C.R.A.Z.Y. (#) von Jean-Marc Vallée. Kanada, 2005. Michel Coté, Marc André Grondin, Danielle Proulx
Noch ne Familienstory, diesmal auf die kanadische Art, eine glatte Dreiviertelstunde länger als obenstehendes Werk und konzeptionell doch in vielem sehr verschieden. Weniger nahegehend irgendwie, was mich betrifft jedenfalls, aber dennoch in jeder Hinsicht sehr gute Unterhaltung.
Zac wird ausgerechnet am Weihnachtstag 1960 als vierter Sohn in eine Familie hineingeboren, die sich fast wie ein Museum schräger Typen ausnimmt: Paps (wie bei Baumbach ist auch bei Vallée der Vater das wichtigere Elternteil, oder besser das ständige Reizobjekt) ist so ein richtig deftig-herzhafter Männertyp, der Patsy Kline und Charles Aznavour liebt, seine Söhne natürlich zu richtig echten Männern erziehen will und insgesamt auf sehr nette Art schlicht gestrickt ist. Mama ist mal wieder die Seele des Haushaltes, nach außen unauffällig, aber mit mehr Kraft als all die lauten Kerle zusammen und vor allem mit mehr Liebe, Geduld und Toleranz, kurz, sie hält den Laden zusammen, um sie herum rotieren alle anderen. Der eine Sohn ist ein provozierend gammeliger Hänger, der andere ein dauerfurzender Sportfreak, der dritte eine Intellektueller (nur echt mit Brille), der alles liest, was ihm vor die Augen kommt und der jüngste ist – Zac. Zuerst Papas Liebling, doch dann ereignen sich einige Dinge, die sein Mißtrauen erregen und die mit Zacs leider nicht eindeutiger sexueller Orientierung zu tun haben. Zac selbst – hin- und hergerissen zwischen David Bowie und Pink Floyd – ahnt früher oder später, daß er wohl schwul ist, kämpft aber nach außen verzweifelt gegen dieses Schicksal an, einerseits natürlich aus Angst vor Vaters dominantem Machismo, andererseits als Produkt seiner Erziehung aus latenten, ominösen Ängsten, die in seinem Unterbewußtsein heftig arbeiten und ihn einen langen Umweg über eine Frau nehmen lassen, die ihn trotz ausdauernder Anstrengungen aber nicht auf ihre Seite ziehen kann. Bis sich Zac aber schließlich zu seinem Schwulsein bekennen kann und auch bei seinem Vater endlich Anerkennung findet, vergehen viele Jahre und noch mehr Turbulenzen, die und Jean-Marc Vallée sehr launig, liebenswürdig und mit viel Sympathie und Mitgefühl präsentiert, wobei sich sein Mitgefühl keineswegs nur auf Zac konzentriert, sondern die ganze Familie und deren Opfer einschließt. Sie alle können nicht aus ihrer Haut und prallen mitunter deshalb mit ziemlicher Wucht aufeinander, und natürlich erregt der sanfte, irgendwie feminin wirkende Zac Irritationen, ungerichtete, unartikulierte Aggressionen und vor allem immer wieder Papis Wut, denn natürlich entspricht er nicht dem Wunschbild des kernigen Mackers. Aber auch Mitschüler und gern auch seine Brüder hacken auf ihm herum, Mädchen gegenüber kann er sich natürlich auch nicht offenbaren, und so gehen buchstäblich Jahrzehnte ins Land, bis sein anstrengendes Coming-out endlich bewerkstelligt ist. Es gibt fiel Komisches, Groteskes oder Skurriles zu sehen, manchmal auch Ernstes und Trauriges, immer in recht gelungener Mischung und ganz selten nur fällt ein bißchen auf, daß diese Familie in all ihren Extremen dich ein wenig konstruiert und künstlich ist. Der Wüstentrip nach Jerusalem, auf den ich persönlich gänzlich hätte verzichten können, ist eigentlich die einzige nennenswerte Länge hier (gegen Ende gibt’s davon ein paar, aber nicht wichtig), weil ansonsten immer soviel los ist und das so vorzüglich gespielt und einfallsreich gefilmt ist, daß man als Zuschauer durchweg gut beschäftigt und angeregt ist. Das alles ist schön unkonventionell und voller Überraschungen, auch voll schöner Musik, so richtig aus dem prallen Leben und wie gesagt mit viel liebe inszeniert. Das ist wichtig, damit sowas nicht zur seelenlosen Freakshow verkommt, und davon kann hier wahrlich keine Rede sein. Schöner Film aus Kanada, und leider gibt’s davon ja immer noch ziemlich wenige. (8.6.)