Manderlay (#) von Lars von Trier. Dänemark/Schweden/Frankreich, 2005. Bryce Dallas Howard, Isaach de Bankolé, Danny Glover, Michaël Abiteboul, Willem Dafoe, Jean-Marc Barr, Geoffrey Bateman, Lauren Bacall

   Weiter geht’s mit Brechtschem Theater à la von Trier und der Fortsetzung von „Dogville“: Von dort fahren Grace, ihr Papa und die Gang zurück nach Hause, dort allerdings haben sich die Verhältnisse zu ihren ungunsten verschoben, also geht’s ab nach Südwesten, und so landet der kleine Konvoi eines schönen Tages in einem kleinen Kaff in Alabama, um dort Zeuge einer im Jahre 1933 höchst ungewöhnlichen Prozedur zu werden, nämlich der Auspeitschung eines Schwarzen auf einer von Weißen geführten Plantage. Graces Entrüstung potenziert sich schlagartig, als sie erfährt, daß auf der Plantage der greisen Mam noch ganz echte Sklaverei herrscht, und sie ist sofort fest entschlossen, diesen Zustand zu beenden. Paps läßt ihr ein paar bewaffnete Männer da, und Grace geht nun also daran, auf Manderlay eine moderne Demokratie zu installieren.

   Nach diesem schön zügigen Auftakt gerät die Erzählung vorübergehend ein wenig ins Stocken, wenn es im Detail um Graces Umerziehungsmaßnahmen geht. Zunächst stößt sie auf Unverständnis, Abwehr und Angst, dann erringt sie kleine Teilerfolge, nur um wieder von Rückschlägen wie beispielsweise einem Sandsturm überrascht zu werden, und an allen Ecken und Ende zeigen sich ihre Unerfahrenheit und Naivität, dennoch bleibt sie unverdrossen bei ihrem Vorhaben, auch als ihr der attraktive und zugleich rätselhafte Timothy dazwischenkommt, der ihr Engagement kurzfristig auf eine noch privatere Ebene verlagert. Doch in der zweiten Hälfte gewinnt der Film deutlich an Spannung und dann  geht’s noch mal richtig rund, die Geschichte fährt regelrecht Achterbahn in unserem Kopf, ermattet kippt der Zuschauer am Ende aus den Pantinen, um dann als allerletzte Zugabe von David Bowies donnerndem Soultrain „Young Americans“ überrollt zu werden, dem einzig guten Song, den ich bislang von ihm kenne.

 

   Natürlich ist dies der Film eines störrischen, unangepaßten, egozentrischen Provokateurs und Querdenkers, und natürlich gibt er in zahlreichen Momenten genug Anlaß zu heftigem Widerspruch, teilweise vielleicht sogar zu berechtigtem Widerspruch, aber immerhin ist dies noch ein Film, der anregt, der aufregt und der unser Hirn beschäftigt, womit er sich per se schon mal von neunzig Prozent aller gängigen Produkte unterscheidet, und es ist alles in allem ein Film, der mir sehr gut gefallen hat, unter anderem weil er einen herzlosen Zyniker und Pessimisten wie mich häufig zum Lachen gereizt hat. Von Trier setzt sine mit „Dogville“ begonnene USA-Schelte fort, doch treibt er vor allem ein vielschichtiges, abgründiges, perfides Spiel mit Gedanken und Meinungen und er scheut sich absolut nicht, unpopulär und politisch unkorrekt zu sein. Er präsentiert uns die Sklavenordnung auf Manderley, die in der Zeit vor 1865 verwurzelt und ideologisch dort verankert ist, letztlich als einen Hort der Sicherheit und Geborgenheit für die vermeintlich unterdrückten Schwarzen. Grace stößt mit ihrem Idealismus und ihrer Werbung für Freiheit und Demokratie auf wenig Resonanz, weil die Schwarzen befürchten, noch nicht reif für Freiheit und Selbstverantwortung zu sein. Sie unterwerfen  sich lieber den Regeln auf Manderley, weil die ihnen einen sicheren, verläßlichen Bezugsrahmen geben, und Grace muß am Ende erfahren, daß Mams Regelwerk sogar von einem schwarzen Sklaven selbst verfaßt wurde. Ihr sauber geordnetes Denken von weißen Unterdrückern und schwarzen Unterdrückten wird mehrmals ad absurdum geführt, ihr eifriges Missionarentum wird der Sinnlosigkeit und Lächerlichkeit entkleidet, man hat eher das Gefühl, als würde sie den Sklaven Gewalt antun, indem sie sie zu befreien versucht, und auch ihr Bild vom ehrbaren, ehrlichen schwarzen Mann wird am Schluß mit grimmigem Hohn widerlegt. Sie wird mit einer Klassifizierung von „Niggern“ konfrontiert, die in Kategorien von eins bis sieben unterscheiden werden, je nach ihrem Charakter und ihrer Rolle, doch in dem Moment, da sie in diese Ordnung einzugreifen versucht, stiftet sie Unruhe, Verunsicherung und schließlich Gewalt. Von Trier beschäftigt sich mit den Begriffen Freiheit und Unfreiheit von einem fast philosophischen Standpunkt aus, doch auch hier bleibt er ungreifbar, sarkastisch, widersprüchlich: Zum einen wollen uns die Sklaven ihren Zustand als die wahre Freiheit verkaufen, weil sie ihn selbst gewählt haben und keinen anderen wollen. Zum zweiten allerdings erscheint gerade das System der Kategorien als sehr zynisch und diskriminierend, weil es jedem einzelnen Sklaven nur eine eng umgrenzte Rolle zuweist. Zum dritten wiederum wird die Demokratie als eine sehr fragwürdige Errungenschaft geschildert, zumal sie buchstäblich mit vorgehaltener Waffe erzwungen wird, denn ohne die ständig im Hintergrund drohenden Schergen ihres Vaters hätte sich Grace zu Beginn sicherlich kaum Gehör und Respekt verschaffen können. Man kann in diese Konstruktion alles mögliche hineininterpretieren, zum Beispiel eine Allegorie auf Kolonialisierung oder auf die sogenannte Zivilisierung der Dritten Welt durch die erste, von Trier allerdings verbleibt eher in der Pose des distanziert und höhnisch zuschauenden Spielleiters, der eine Versuchsanordnung herstellt und danach die Figuren nach seinem Gutdünken umgruppiert. Dazu paßt natürlich der Erzähler, der wie gehabt mit sanfter Stimme und triefendem Sarkasmus das Geschehen kommentiert und wie der Regisseur selbst mit keiner der Personen hier auch nur das geringste Mitgefühl zeigt, dazu paßt der wie in „Dogville“ total reduzierte, abstrahierende Stil, die theaterhaft angedeuteten Kulissen, der betont künstliche Handlungsraum auf einer dunklen Fläche und ohne sichtbare Wände, die Einteilung der Geschichte in sieben Kapitel, die auffällig häufige Benutzung der Draufsicht von hoch oben und so weiter. Man mag diesen Stil als arrogant und verächtlich abwerten, andererseits aber erzielt von Trier wieder erstaunliche Resultate, beispielsweise mit den durchweg brillanten Schauspielern, denen er wie gewohnt ein Maximum an Intensität abringt, oder eben mit der angesprochenen Reduktion, die uns erlaubt, uns völlig auf die Personen und ihre Aktionen zu konzentrieren, die jedes unnötig schmückende Beiwerk wegläßt und uns nach dem wie gesagt zum Teil ein wenig langatmigen Auftakt immer stärker in die Geschichte hineinzieht. Formal findet sich hier die gleiche totale Kompromißlosigkeit wie in „Dogville“, inhaltlich finde ich „Manderley“ eigentlich noch interessanter, provokanter und spannender, sodaß ich schon jetzt gespannt darauf bin, was sich von Trier für den Abschluß der geplanten Trilogie einfallen lassen wird. (18.11.)