Somersault (#) von Cate Shortland. Australien, 2004. Abbie Cornish, Sam Worthington, Lynette Curran
Da habe ich doch wieder was dazugelernt: In Australien gibt es Berge, okay, das wußte ich schon, aber es gibt auch richtig echte Wintersportgebiete mit Tourismus und allem, was dazugehört. Und ich dachte, da unten gibt’s nur Wüste, wenig Leute und viele Känguruhs, aber ein Check im Atlas zeigt’s mir: In New South Wales, in der Umgebung von Canberra, liegen die Snowy Mountains und die sind sogar richtig hoch. Ganz ehrlich, das war mir völlig neu, ist aber zugleich ein schöner Beweis für die längst etablierte These, daß Kinogänge gut sind für die Bildung.
Kinogänge sind natürlich auch sonst gut, vor allem, wenn man einen solch fabelhaft schönen Film zu sehen kriegt wie diesen hier. Einerseits eine klassisch australische Außenseiterballade, außerdem ein klassischer Selbstfindungsfilm und dann auch noch ein klassischer Frauenfilm, und das alles ohne Anstrengung, ohne Pathos, ohne großes Getue.
Heidi lebt mit ihrer Mom und deren Lover, und eines Tages geschieht es, daß die Tochter mit dem Knaben zu knutschen anfängt und die Mama just dazukommt, natürlich eine Heidenszene hinlegt, woraufhin Heidi Hals über Kopf davonläuft und zwar just in jenes Wintersportgebiet, wo sie glaubt, einen Typen zu kennen. Der aber will sich nicht an sie erinnern, und so steht sie ohne Bleibe und ohne Kohle da, und ein hastiger one night stand hilft ihr da auch nicht weiter. Sie findet schließlich Unterkunft in einem Motel, einen Job in einer Tankstelle, und sie findet Joe, einen etwas wortkargen Typen, der bei seinen Eltern auf der Farm arbeitet, und sich nicht so recht entscheiden kann, was nun mit Heidi und ihm ist. Genau daran aber geht die Sache schließlich zu Bruch, denn Heidi braucht nichts dringender, als jemanden, zu dem sie gehört, der ihr Halt und Vertrauen gibt und der sie nicht nur körperlich ausnutzt, sondern ihr einmal klar und deutlich sagt, daß er sie liebt. Joe bringt das nicht fertig, und Heidi macht es ihm auch nicht leicht, und so bleibt alles in der Luft hängen, als Heidis Mom die Tochter eines schönen Tages wieder mit nach Hause nimmt.
Heidi macht es nicht nur Joe schwer, sie macht’s auch uns schwer, aber anders als zum Beispiel in so manchem französischen Film, wo uns die Protagonisten auch bis zum Ende irgendwie fremd und fern bleiben, macht das in diesem Fall nichts, denn man versteht schon, was Heidi bewegt, was sie dazu treibt, in teilweise ziemlich chaotischen Aktionen nach Bestätigung und Nähe zu suchen, zumal sie Joe auch ganz unmißverständlich zu verstehen gibt, was sie braucht und was sie von ihm erhofft. Joe aber ist ein bißchen wie sie, auch er kann nicht über seinen Schatten springen und auch er neigt dazu, seine Gefühle nicht dort zu lassen, wo sie hingehören, sondern sie anderweitig auszuagieren. Das hinlänglich bekannte und diskutierte Mann-Frau-Gefälle, was die Bereitschaft zur Kommunikation und zur Artikulierung von Gefühlen angeht, spielt eine zusätzliche Rolle, denn Joe als eher kerniger (aber nicht unsensibler) Landbewohner und Farmersohn ist auf diesem, unsicheren Terrain nicht zu Hause. Er ist daran gewohnt, mit seinen Kumpels um die Häuser zu ziehen, den einfachen Vergnügungen nachzugehen, und mit Mädchen hat er sich offenbar bislang nur oberflächlich eingelassen. Heidi überfordert ihn ein bißchen, er braucht seine Zeit, um für sich zu klären, was er will, und als er es dann weiß und wieder auf sie zugeht, sitzt sie schon fast bei Mama im Auto. Heidi überfordert auch die scheinbar recht schlicht gestrickte Männerbevölkerung am Ort im ganzen, denn die sieht in ihr nur ein Flittchen, eine Schlampe, eine Bedrohung für die eigenen Kinder, ein Mädchen, das gern und oft mit Männern geht und leicht zu haben ist. Es kann gut sein, daß es solche Konstellationen auch heute noch gibt, ich für meinen Teil hätte auf dieses Element verzichten können, aber es sorgt natürlich für eine zusätzliche Zuspitzung der Situation und verdeutlich, daß Heidi stark abhängig ist davon, daß sich Joe für sie entscheidet und öffentlich zu ihr steht, denn sonst würde sie nie in die spießige Machogemeinschaft integriert werden können, wenn sie es denn überhaupt wollte.
Cate Shortland erzählt ihre Geschichte vom Weggehen um anzukommen sehr ruhig, mit starkem Blick für Details und Stimmungen, mit tollen atmosphärischen Bildern und vor allem mit einer grandiosen Hauptdarstellerin, die ihre komplexe, schwierige Rolle bravourös meistert und eine faszinierende Leinwandpräsenz entwickelt. Gerade das geduldige, intensive Tempo ermöglicht es uns, in die Personen und ihre Situationen hineinzuhorchen, das Geschehen auf uns wirken zu lassen, gleichzeitig aber auch schon zu reflektieren, weil wir nicht zugeschüttet werden von Impressionen und Sensationen, sondern weil Shortland sich und uns Zeit läßt, und gerade die fehlt oft bei solchen Filmen, die zu hektisch und eifrig vorwärtszappeln, weil halt das Lebenstempo heutzutage auch so rasant geworden ist. Shortland macht diesen Fehler nicht, und deswegen ist dieser sehr poetische, eindringliche, gefühlvolle und manchmal auch sperrige Film so herausragend. (10.7.)