Willenbrock von Andreas Dresen. BRD, 2005. Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle, Dagmar Manzel, Tilo Prückner, Christian Grashof, Andrzej Szopa, Vladimir Tarasjanz

   Neues aus dem Wilden Osten: Dort gibt es, man glaubt es kaum, auch solche, die es geschafft haben. Bernd Willenbrock zum Beispiel, wohnhaft zu Magdeburg an der Elbe, seines Zeichens Besitzer eines florierenden Autohandels, einer attraktiven Gattin, eines repräsentativen Eigenheims in gutbürgerlichem Ambiente, einer Geliebten auf Abruf und vor allem eines unmäßigen Selbstbewußtseins. Das sich noch steigert, als er die Eroberung einer weiteren Frau in Angriff nimmt, einer ganz jungen Studentin, die er mit einem Alfa Romeo zu ködern versucht und der zuliebe er ihren alten Herrn Papa als Wachmann einstellt. Doch kriminelle Elemente umzingeln ihn langsam aber sicher: Mehrfach werden Wagen vom Hof geklaut, die Russenmafia rührt sich eifrig, und eines Nachts werden er und seine Frau Julia plötzlich in ihrem Wochenendhaus an der Elbe überfallen und können den Räubern nur knapp und mit Kampf entkommen. Der Schock sitzt tief, viel tiefer, als Willenbrock es wahrhaben will. Julia ist völlig traumatisiert und leitet schrittweise ihre Trennung ein, die junge Studentin macht ihm gleichfalls klar, daß eine gemeine Zukunft nicht stattfinden wird, der einst so coole Geschäftsmann fällt ein paar Mal total aus der Rolle, und auch eine frisch erworbene Schußwaffe bringt keine Beruhigung, im Gegenteil, er kommt zu einer weiteren fast irrealen nächtlichen Szene mit einem Autoknacker, den Willenbrock, so scheint es jedenfalls, niederschießt. Am Schluß bleiben die Dinge in der Schwebe – die Angst ist nicht vorbei, Willenbrock hat seine Fassung noch nicht wiedergefunden, und wie es mit Julia weitergeht, ist auch offen, immerhin umarmt man sich zu guter Letzt.

 

   Andreas Dresen hat sich hiermit nach seinen bisherigen, durchweg hervorragenden Filmen noch einmal in eine andere Liga abgesetzt, und ein brillantes, beklemmend realistisches, ungewöhnliches und intensives Drama inszeniert, zum einen eine großartig realisierte Psychostudie, zum zweiten eine eindringliche Geschichte von Männern und Frauen und ihren vielfältigen Beziehungen, und zum dritten, wie schon erwähnt, eine weitere Geschichte aus dem Osten mit einigen scharfen, satirischen und recht unbequemen Zwischentönen. Dresen stiegt so tief und kompromißlos auf diesen Typ Willenbrock ein, daß man ihm nicht ausweichen kann, keine Wahl hat als sich mit ihm pausenlos auseinanderzusetzen und ihn in all seinen Facetten hinzunehmen. Ein glatter, öliger Autoverkäufer mit flotter Diktion und Kontakten zu zwielichtigen Gestalten, ein verlogener Ehemann mit immer den gleichen Ausflüchten und Entschuldigungsritualen (nämlich dem unvermeidlichen Blumenstrauß!), ein Geliebter, der seine Frauen nach Bedarf antanzen läßt und obendrein glaubt, er könne jede kaufen, und dennoch kein durch und durch unsympathisches Arschloch, sondern einer, dem man in bestimmten Momenten sogar Sympathie entgegenbringt. Axel Prahls fantastische Darbietung ist der Schlüssel zum Erfolg dieses Films, ein phänomenal vielschichtiges, komplettes Charakterporträt, das von Anfang bis Ende fasziniert, so daß man gern hinnimmt, daß Willenbrock praktisch unentwegt im Bild zu sehen ist. Kontrastiert und abgestuft wird diese sehenswerte Vorstellung durch nicht minder gute weibliche Darsteller, die die unterschiedlichen Frauen in Willenbrocks Leben perfekt und sehr realistisch abbilden: Inka Friedrich ist als Julia besonders eindrucksvoll, eine Frau, die stets von ihrem Mann dominiert wurde, der sämtliche wichtige Entscheidungen für sie getroffen, der ihr neue Geschäfte eingerichtet, der sie ausgehalten hat, was sie zwar im Grunde stets als demütigend erlebt, was sie aber erst sehr spät dazu bringt, sich endlich von ihm zu lösen. Eine Frau, die genau weiß, daß er sie betrügt und hintergeht, die aber dann, wenn er wieder seinen lieben Blick aufsetzt und ihr seine Liebe erklärt, nicht hart bleiben kann. Erst als sie erlebt, wie er sie nach dem Überfall mit ihren Ängsten allein läßt, alles vergessen, verdrängen will, faßt sie den Mut, eigene Wege zu gehen. Auch Dagmar Manzel als die ältere Geliebte hat ein paar bemerkenswerte Auftritte: Die kühle Uniprofessorin, die sich von diesem aufgeblasenen, intellektuell weit unterlegenen Wicht herumkommandieren und per Telefon aus der Vorlesung holen und zum Sex ins Hotel bestellen läßt und die, als er schließlich mit ihr Schluß macht, dennoch weinend im Auto hockt, obwohl er sie nur schäbig benutzt hat. Dresen mischt auf irritierende Weise polemisch überspitzte, fast provozierend klischeehafte und politisch unkorrekte Szenen mit leisen, realistischen Impressionen, testet damit unsere eigenen Vorstellungen vom Leben im Osten mitsamt allmächtiger Russenmafia, unfähiger Polizei und neureichem Spießerklüngel und setzt dann seine tiefgehenden, durchweg glaubwürdigen Personenschilderungen dagegen. Er mischt auch Alltagssituationen und dramatische Wendepunkte im Leben, denen er alptraumhafte Züge verleiht, weil sie so unvermittelt in das bis dorthin eingefahrene, monotone Geschehen einbrechen und weil Dresen groß aufgebauschte Action vollkommen vermeidet. Nicht der Kampf selbst ist wichtig, sondern sein Echo, seine Nachwirkungen, die unerbittlich in die Gedanken, ins Bewußtsein sacken, die jedes Geräusch zur Gefahr werden lassen und die vor allem jegliches Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zunichte machen. Willenbrock kann sich letztlich auch nicht dagegen wehren, so sehr er es auch möchte, und als er so drastisch seine Verletzlichkeit und Anfälligkeit erkennen muß, bricht für ihn eine ganze Welt zusammen, parallel zu all den Beziehungskatastrophen, sich nun um über ihm zusammenbrauen. Optisch wird dies durch zunehmend ausbleichende, kalt überbelichtete, schroffe Bilder transportiert, die Willenbrocks zunehmende Leere und Isolation mit einfachen Mitteln nachvollziehbar machen. Dabei ist Dresen überhaupt nicht höhnisch oder moralisierend – niemand wird ernsthaft Schadenfreude gegenüber Willenbrock empfinden, wird denken, das hat der alte Mistkerl aber auch verdient. Im Gegenteil fühlt man absolut mit ihm und seiner Frau, kann das Trauma und die daran hängende Panik vollkommen nachvollziehen. Das ist eben die Kunst dieses Films, daß er uns nicht zu völlig einseitigen Stellungnahmen verleitet, sondern uns Leute vorsetzt, die man eben nicht so leicht schablonisieren und beurteilen kann. Ich habe lange keinen so beeindruckenden, brillant gestalteten und gespielten Film aus teutschen Landen mehr gesehen, der einen so sehr in eine im Grunde noch nicht mal so spannende oder neue Geschichte hineingezogen hat. Für Dresen ein ganz großer Schritt nach vorn – und dabei war er, wie gesagt, schon immer sehr gut – und wohin dieser Schritt führen wird, interessiert mich wirklich sehr. (23.4.)