Samaria (#) von Kim Ki-duk. Südkorea, 2004. Lee Uhl, Kwak Ji-min, Seo Min-yung

   Zwei Schulmädchen in Seoul träumen von einer Reise ins ferne Europa. Um das nötige Geld dafür zusammenzukriegen, machen sie ein höchst lukratives Geschäft auf: Sie spähen potentielle Herren aus, und Jae-young, die eine der beiden, geht dann mit ihnen rauf in ein Hotelzimmer, während die andere, Yeo-jin, unten Schmiere steht wegen der ständig wachsamen Sittenpolizei. Das klappt eine Weile lang wunderbar, und Jae-young hat sogar richtig Spaß an ihrem Gewerbe, doch eines Tages rückt ihnen die Polente zu dicht auf den Pelz: Mit ihrem unauslöschlichen Lächeln, das sie auch noch als Tote zeigen wird, springt Jae-young einfach aus dem dritten oder vierten Stock des Hotels und zerschmettert sich ihren Schädel auf der Straße. Yeo-jin nimmt sich daraufhin das bislang verdiente Geld und ein Notizbuch mit den Namen der Kunden, und nun klappert sie all diese Herren ein zweites Mal ab und gibt ihnen nach vollzogenem Beischlaf ihr Geld zurück, so als wolle sie alles rückgängig, ungeschehen machen. Dann aber kommt ihr eigener Vater dazwischen, selbst ein Polizist, der aber von dem Treiben seiner Tochter und den Gründen für Jae-youngs Tod bislang nichts geahnt hat. Er sucht die Schuld nun bei den Herren, die sich seiner Meinung nach an minderjährigen Mädchen vergriffen haben, und er startet einen wilden, blutigen Rachezug. Zuletzt unternehmen er und seine Tochter eine Fahrt raus aufs Land, um dort das Grab der Mutter zu besuchen. Die jähe Ruhe, die wohltuende Abwesenheit der Riesenstadt bringt die beiden ein wenig zur Besinnung, bringt sie einander wieder näher. Er läßt sich schließlich von Kollegen verhaften, während sie Autofahren lernt und hilflos im Schlamm steckend zusehen muß, wie ihr Vater abgeführt wird.

   Eine andere Welt, lautete das erste spontane Fazit draußen vor der Tür, und irgendwie ist damit schon ziemlich viel gesagt. Klar, die asiatischen Filme kommen irgendwie alle aus dieser anderen, fremden Welt, und mal ist sie faszinierend, mal düster, mal total abgedreht und mal verlockend und rätselhaft. Und manchmal einfach nur fremd, so wie hier. Obgleich mehr als genug Erschütterndes, Schlimmes geschieht, fand ich es persönlich ein wenig schwer, zu dem Geschehen eine emotionale Beziehung aufzubauen. Stoisch, wortkarg, unerbittlich und nach eigenen Regeln läuft die Geschichte ab, zunächst eine auf fast perverse Weise komödiantische Teenagergeschichte, dann das Drama eines Mädchens, das versucht, die Schuldgefühle wegen des Todes ihrer Freundin zu sühnen, indem sie sich selbst auch noch einmal erniedrigt und verkauft an freundliche ältere Herren. Dann wird’s vollends finster als der Vater losschlägt, weil für ihn eine ganze Welt zusammengebrochen ist und er irgend jemandem die Schuld geben muß, nur natürlich nicht seiner eigenen Tochter, die ja nun von niemandem zur Prostitution gezwungen wurde. Sowohl die Sühneaktion als auch die Rache laufen folglich ins Leere, weil sie sich entweder gegenseitig vereiteln und entwerten oder auf grundlegenden Mißverständnissen basieren. Kim Ki-duk macht deswegen nicht viele Worte, muß er auch nicht, denn seine Bilder, mal schroff und mal poetisch, sprechen für sich, obwohl soviel lakonisches Drama und Leiden nicht gerade leicht zu verdauen sind. Dem Horror der Stadt entkommen die beiden (und auch wir) dann draußen auf dem Land, die Ereignisse setzen sich, sickern in die beiden ein, erzeugen Reaktionen. Der Vater erkennt, daß es ihm nicht gelungen ist, das einst Zerstörte wieder zu heilen, im Gegenteil, er hat nur noch mehr zerstört, und folglich stellt er sich selbst, will die Tochter allein in eine hoffentlich stabilere Zukunft entlassen. Zurück bleiben vielfach Rätsel, Unverständnis, vor allem bezogen auf die beiden Mädchen, die nicht nur kein Problem damit zu haben scheinen, sich an Männer zu verkaufen, die dies sogar genießen und sich teilweise in die Freier verlieben. Mit sichtlichem Spaß ist die merkwürdig entrückte, ewig träumerisch lächelnde Jae-young bei der Sache, so sehr, daß Yeo-jin schließlich eifersüchtig wird, immer wieder auf den geschäftlichen Aspekt der Dates drängt und sie so knapp wie möglich zu halten versucht.

 

   Es finden sich einige faszinierende, eindrucksvolle Passagen in dem Film und auch so manches Befremdliche. Eindrucksvoll bleiben sicherlich auch die Schauspieler im Gedächtnis, doch fällt es mir einfach grundsätzlich schwer, mich in diese Schuld- und Sühne- und Rachekonstellationen hineinzudenken, erst recht, wenn sie so kraß angelegt sind wie in diesem Fall. Eigentlich gar kein schlechter Film, nur eben – fremd. (26.1.)