Sophie Scholl von Marc Rothemund. BRD, 2004. Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, Johanna Gastdorf, André Hennicke, Florian Stetter

   Mehr als zwanzig Jahre sind nach den Filmen Michael Verhoevens und Percy Adlons vergangen und trotzdem fragte ich mich zunächst spontan, ob ein neuer Film über die Weiße Rose überhaupt sein muß, denn die Historie ist ja nun mal wie sie ist, unbestreitbar und leider auch unabänderlich, weshalb es mir sehr zweifelhaft erschien, daß Rothemund irgend etwas Neues zu sagen haben könnte.

   Und wirklich Neues hat er auch nicht zu sagen, immerhin aber kann er auf neu veröffentlichte Verhörprotokolle zurückgreifen, die jahrzehntelang in Stasiarchiven lagerten und nun eine noch intensivere, detailliertere Darstellung der letzten fünf Tage im Leben Sophie und Hans Scholls ermöglichen. Wobei der Fokus deutlich auf Sophie liegt, ihre stundenlangen Konfrontationen mit dem Gestapomann Mohr und vor allem die Entwicklung, die der Fall in diesen nur wenigen Tagen nimmt. Die Verhaftung in der Uni (noch immer ist mir nicht begreiflich, wieso sich die beiden so widerstandslos von dem Hausmeister abführen ließen), die ersten kurzen Verhöre vor Ort, dann die Untersuchungshaft, die intensiven Befragungen, Sophies Weigerung, die von Mohr gebauten Brücken zu nutzen und sich auf Kosten der anderen zu entlasten, ihre Zellengemeinschaft mit Else Gebel, die eine wichtige Zeugin hinsichtlich dieser Tage und Sophies Befindlichkeit ist, dann die sich verdichtenden Beweise, die heraufziehende Bedrohung mit der Todesstrafe, Sophies Standfestigkeit Mohr gegenüber, letztlich die farcenhafte Gerichtsverhandlung mit jenem geifernden, spuckenden, schäumenden Monstrum Freisler, das demonstrativ schnell vollzogene Todesurteil, die Abscheide von den Eltern und den beiden Mitstreitern der Weißen Rose. Rein äußerlich kann das wie gesagt im Vergleich zu den beiden anderen Filmen, die Rothemund inhaltlich zusammenfaßt, keine neuen Einsichten bieten, doch wird uns hier vor allem die Figur der Sophie Scholl viel näher gebracht, hauptsächlich in den außerordentlich intensiven Gesprächen mit Gestapomann Mohr. Zuerst streitet sie noch jede Schuld ab, wirkt fast cool und sicher, dann, als die Nazis einen Beweis nach dem anderen vorlegen, schwenkt sie radikal um, geht in die Offensive, bekennt sich zu den Flugblättern und ihren Inhalten und weist kompromißlos jeden Versuch ab, sie von der Gruppe zu trennen, ihre Beteiligung und Verantwortung auf kosten der anderen herunterzuspielen. In Mohrs Miene wird immer wieder deutlich, daß er eine widerwillige Achtung hegt für die starke, mutige junge Frau und daß er nicht verstehen kann, wie eine 21jährige ihr Leben für die Sache aufs Spiel setzen kann, und für einen kurzen Moment scheint er fast eine gewisse Sympathie zu hegen, bis sich wieder der Nazi in ihm durchsetzt, der die Gesetze mit teutscher Gründlichkeit exekutiert. Das ist enorm spannend geschildert und brillant gespielt von Alexander Held, zu dem auch wir als Zuschauer ein ambivalentes Verhältnis haben, weil eben hinter dem Nazi manchmal der Mensch zum Vorschein kommt, und das ist eben nicht nur im Drehbuch so angelegt, sondern das bringt vor allem der Schauspieler toll zum Ausdruck. Sophie auf der anderen Seite schwankt zwischen fast übermenschlicher Courage und Beherrschung und dann doch immer wieder ausbrechenden Angstattacken, vor allem im Kontakt zu Else Gebel in der Zelle, die uns daran erinnern, daß hier eine ganz junge Frau mit vielen Lebensplänen und einem Verlobten auf den Tod wartet und nicht nur eine unglaublich mutige, klare Widerständlerin. Julia Jentschs Spiel ist großartig (auch wenn ich sie nicht über Lena Stolze aus den beiden anderen Filmen stellen würde), bringt jede Nuance perfekt zur Geltung, wirkt dabei vollkommen natürlich und unforciert. Als Schauspielerin tritt sie total hinter die Rolle zurück, konfrontiert uns in jeder Szene schmerzhaft direkt mit ihren Gefühlen und der wahnsinnigen Spannung, unter der sie steht, ist somit maßgeblich daran beteiligt, daß der Film so stark und emotional wirkt.

   Wenn dieser Film einen großen Verdienst hat, dann ist das sicherlich der, daß er uns die Sophie Scholl noch einmal eindrucksvoll ins Bewußtsein zurückbringt und uns noch einmal verständlich macht, weshalb sie und ihr Bruder Hans stellvertretend für die Weiße Rose eine so große Achtung verdienen. Sie sind in der Tat, so wie sie hier dargestellt werden, absolut bewunderungswürdig und vorbildhaft, stehen bis zuletzt zu ihren Ansichten, brechen selbst im Angesicht des viehisch kreischenden Freisler nicht zusammen, sondern bieten dem Blutrichter vor versammeltem Nazipublikum Paroli. Was natürlich alles nichts an der Tatsache ändert, daß es im Grunde tragisch sinnlos ist, für etwas zu sterben, und besonders im Falle der Weißen Rose kann man sich vorstellen, daß sie größeren Einfluß hätten gewinnen können, vor allem in Münchner Studentenkreisen.

 

   Insgesamt ist „Sophie Scholl“ sehr leise, eindringlich und äußerst beeindruckend. Er stellt die wenigen Beteiligten so intensiv und komplex wie nur möglich in den Vordergrund, schildert Situationen und Stimmungen mit großer Intensität, krankt nur wie die meisten jüngeren Filme daran, daß er einfach zu viel Gebrauch von emotionalisierender Musik macht, aber das ist wieder mal mein Privatgeschmack. Musik als Gefühlsverstärker ist gerade hier völlig unnötig, weil diese Geschichte für sich spricht und zumindest mich noch immer tief bewegt und bedrückt hat. Solche Konzessionen an die scheinbar aktuell herrschenden Konsumgesetze kann man grundsätzlich ablehnen oder nicht, in diesem Fall habe ich sie in Kauf genommen, weil der Film im Ganzen sehr überzeugend ist. (9.3.)