Vanity Fair (#) von Mira Nair. England/USA, 2004. Reese Witherspoon, Romola Garai, James Purefoy, Rhys Ifans, Eileen Atkins, Gabriel Byrne, Bob Hoskins, Jim Broadbent, Jonathan Rhys-Meyers

   W.M.Thackerays Roman von 1848 ist wahrlich kein leichter Brocken: Ein tausendseitiges Gesellschaftspanorama, eine monumental giftige Abrechnung mit der berüchtigten englischen Upper Class, seinerzeit selbstredend eine höchst umstrittene, skandalträchtige Affäre im viktorianischen Britannien, und heutzutage aus dem Curriculum, wenn’s um englische Literatur des 19. Jahrhunderts geht, nicht mehr fortzudenken. Eine Verfilmung ist allein aus quantitativen, aber auch anderen Erwägungen eine diffizile Sache – man muß die Essenz der vielen vielen Kapitel in mehr oder weniger zweieinhalb Stunden kondensieren, man muß ein gutes Maß finden zwischen Ausstattungsopulenz und Distanzwahrung, man sollte wenigstens versuchen, Thackerays typisch spöttischen, polemischen Ton zu treffen und man sollte vielleicht zu vermitteln versuchen, worum es ihm ging und in welche Verhältnisse er sein Werk plaziert hat. Toller Vortrag. Hollywood tritt nun aber auf und sagt, papperlapapp, es geht einzig und allein um den Schotter, und da zählen ganz andere Werte. Dazwischen befindet sich nun unsere arme Filmemacherin und versucht einen Spagat zwischen den beiden schwer zu versöhnenden Positionen irgendwo auf dem langen Weg zur künstlerischen Integrität und dem Segen der allmächtigen Produzenten.

 

   Alles in allem finde ich, daß ihr dieses Unterfangen nur leidlich geglückt ist. Becky Sharpes unendlich mühsamer, langwieriger und windungsreicher Weg nach oben durch die verschiedenen Schichten des fest betonierten englischen Gesellschaftssystems ist sicherlich ein großartiger Aufhänger für eine komplexe Frauengeschichte, allerdings muß man immer an Thackerays eigenes Motto denken, der sein Werk nämlich einen Roman ohne Helden nannte, was dann natürlich nicht nur für Becky, sondern für alle anderen Figuren auch gilt. Vor allem in der ersten Hälfte ihres ausführlichen Films findet Nair dafür den richtigen Ton und fabriziert eine überaus amüsante Satire, bissig, satirisch, mit genüßlich hingegossenen Karikaturen und trefflich gesetzten Akzenten. Beckys unermüdliche Intrigen, ihr unbeirrbarer Wille, ganz nach oben zu kommen und sei es unter Einsatz all ihrer weiblichen Reize, trifft auf eine Umgebung, die entweder maßlos dumm ist, maßlos versnobt, maßlos eitel oder naiv. Wir sehen verarmten Landadel mit einem Hang zur Verwahrlosung oder Morbidität, wir sehen dünkelhafte Familien aus der Stadt, die ihr Blut auf keinen Fall mit niederem Gesocks vermischen wollen, wir sehen gelangweilte, dekadente Hochadlige, die zu ihrem Vergnügen opulente Feste und anzügliche Tänze aufführen lassen, wir sehen die grotesken Auswirkungen des Kolonialismus in Form exotischer Einsprengsel in lächerlich unpassender Umgebung, wir sehen Spieler, Soldaten und andere, die einfach zu überleben versuchen. Nair legt das Spektrum angemessen breit an, allerdings kommt es schon früh zu einer gewissen Verwechslung, denn in all seiner Opulenz gelingt es dem Film nicht immer, die sozialen Verhältnisse so zu präzisieren, wie Thackeray dies getan hat, im Gegenteil finde ich, daß die allzu ausschweifende Üppigkeit mancher Sequenzen einem klaren Blick erheblich im Wege steht. In der zweiten Hälfte kommt dann hinzu, daß irgendwie der Schwung verloren geht und wir uns unversehens in einem Melodrama befinden, das nur noch selten die nötigen Spitzen hat, sondern die allgemeine Stimmung eher eintrüben läßt. Auch Reese Witherspoon, die bis dahin eine enorm beschwingte, gewitzte und höchst amüsante Darstellung gezeigt und uns fast schon zu Komplizen ihrer Schachzüge gemacht hat, wird plötzlich blaß und ernst, und als Zuschauer verliert man deutlich den Kontakt zu ihr. Nairs finaler Einfall, sie anders als im Roman nach Indien in eine sonnige Zukunft entschwinden zu lassen, hilft da wenig, gibt ihr nur die Gelegenheit zu etwas Bollywood mit Pomp und farbigem Getöse, was im Rahmen der übrigen Erzählung eher befremdlich und für meinen Geschmack deplaziert wirkt. So witzig und anregend also die erste Hälfte gelungen ist, so lang und eher fad streckt sich die zweite, was schade ist, denn die Voraussetzungen sind ja gar nicht so schlecht. Jede Menge illustrer und hochrangiger Schauspieler tummeln sich und bieten plastische, nachdrückliche Charakterporträts, und Thackerays  gnadenlose Satire sollte eigentlich ein gefundenes Fressen für jeden Drehbuchschreiber sein. Vielleicht traute man sich  aber doch nicht so ganz, auf Helden zu verzichten, und findet deshalb zu Becky und ihrer komplementären Freundin Amelia keine rechte Haltung, und vielleicht ist es auch zu aufwendig, einem Publikum von heute die Verhältnisse von vor hundertfünfzig bis zweihundert Jahren so nahe zu bringen, daß es wirklich sinnig und griffig ist. Insgesamt ist der Film also auf halber Strecke stehen geblieben, so daß ich ihn nicht wirklich geglückt finden kann. (5.4.)