handeln bewegt und wie weit vor allem sie gehen würden. Vor allem Antonio ist eine fast beunruhigend mysteriöse Person: Äußerlich sympathisch, nett, kultiviert, scheint er aus Liebe zu Maria innerlich von einer sehr starken Kraft getrieben zu sein und sieht sich immer wieder Situationen ausgesetzt, in die er nicht hineinpaßt, die durchaus bedrohlich oder gar gewalttätig sind. Wie sein Lieblingsheld aus der Weltraumserie, die uns häufig vorgelesen wird, lebt auch er in einer überaus empfindlichen Balance und wagt sich in Bereiche vor, in denen er keine Kontrolle mehr hat und deren Konsequenzen er vor allem zuvor nicht bedacht hatte. Plötzlich muß er bei illegalen Einwanderern Geld eintreiben oder sie gar aus ihren miserablen Notunterkünften treiben, plötzlich ist er Fahrer bei Strafaktionen und läuft Gefahr, tief in einen finsteren Sumpf gezogen zu werden, als dann ganz unerwartet doch wieder sein gesunder Menschenverstand die Oberhand gewinnt und er sich ebenso unerwartet souverän und cool aus der Sache herauszieht. Maria ihrerseits ist ein wenig leichter einzuschätzen: Eine alleinerziehende Mutter in heutiger Zeit, aufgerieben zwischen dem Druck, den Lebensunterhalt bestreiten und für ihr Kind sorgen zu müssen, verfolgt vom unermüdlichen investigativen Jugendamt, bedroht von den Nachstellungen der Großeltern und allgemein mit ihren Nöten völlig allein gelassen. Dann mal ein Ausraster am Telefon, eine Fuhre Alkohol aus Frust, ein paar neugierige Nachbarn und schon ist der Ruf ein für allemal festgelegt. Mit Antonios ruhiger Hartnäckigkeit und Hilfsbereitschaft kommt sie nicht klar, sie kann keine Nähe zulassen, kann sich ihm nicht öffnen, will ihn durch brüskes Verhalten loswerden, gesteht sich dann aber später doch ihre Gefühle zu ihm ein. Unter ihrer Fassade aus Bitterkeit und Unzufriedenheit verbergen sich sichtbar ihre Sehnsüchte und Gefühle, nur braucht es sehr viel Geduld, sie an die Oberfläche zu holen.
Piccioni nimmt sich sehr viel Zeit für die Auslotung dieser Gefühle, er erzeugt eine magisch intensive Atmosphäre, zugleich geheimnisvoll, sehr sinnlich, zärtlich, dann wieder dunkel und melancholisch. Die tiefe Wirkung des Films beruht auf dem perfekt aufeinander abgestimmten Zusammenspiel von weichen, fließenden Bildern, ebensolcher Musik und dem glänzenden Spiel der Protagonisten, die einem wie gesagt mal ganz nahe sind und dann wieder unverständlich und fremd. Das Rom in diesem Film ist ebenfalls eher schroff und karg, wir sehen lange Fahrten durch triste, halb verfallene Außenbezirke, heruntergekommene Ghettos, eine nächtlich abweisende Stadt mit halb leeren Bars in Szenen, die Antonios Einsamkeit nachdrücklich verdeutlichen.
Verglichen mit Soldinis Film (obwohl die beiden schwer zu vergleichen sind) ist dies dunkle, schwere Kost, aber zugleich ein Film, der viel länger nachwirkt, meiner Meinung nach ein meisterhafter Film. (12.1.)