Aaltra (#) von Benoît Deléphine und Gustave Kevern. Frankreich/Belgien, 2004. Benoît Deléphine, Gustave Kevern, Aki Kaurismäki
Aaltra ist der Name einer finnischen Landmaschinenfirma. Unter einem Anhänger dieser Marke werden zwei zerstrittene Nachbarn bei einer Prügelei auf offenem Feld begraben und finden sich gemeinsam im Krankenhaus als gelähmte Rollstuhlmenschen wieder. Und weil sie mit ihrem ohnehin mehr als trübseligen Dasein sonst nichts Konstruktives anzufangen wissen, machen sie sich schließlich auf den Weg aus der französischen Provinz durch Belgien, Deutschland und über die Ostsee bis rauf nach Finnland, um lautstark ihre Schadensersatzforderungen loszuwerden. Daraus wird zwar nichts, aber sie bekommen vom Herrn Kaurismäki höchstpersönlich einen Job und die Chance auf ein neues Leben angeboten.
Der Name Kaurismäki ist auch schon eine Art Stichwort und gibt in vieler Hinsicht den Rahmen für diesen Film vor, der sich mit viel lakonisch-coolem Gestus an ein eifrig gehütetes Tabu heranwagt und zwei behinderte Leute nicht nur als unglückliche, bemitleidenswerte Opfer zeigt, sondern zumeist als fiese, berechnende Arschgeigen, die ihr Handicap und die vermeintliche Rücksichtnahme der Umwelt gnadenlos ausnutzen. Immer wieder lassen sie sich von irgendwelchen Leuten über unwegsamstes Terrain wuchten, fallen gutmütigen Truckern auf den Geist, die sie mitnehmen, überfallen sogar Passanten auf offener Straße, um an dringend benötigtes Geld heranzukommen, klauen einem alten Opa seinen motorisierten Einkaufsroller, klinken sich bei einer Wohnwagenfamilie in den Urlaub ein oder fressen sich besonders dreist bei eine deutschen Familie in der Eifel durch, jedes Mal in der berechtigten Gewissheit, dass es eine ganze Zeit dauern wird, bis die Geduld der Leute aufgezehrt ist und sie es tatsächlich wagen, gegen die armen Behinderten aufzubegehren. Daraus ergeben sich einige köstlich bösartige Momente, die von anderen ausbalanciert werden, in denen die beiden dann doch Opfer sind: Sie werden von einem wüsten Nazimob verdroschen und ausgeraubt, beißen bei peniblen Schalterbeamten auf Granit oder finden sich urplötzlich am Flutsaum abgestellt und bis zum Hals im bedrohlich steigenden Wasser der Nordsee wieder. Und in zwei hinreißend prägnanten Bildern, die ein Musterbeispiel für ökonomisches Erzählen sind, wird beiden eine sehr traurige Vorgeschichte angedichtet: Die Ehefrau des einen weint über einem leeren, vollständig ausgerüsteten Kinderbett, und der andere starrt auf einen abgerissenen Strick, der vom einem Baumast baumelt. Mehr ist nicht nötig um anzudeuten, dass beider Existenz nicht unbedingt von Glück und Erfolg gekrönt ist, womit auch verständlich wird, weshalb beide im weiteren Verlauf wenig Skrupel zeigen, um ihre Rechte und auch mal um eine Flache Bier rücksichtslos zu kämpfen, weil man, wie auch sie aus eigener Erfahrung wissen, anders nicht zum Zuge kommt. Wer also möchte, kann diesem Film durchaus tiefergehende gesellschaftliche Aussagen entnehmen, und wer dies nicht möchte, kann sich über den trockenen, stoischen Erzählton und den oft sehr schwarzen Humor und der wirklich witzigen Schlusspointe freuen, wenn er denn an so was Freude hat. Freude hatte ich auf jeden Fall auch an den beiden originellen Typen, ihrer eigenartig unartikulierten, fast verfremdeten Sprache und vor allem an der fantastisch körnigen Schwarzweißfotografie, die manche Bilder schon fast irreal wirken lässt und die dem Film auf jeden Fall einen besonderen Touch gibt. Und einen besonderen Touch braucht solch ein Film irgendwie schon, denn seit spätestens Kaurismäki sind wortlose, gleichmütige Außenseitergeschichten keine Seltenheit mehr. (20.11.)