Tony Takitani (#) von Jun Ichikawa. Japan, 2004. Issey Ogata, Rie Miyazawa

   Eine ganz neue Art des Literaturfilms ist hier zu bestaunen, oder vielleicht eher ein Film, der seit langem gepflegte Vorgehensweisen zur letzten Konsequenz führt: Wir lassen einen Off-Erzähler aus der Geschichte vorlesen und liefern dazu ein paar Standbilder, in denen sich, na gut, gelegentlich auch ein wenig Bewegung abspielt, aber eigentlich nicht wirklich. Nun ist das Zitieren kurzer oder auch längerer Passagen aus der Buchvorlage im Film nichts neues, und es kommt ganz auf den Standpunkt an, wie man das beurteilt. Ich persönlich war nie sonderlich begeistert davon, habe darin immer einen letzten Kunstgriff der Filmemacher gesehen, um die Defizite des Mediums zu kaschieren, ganz unnötig natürlich, denn es wird jedermann klar sein, daß ein Film nicht das gleiche leisten kann wie ein Buch, und er soll es ja auch gar nicht, er hat ganz andere Möglichkeiten, und wenn er diese vernünftig nutzt, dann kommt etwas dabei heraus, was mit einem literarischen Text nicht verglichen werden, ihm jedoch an Ausstrahlungskraft und Faszination durchaus ebenbürtig sein kann.

 

   Jun Ichikawa nun versucht tatsächlich, die beiden Medien so weit es eben geht zu verschmelzen. Eine milde und auf Dauer recht eintönige Stimme trägt lange Passagen aus Haruki Murakamis Erzählung vor, natürlich mit dem Ergebnis, daß die Bilder hier nicht wie sonst die Aufgabe haben, die Geschichte zu erzählen, sie sind hier vielmehr darauf reduziert (und ich meine „reduziert“!), das ganze zu illustrieren. Wir lernen also den Sonderling Tony Takitani kennen, erfahren, wer sein Vater war und was er erlebt hat (Krieg, Gefangenschaft, Jazz in Shanghai usw.), wie Tony zu seinem Namen kam, wie er sich ein streng ritualisiertes, unscheinbares und ereignisloses Junggesellenleben einrichtet und dann doch eine Frau findet, wie er diese Frau, die süchtig nach Kleiderkaufen ist, nach kurzer Zeit durch einen Autounfall verliert, wie er mit diesem Verlust umgeht, wie er eine zweite Frau so wie die erste einkleiden will und wie am Schluß doch die Vernunft die Obsession besiegt. Eine sehr gefühlvolle, intime, tiefgründige Geschichte, und den Lesungen im Off ist ganz klar zu entnehmen, daß Murakami, der sich zur Zeit offenbar einer besonderen Beliebtheit erfreut, ein großartiger Stilist ist, nur: Ich bin ins Kino gegangen, um einen Film zu sehen, und wenn ich mal streng sein will, muß ich sagen, daß ich keinen Film gesehen habe. Sicherlich hält auch der Autor Murakami die der Story innewohnenden Emotionen stark zurück, verbirgt sie hinter stoisch-beiläufigem Gestus, aber Ichikawa unternimmt für meinen Eindruck keinen ernsthaften Versuch, diesen Stil filmisch zum Ausdruck zu bringen, denn ich finde nicht, daß sein Konzept der aneinandergereihten Impressionen, so schön und kunstvoll sie zweifellos drapiert sein mögen, ein filmisches Konzept ist, und folglich drückt er sich ganz einfach vor seiner Aufgabe als Filmemacher. Er erweist einem Autor seine tiefste Reverenz, er hängt buchstäblich an seinen Zeilen, doch er findet keine eigene Sprache. Er hat zwei herausragende Darsteller, jeweils in Doppelrollen, doch die haben im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu sagen, er hat erlesene Kunstfertigkeit und Ryuichi Sakamotos stimmungsvoll-melancholische Musik zur Verfügung, doch all dies wird nur zur edlen Staffage, und er hat vor allem eine Erzählung, die sicherlich einen bemerkenswerten Film abgeben könnte, wenn man vielleicht die allzu lange Exkursion über den alten Herrn Takitani abkürzen würde, aber er beläßt es leider bei seiner sonderbaren Anti-Dramaturgie, die auf Dauer (und der Film dauert wahrlich nicht lang) bei mir ein Gefühl der Monotonie erzeugt hat, obwohl zwischendurch immer mal einige Momente zum Vorschein kommen, die ein großes Potential andeuten, doch sie gehen so flüchtig vorüber wie alle anderen Sequenzen und Bilder auch. Ganz sicher ist dies ein höchst ungewöhnlicher, eigenwilliger Film, bedauerlicherweise nicht gleichzeitig auch ein besonders guter. (21.6.)