The secret life of words (Das geheime Leben der Worte) von Isabel Coixet. Spanien/England, 2006. Sarah Polley, Tim Robbins, Julie Christie, Sverre Anker Ousdal, Javier Cámara, Steven Mackintosh

   Das ist sozusagen ein Film mit einer Falltür drin, und wenn sich nach erst einer reichlichen Stunde der dunkle Abgrund darunter auftut, fährt uns ahnungslosen Kinositzern der Schrecken ganz gehörig in die Knochen. Man spürt es an den spontanen Reaktionen und an Aussagen danach: „Darauf war ich nicht vorbereitet.“ Ist man auch irgendwie nicht, denn bis dahin sehen wir eine lakonische, zart poetische und auch humorvolle Geschichte einer vollkommen introvertierten jungen Frau, Hannah, mit vage ausländischem Akzent, die irgendwo in einer Plastikfabrik in Nordirland arbeitet, und zwar mit solch stoischer Ausdauer und fast maschineller Gleichförmigkeit, das schließlich die Kollegen Anstoß daran nehmen und ihr Chef sie auf einen einmonatigen Zwangsurlaub schickt, zumal sie selbst in vier Jahren niemals Urlaub hatte, nicht einen Tag krank und nicht eine Sekunde verspätet war. In kurzen, aber sehr prägnanten und zugleich traurigen und komischen Szenen erhalten wir Einblick in ihr Leben, das nur aus Arbeit zu bestehen scheint, und ansonsten in einer seelenlosen kleinen Wohnung abläuft, wo in jeden Tag in Zellophan verpackt Hühnchen, Reis und Äpfel ißt, nichts tut, und wenn ihr das Gequassel der Kollegen mal zuviel wird, schaltet sie einfach ihr Hörgerät ab. Den Urlaub verbringt sie dann als Krankenschwester auf einer Bohrinsel, wo sie einen Arbeiter mit schlimmen Brandwunden pflegt. Dort gerät sie in eine ebenfalls recht skurrile und von der Umwelt abgeschlossene Gesellschaft einiger weniger Männer und einer Gans, doch Joseph, der Mann, den sie jeden Tag wäscht und salbt und pflegt, gelingt es durch Hartnäckigkeit, Ehrlichkeit und Witz schließlich doch, ein wenig ihr Vertrauen zu gewinnen und so erzählt sie ihm, was sie erlebt hat. Wir hören eine entsetzliche Geschichte aus dem Balkankrieg, eine Geschichte von Massenvergewaltigung und Mord, eine Geschichte von äußeren und inneren Wunden, die niemals heilen können. Joseph versucht es trotzdem, er macht sich, nachdem er von der Bohrinsel aufs Festland geflogen und dort halbwegs wiederhergestellt wurde, auf die Suche nach Hannah, und die führt ihn unter anderem nach Kopenhagen zu einer Organisation ,die Kriegsopfern hilft und mit ihnen in Kontakt bleibt. Hier baut Coixet dann eine Szene ein, die das Spektrum des Films unvermittelt auf eine andere, eine eher offizielle, politische Ebene hebt, und obwohl dieses Anliegen sicher gut und richtig ist, spürt man ein gewisses Befremden, denn zuvor war dies ein extrem privater Film, ganz konzentriert auf wenige Menschen und ihr Innerstes, und nun tritt Julie Christie auf (worüber ich mich an sich natürlich freue) und konfrontiert den ahnungslosen Joseph mit einer Kartei, in der unvorstellbares Leid und Grauen festgehalten ist und appelliert an sein Verantwortungsgefühl, wie er mit seinem Wissen umzugehen gedenke. Er sucht und findet Hannah, kann sie überzeugen, mit ihm ein neues Leben anzufangen, und zuletzt sehen wir dann in der zweiten befremdlichen Szene ein fast übermäßig idyllisches Ende mit Heim und Garten und Familie und einer Hannah, die ihre innere Kinderstimme immer seltener hört und sich anscheinend wirklich mehr dem Alltag und der Zukunft zuwenden kann.

 

   Ich hatte den spontanen Gedanken, daß Coixet dieses Ende einfach für sich braucht, um eine halbwegs versöhnliche Schlußnote zu finden, denn das, was Hannah zuvor in einer quälend langen und intensiven Sequenz erzählt, ist wirklich kaum erträglich. Dieser fast irreale Ausklang im Musterheim und auch der etwas zu aufgesetzt wirkende Einsatz dieser Stimme (für die es verschiedene Deutungsmöglichkeiten gäbe) sind aber nur unbedeutend störende Momente in einem großartig inszenierten und gespielten Drama, das die faszinierend kargen, unwirtlichen Schauplätze sehr wirkungsvoll einbindet und viele außerordentlich eindrucksvolle zwischenmenschliche Momente hat. Hier zeigen sich zum einen Coixets besondere Sensibilität und auch Mut zu starken Emotionen, und andererseits die Qualitäten der Schauspieler, vor allem Sarah Polley und Tim Robbins sind einmal mehr grandios in ihren Rollen, die schnell auch ins Klischee hätten kippen können. Wunderbar führen sie vor, wie er sich langsam an sie herantastet (nach seinem Feuerunfall kann er zunächst nicht sehen), wie er mit Flirts und ironischer Anmache, aber auch offenem Interesse versucht, ihre Mauer aus Ausweichen und Einsilbigkeit zu durchbrechen, während sie andererseits sich danach sehnt, sich jemandem anzuvertrauen, gleichzeitig natürlich noch immer so furchtbar traumatisiert ist, daß sie erst dann zu erzählen beginnt, als sie sicher zu sein glaubt, ihn nicht mehr wieder zu sehen. Wie es dann letztlich vor sich geht, daß sie sich auf ein Leben mit Joseph einlassen kann und wie dieses Leben vor allem in der ersten Zeit aussieht, wäre natürlich Stoff für einen ganz anderen Film, gerade deshalb fand ich diesen verkürzten Nachklapp jetzt in diesem Fall nicht so gelungen. Aber gut, dies ist kein glattes Machwerk, Stromlinie schon gar nicht, sondern ein deutlich von persönlichen Interessen und Betroffenheiten geprägtes Projekt, das nach „Mein Leben ohne mich“ Isabel Coixet auf jeden Fall als eine der spannendsten und eigenwilligsten europäischen Filmemacherinnen etabliert und ich freue mich jetzt schon sehr auf  das, was in Zukunft von ihr kommen wird. (10.5.)