Caché (#) von Michael Haneke. Frankreich/Österreich/BRD/Italien, 2005. Daniel Auteuil, Juliette Binoche, Maurice Bénichou, Annie Giradot, Bernard Le Coq, Nathalie Richard, Daniel Duval
Georges und Anne werden eines Tages aus dem Gleichgewicht ihrer wohlhabenden und gesicherten Bildungsbürgerexistenz gebracht, als ihnen anonym mehrere Videobänder zugehen, auf denen nichts weiter zu sehen ist als ihr Haus, das offensichtlich über längere Zeit beobachtet und gefilmt wurde. Dazu Kinderzeichnungen zunehmend bedrohlicher Ausstrahlung und auch Telefonanrufe. Die Polizei kann, wie das immer so ist, erst dann agieren, wenn ein konkreter Tatbestand vorliegt, also ist das Ehepaar mit dem zwölfjährigen Sohn Julien zunächst allein mit wachsender Verunsicherung und Angst. Als Georges dann nach einem weiteren Video , das sein Elternhaus zeigt, einen Verdacht hat, wer dahinter stecken könnte, teilt er sich Anne zunächst nicht mit, was zusätzlich Spannungen erzeugt, und als er dann jenen Mann, Majid, aufsucht, an den er denkt und als kurze Zeit später Julien für einen Tag verschwindet, drohen die Dinge außer Kontrolle zu geraten. Georges muß Anne gegenüber Farbe bekennen, was er aber nur sehr zögernd und schrittweise tut, und er kann nicht verhindern, daß sich Majid schließlich in seinem Beisein die Kehle durchschneidet und ihn dessen Sohn wohl weiterhin verfolgen wird.
Nach seinem eher enttäuschenden Endzeitausflug in „Wolfzeit“ findet Michael Haneke in diesem hervorragenden Film wieder zu alter Form zurück und verzichtet glücklicherweise zusätzlich noch auf seine gefürchteten krassen Ausbrüche, die uns sonst häufig so schwer im Magen liegen. Ihm ist mit „Caché“ eine sehr intensive, präzise Studie bürgerlichen Lebens gelungen, das seine Anfälligkeit für äußere Bedrohungen und die Labilität des Oberflächenfriedens offenbart. Auslöser der Schwierigkeiten sind natürlich zunächst die Videos, vor allem letztlich aber Georges Unfähigkeit, Anne von Anfang an in seine Vermutungen, sein Wissen, seine Erinnerungen einzubeziehen. Die gehen zurück in seine Kindheit Anfang der sechziger Jahre, als die Eltern auf ihrem Hof auf dem Land eine algerische Flüchtlingsfamilie beherbergten und nach dem gewaltsamen Tod der Eltern auf einer Großdemo in Paris den kleinen Sohn Majid in die Familie aufnahmen. Der sechsjährige Georges ist mit der Situation überfordert, empfindet den gleichaltrigen fremden Jungen als Eindringling und Konkurrenten, reagiert mit Eifersucht und bösen Intrigen, die schließlich dazu führen, daß Majid in ein Heim kommt und damit keine Chance mehr auf eine vernünftige Zukunft hat. All dies wird nun in Georges wieder hochgespült, längst Vergessenes und Verdrängtes, doch indem er Anna die Wahrheit lange Zeit vorenthält, verspielt er auch noch ihr Vertrauen und muß mit der für ihn sehr belastenden Situation selbst fertig werden, was er nur durch noch mehr Verdrängung oder Aggression hinbekommt. Haneke schildert diese eskalierende Entwicklung sehr sorgfältig und realistisch, er vermeidet Übertreibungen, Effekthascherei oder Hysterie, bleibt nahe an Georges, während Annas Perspektive für uns immer ein wenig weiter entfernt ist, was leider auch zur Folge hat, daß sich Juliette Binoche schauspielerisch nicht so gut entfalten kann wie Daniel Auteuil, und da die gute Frau in letzter Zeit kaum noch im Film zu sehen ist, finde ich das natürlich besonders schade. Dafür ist es um so beeindruckender, wie brillant Haneke die verschiedenen inhaltlichen Ebenen verknüpft, einerseits die sich anbahnende Ehe- und Familienkrise, andererseits Georges Dilemma, in dem es zum einen um sein schlechtes Gewissen, um eine alte Schuld geht, zu der er sich erst nicht bekennen will, und zum anderen ganz klar auch um die politische Dimension seiner Geschichte, denn in dem, was er Majid angetan hat offenbart sich exemplarisch ein Stück französischer Kolonialgeschichte, deren unheilvolle Spätfolgen man gerade in den vergangenen Monaten in Paris einmal mehr erleben mußte. Deswegen sind die Zusammenkünfte von George und Majid und dessen Sohn von besonderer Spannung. Georges gibt sich von Beginn an aggressiv, abwehrend, absolut nicht gesprächsbereit, während ihm die Algerier ruhig, freundlich, in Majids Fall fast unterwürfig begegnen und sein schroffes, autoritäres Drohgebaren in keiner Weise rechtfertigen. In dieser Ruhe kann aber auch eine versteckte Drohung liegen, und so bleiben auch wir Zuschauer verunsichert zurück – die letzte sehr lange Einstellung zeigt Majids Sohn, wie er Julien nach der Schule abfängt, scheinbar freundlich mit ihm spricht und dann wieder fortgeht. Man kann das Gespräch nicht hören, folglich über den Inhalt nur spekulieren, ebenso über die Frage, wer nun die Videos aufgenommen und Georges auf Majids Spur geführt hat, weshalb sich Majid demonstrativ in Georges Anwesenheit tötet und ob Julien recht hat, wenn er seine Mutter verdächtigt, mit ihrem Kollegen ein Verhältnis zu haben, was sie zwar eigentlich ganz überzeugend verneint, aber immerhin ist auch in uns nun ein Zweifel gesät worden. Am Ende können wir perfekt nachvollziehen, wie es sein muß, wenn man plötzlich den sicher geglaubten Boden unter den Füßen verliert, wenn die einst so solide installierte Existenz von allen Seiten bedroht zu werden scheint und sich vor allem das gegenseitige Vertrauen ruckzuck in Luft auflöst, nur weil es vielleicht schwer ist, die ganze Wahrheit zu sagen. An dieser Stelle ist es eben auch kaum möglich, Georges zu verurteilen, denn wie er zurecht betont, hat er den Verrat an Majid als Sechsjähriger begangen und konnte unmöglich die Folgen seiner Tat absehen, und daß im Laufe von mehr als vierzig Jahren gewisse Dinge in Vergessenheit geraten, umso mehr wenn sie mit Schuldgefühlen behaftet sind, weiß wohl auch jeder.
Alles in allem ist dies sicherlich der beste Film, den ich von Michael Haneke kenne, vielleicht einfach weil er ein bißchen menschlicher wirkt als viele seiner oft kalten, spröden Werke, und auch im Vergleich zu dem ebenfalls hervorragenden „Die Pianistin“ finde ich ihn spannender, thematisch interessanter und stilistisch aufregender: Jeden Moment rechnen wir damit, daß die oft minutenlang gehaltenen Bilder irgendwie explodieren, aber daran sieht man nur, wie korrumpiert mittlerweile unsere Erwartungen sind, wie tief wir im Hollywoodsumpf stecken und uns gar nicht vorstellen können, daß eine ganze Zeitlang einfach mal gar nichts passiert. Jedenfalls fingen meine Nachbarn im Kino ziemlich bald an, unruhig mit den Füßen zu scharren und noch lauter mit ihrer Scheißerdnußtüte zu knistern. (30.1.)