Match Point (#) von Woody Allen. England/USA, 2005. Jonathan Rhys-Meyers, Scarlett Johansson, Emily Mortimer, Matthew Goode, Brian Cox, Penelope Wilton
Die große Überraschung dieses Films liegt für mich gar nicht darin, daß Woody Allen ganz plötzlich seine Kuschelecke in Manhattan verlassen hat, denn wenn man den Fall mal bei Tageslicht betrachtet, macht das nicht den wirklichen Unterschied aus – früher hat er die Schickeria New Yorks aufs Korn genommen und nun nimmt er die Schickeria Londons aufs Korn. Abstufungen liegen hier bestenfalls im Detail – die Schickeria Londons geht zusätzlich noch reiten und schießen, aber in feinen Bars, auf exklusiven Tennisplätzen, in angesagten Ausstellungen und in der Oper trifft man sich zu beiden Seiten des Atlantiks allemal, und hier wie dort gelten die Regeln der Klassenschranken und des Snobismus. Da kann Meister Woody noch so lange vom tollen Londoner Licht und meinetwegen auch den günstigeren Produktionsbedingungen schwärmen, aber inhaltlich wie auch künstlerisch sehe ich in dem Ortswechsel keinen tiefer liegenden Sinn. Die wirkliche und wirklich positive Überraschung liegt für mich vielmehr darin, daß es ihm zum ersten Mal seit ewigen Zeiten geglückt ist, einen wahrhaft überzeugenden, sogar brillanten dramatischen Film zu machen, einen Film, der völlig ohne die gewohnten Kalauer auskommt und dies auch bestens verkraftet, einen Film, der eigentlich gar nicht in Woodys Werk paßt, der viel eher als die ultimative Leinwandversion eines Patricia-Highsmith-Romans durchgehen könnte, denn er trifft im Ton geradezu atemberaubend perfekt genau Highsmiths immer wieder variiertes Thema von Lüge, Intrige, Schuld und schicksalhaften Verstrickungen, erzählt genau wie sie eine Geschichte, die im Grunde ganz unschuldig und harmlos anfängt, um sich dann unaufhaltsam zu verwickeln und zuzuspitzen, bis plötzlich nur noch die Gewalt als möglicher Ausweg zu bleiben scheint.
So geht es Chris, einem ehemaligen irischen Tennisspieler aus bescheidenen Verhältnissen, der nun als Tennislehrer nach London kommt und dort schnell Kontakt findet zur wohlhabenden Familie Hewett. Er freundet sich mit Tom an, wird von dessen Schwester Chloe sofort umworben und lernt Toms Verlobte, die amerikanische Schauspielerin Nola kennen und verliebt sich in sie. Fortan ist er zerrissen zwischen seinen Gefühlen für Nola und der Einsicht, daß ihm die Verbindung mit Chloe Wohlstand, einen guten Job und Sicherheit geben wird. Lange lügt und mauschelt er sich durch, verheimlicht sein Verhältnis, heiratet Chloe und steigt bei Paps in der Firma hoch ein, doch als Nola schwanger wird, eskaliert die Situation, zumal sie ihn dringend auffordert, Chloe die Wahrheit zu sagen und die Ehe aufzulösen. Schließlich inszeniert Chris einen brutalen Doppelmord, um von seinem Motiv abzulenken und hat am Ende schieres Glück, daß ihm der Detective nicht doch auf die Spur kommt, aber wie schon zu Beginn gesagt wird, manchmal fällt der Ball über die Netzkante und manchmal bleibt er bei dir im Feld liegen. In diesem Fall segelt ein Ehering nicht über die Brüstung in die Themse, sondern kullert zurück aufs Pflaster und wird gefunden, und nur deshalb kommt Chris davon und darf von nun an den sauberen Schwiegersohn, Ehemann und Familienvater spielen.
Diese motivische Klammer (Tennisball – Ehering) ist typisch für den Ton des Films, der teilweise recht grimmig und sarkastisch ist, manchmal allerdings, vor allem zu Beginn, auch nur locker und ironisch. Da gibt es noch gutgelauntes Gespöttel über den Dünkel und die Einfältigkeit der oberen Zehntausend, doch je enger es für Chris wird, je mehr er sich in sein eigenes Lügengebilde verstrickt, desto bedrängender und auswegloser empfindet er seine Situation, desto düsterer und auch spannender wird die Geschichte und desto stärker wird man als Zuschauer gefordert, sich entweder innerlich zu engagieren oder sich total zu distanzieren, was aber verdammt schwer ist, und hier kommt wieder der geniale Highsmith-Touch zum Tragen, den Woody Allen so bemerkenswert nachempfindet, ob nun mit Absicht oder nicht. Chris hat viel von Tom Ripley - ein charmanter, verbindlicher Typ, der überall sofort gut ankommt, schnell Anschluß findet, seine Umwelt lange Zeit erfolgreich täuschen kann und immer wieder haarscharf an der Katastrophe, sprich der Enttarnung, vorbeischlittert. Anfangs ist er fast eher noch das Opfer, Objekt der Begierde bis obenhin versnobter, egozentrischer stinkreicher Leute, die sich gar nicht vorstellen können, daß man Kaviarblinis gar nicht kennt und noch nie zur Treibjagd war, die sich gutaussehende Bekannte wie Trophäen an den Hut stecken oder aber ihn gleich zur Nachzucht heranziehen wollen. Gleichzeitig ist er auch noch Opfer seines Ehrgeizes, auf der sozialen Leiter endlich aufzusteigen, weswegen er durchaus berechnend vorgeht, und er ist gewissermaßen Opfer seiner Gefühle für Nola, die er den Umständen gemäß niemals frei ausleben und zeigen darf. Und ob wir wollen oder nicht, irgendwie fiebern wir irgendwann dann doch mit ihm, obwohl er immer unsympathischer und kälter wird, weil wir genau wie alle beteiligten Personen in die Intrigen und Verwirrungen längst hineingezogen wurden. Schuld daran ist Woody Allens für meinen Geschmack ungewohnt raffinierte und präzise Inszenierung, die bei seinen Komödien in diesem Maße nie nötig war. Er nimmt sich sehr viel Zeit für die sorgfältige Schilderung aller sozialer und zwischenmenschlicher Verhältnisse – der Film ist über zwei Stunden lang, eine glatte halbe Stunde länger also als bei ihm üblich – und hat diesmal auch ausgezeichnete Dialoge geschrieben, was bei seinen sonstigen sogenannten ernsten Filmen weißgott nicht immer der Fall war. Leider kommt zwar immer noch mindestens zweimal der Satz „Ich fühle mich so schuldig“ vor, den ich eigentlich bis an mein Lebensende in keinem Film mehr hören wollte, aber sonst sind die Gespräche sehr ausgefeilt, sehr realistisch und weisen wie schon gesagt ein bemerkenswertes Spektrum an Ironie auf. Die wie immer edel gestylte Optik ist wieder nah an den Hauptdarstellern, die sämtlich hervorragend sind, und so erwischt man sich vielleicht mittendrin, wie man doch mitgeht und mitbangt, obwohl eigentlich niemand hier wirklich sympathisch ist oder gar zur Identifikation einlädt, allein die Konstruktion der Story ist derart geschickt und perfide, daß sie uns einfach mit einsaugt. Ich habe ehrlich gesagt von Woody Allen nach all der zugegeben guten Routine der letzten Jahre eine so schlaue und aufgeweckte Regieleistung nicht mehr erwartet, habe mich natürlich besonders gern eines Besseren belehren lassen und bin erstmals seit langem wieder gespannt auf seinen nächsten Film. (30.12.)