Såsom i himmelen (Wie im Himmel) von Kay Pollak. Schweden, 2004. Michael Nykvist, Frida Hallgren, Helen Sjöholm, Lennart Jähkel, Niklas Falk

   Die Konstellation erinnert ziemlich an „Oh happy day“ aus Dänemark, der uns zu Jahresanfang noch erfreute: Ein Chorleiter aus der großen fernen Welt (ob nun Gospel oder Klassik) kommt (ob nun zufällig oder gewollt) in die Provinz und hilft dort einem kleinen lokalen Chor auf die Sprünge. Neben den gesanglichen Fortschritten ist in beiden Filmen besonders zu beachten, was die intensive Konfrontation mit ganz neu und körperlich erlebter Musik in den beteiligten Menschen auslöst, und so passieren die musikalische Entwicklung und allerhand zum Teil recht tiefgreifende private Veränderungen parallel in wechselseitiger Beeinflussung.

 

   Wobei im direkten Vergleich der schwedische Film weitaus komplexer, dramatischer, beeindruckender und intensiver ist und mir deswegen auch viel besser gefallen hat. Er hat mit der Hauptfigur Daniel obendrein einen sehr bemerkenswerten Charakter zu bieten, einen, den man so schnell wohl nicht wieder vergessen wird: Der Junge, der zu Beginn einsam im Kornfeld Geige übt, dann von seinen Mitschülern ewig gejagt und verdroschen oder anderweitig gepeinigt wird und schließlich mit der Familie flüchtet in ein Leben, das nur noch aus Musik besteht. Schnell wird der Junge zum gefeierten Virtuosen bis hin zu international berühmten Dirigenten, allerdings mit fragiler Gesundheit, und als der Maestro eines Tages in Milano während der Vorstellung zusammenbricht und Blut spuckt, entschließt er sich zum radikalen Rückzug und gleichzeitig zum längst fälligen Aufarbeiten seiner Kindheit und zieht zurück an den Ort seiner Kindheit, in das kleine Dorf in Norrbotten, wo es alles gibt, was er lange nicht mehr hatte: Raum, und Ruhe. Natürlich bleibt seine Identität als berühmter Künstler nicht verbogen, und eher widerwillig läßt er sich überreden, den Kirchenchor  erst mal zu beraten und dann ganz schnell aber zu leiten. Seine unkonventionellen Methoden und die ungewöhnliche Wirkung seiner Lektionen stoßen auf unterschiedliche Reaktionen: Unverständnis, Neugier, Bewunderung aber auch wütende Eifersucht. Der Pfarrer am Ort mißtraut ihm von Anfang an, und als er befürchtet, seine Frau an den allzu weltlich eingestellten Daniel zu verlieren, fällt er ziemlich aus der Rolle und will den vermeintlichen Rivalen mit allen Mitteln aus dem Amt drängen. Der Ehemann einer der Sängerinnen, zugleich ein ehemaliger Mitschüler Daniels, weiß sich nur mit roher, stumpfer Gewalt zu wehren, während sich umgekehrt eine andere junge Frau in Daniel verliebt und ihn schließlich auch für sich gewinnen kann. Diese und andere größere und kleinere Dramen spielen sich rund um den Chor ab, der am Ende in Salzburg an einem internationalen Wettbewerb teilnimmt. Dort gerät Daniel in eine tödliche Gesundheitskrise, und während er sterbend im Waschraum seinem großartig singenden Chor lauscht, sieht er sich selbst, wie er den kleinen Jungen mit der Geige aus dem Kornfeld rettet. Ein wirklich sehr rührendes, bewegenden Bild für das, was mit ihm geschehen ist: Nachdem er sich jahrzehntelang ausschließlich durch die Musik äußern konnte, hat er nun sehr mühsam und unter vielen Anstrengungen und Mißverständnissen gelernt, ganz normal mit Menschen zu kommunizieren, Gefühle zu entwickeln und sie auch zu äußern, Beziehungen einzugehen und sich sogar zu verlieben und auf diesem Wege all seine Hemmungen, Ängste und sein Mißtrauen den Menschen im allgemeinen gegenüber zu überwinden. Er lernt Fahrradfahren, er schreibt der mißhandelten Frau ein wunderschönes Lied, das so etwas wie der emotionale Höhepunkt des Films ist, er erkennt, daß er wohl immer irgendeine Herausforderung braucht und er spürt, daß er sich dem Jungen von einst unbedingt nähern muß, um endlich erwachsen werden zu können. Eine faszinierende Figur, eindeutig das Zentrum des Films, und auch faszinierend gut gespielt, und um ihn herum gruppiert sich eine Ansammlung sacht klischeehafter Personen, was mich aber nur unwesentlich gestört hat. Da ist die lebenslustige, lockere, unangepaßte Blondine, die den unbeholfenen Daniel dazu bringt, Verantwortung für seine Gefühle zu übernehmen. Da ist die etwas unscheinbare Pfarrersfrau, die längst verschüttete Emotionen und Gelüste freisetzt und sich endlich aus ihrer tradierten Rolle befreit. Da ist ihr Mann, der strenge, gnadenlos dogmatische Geistliche, der aus einem frühen Ingmar-Bergman-Film entsprungen zu sein scheint und folglich genauso leiden muß wie einst Max von Sydow oder Gunnar Björnstrand. Da ist die junge, schüchterne, verunsicherte Frau mit der großen Stimme und dem brutalen Schläger als Gatten, die sich auch erst mit Hilfe der Musik lösen kann aus ihrer Falle und ihrer Angst, den Mann endlich zu verlassen. Und es gäbe noch einige mehr aufzuzählen. Insgesamt finde ich den Film ein bißchen zu voll und hätte mir eine gewisse Reduktion der Situationen und Motive gewünscht. Die Nebenhandlungen sind nicht in jedem Fall ergiebig, und leider verliert der Chor an sich gegen Ende ein wenig an Profil, was nach vielen wunderbaren Szenen zuvor recht schade ist. Die gesamte Salzburgepisode finde ich unnötig, und die Szene, in der nacheinander sämtliche SängerInnen aus allen Chören in die Improvisation unserer Schweden einstimmen, schrammt schon hart am Kitsch entlang. Dafür entschädigen zahlreiche großartig inszenierte und gespielte Momente, mal sehr intim und leise, mal polterig und streitbar, mal sehr ernst und tiefgehend, dann wieder heiter und charmant. Insgesamt ein Film fürs Herz, für die großen Gefühle, aber ein Film, der diesem Anspruch auch locker gerecht wird, weil er Substanz hat und Mut und weil er, wie man deutlich sieht, von den Beteiligten mit tiefem Empfinden und viel Engagement bestritten wurde. Eine tolle Sache also und zugleich der allererste schwedische Film des Jahres, jetzt, wo schon fast November ist. Das sagt fast alles über da Angebot in den Kinos hierzulande (jedenfalls wenn man nicht gerade in Berlin, Hamburg oder München wohnt). (27.10.)