Das Leben der anderen von Florian Henckel von Donnersmarck. BRD, 2005. Ulrich Mühe, Martina Gedeck, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer, Volkmar Kleinert
Das Leben der anderen ist das, was den unscheinbaren Stasimann Wiesler am meisten interessiert, denn sein eigenes Leben ist nicht der Rede wert: Im grauen DDR-Einheitsbeton haust er Mitte der 80er in einer fast kafkaesk tristen, klaustrophobischen Wohnung und der einzige menschliche Kontakt ist eine Prostituierte, die offenbar die halbe Stasi bedient. Als Spezialist psychologisch ausgefeilter Verhöre ist er aber unschlagbar, und auf Lehrveranstaltungen mit Hilfe multimedialer Vermittlung teilt er sein Wissen und seine Erfahrungen den Aspiranten von morgen mit. Sein alter Freund und Stasikollege Grubitz setzt ihn schließlich auf den Dramatiker Dreymann und dessen Freundin, die Schauspielerin Christa-Maria an. Eigentlich wird Dreymann von der Parteispitze sehr geschätzt, von Erich und Margot im besonderen, und als Autor national gefeierter Theaterstücke ist er bislang politisch in keiner Weise negativ aufgefallen, doch Grubitz und Minister Hempf haben ihre eigenen Motive: Grubitz will mit seiner Karriere vorankommen und Hempf will die schöne Schauspielerin kriegen. Wiesler, ganz der sachliche, hundertprozentig linientreue Technokrat, macht sich eifrig ans Werk, verwanzt die Wohnung der beiden Künstler von oben bis unten, richtet sich auf dem Dachboden über den beiden ein und organisiert den OV rund um die Uhr. Je näher er den beiden aber kommt, je intensiver er an ihrem Leben, an ihren Gedanken und Gefühlen teilnimmt, desto mehr gibt er seine professionelle Distanz auf und wird schließlich, wenn auch nur teilweise, zu einem Helfer, der zwar nicht verhindern kann, daß Christa-Maria sich vor ein Auto wirft, der aber Dreymann vor dem Stasi-Zugriff bewahrt und ihm damit indirekt eine neue Karriere im wiedervereinten Deutschland ermöglicht. Als Dreymann später seine Akten einsieht und erkennt, was Wiesler getan hat, widmet er ihm ein Buch über einen „guten Menschen“.
Ein sehr intensiver, spannender, faszinierend vielschichtiger Film, der die DDR endlich mal nicht als dankbares Objekt für putzige Ostalgie benutzt, sondern ihre finstere, grausame Seite zeigt – und der vergleichsweise hohe Anteil älterer und offensichtlich persönlich interessierter Besucher im Kino zeigt deutlich, daß ein hoher Bedarf nach Aufarbeitung dieser Geschichte besteht und daß Klamotten à la Leander Haußmann auf keinen Fall das letzte Wort in Sachen Vergangenheitsbewältigung sein dürfen. Die DDR als archetypischer Überwachungsstaat, beherrscht von einem fast allmächtigen, von Paranoia, doktrinärem Eifer und rücksichtsloser Machtgier geleiteten Apparat namens Stasi, auf breiter Ebene installiert durch zahllose IMs, Denunzianten und Mitläufer, gekennzeichnet durch Angst, Drohung, Gewalt. Und alle der hier beteiligten erfahren das ganze System am eigenen Leib, sowohl die Stasileute, der ständig unter Erfolgsdruck gesetzt werden und neue OVs einstielen müssen, als auch die einfachen Leute von nebenan, die vielleicht mal etwas mitkriegen, aber sofort eingeschüchtert und massiv bedroht und somit zu Mitwissern, Mittätern werden, und erst recht natürlich die Künstler, verdächtig von vornherein, und selbst im Grunde staatstragende, brave Leute wie Dreymann können willkürlich in Schwierigkeiten gebracht werden, wenn die Mächtigen das so wollen. Das ist vielleicht das Beängstigendste an dieser Geschichte, wie pervers und brutal Macht benutzt bzw. mißbraucht werden kann. Ein feister Minister ist geil auf eine schöne Frau, die ihn normalerweise immer abweisen würde? Kein Problem - ein paar gezielte Andeutungen, ein paar leise Drohungen und schon weiß diese Frau: Überleben tut hier nicht, wer gut ist, sondern wer akzeptiert wird, und akzeptiert wird im Notfall nur der, der sich fügt und mitmacht. Also prostituiert sie sich beim Minister und läßt sich schlußendlich sogar als IM anheuern, einfach weil sie Angst hat, weil sie, wie sie selbst glaubt nicht stark genug ist, und sie ist sicherlich eine der tragischsten Figuren hier. Dreymann hingegen verbleibt die meiste Zeit in einer merkwürdigen Naivität, die ihn niemals ahnen läßt, daß er längst bespitzelt wird, und obwohl er engen Kontakt zu sehr systemkritischen Leuten hat und schließlich auch einwilligt, für den Spiegel einen Artikel über die hohe Suizidrate in der DDR zu verfassen, scheint er anders als Christa-Maria niemals die ganze Tragweite des Problems zu übersehen. Im Zentrum des (oder jedenfalls meines) Interesses steht aber Wiesler, ein diskretes, effektives, perfekt funktionierendes Rädchen im System, ein gläubiger Kommunist, der sein ganzes Leben der Aufgabe widmet, diesen Staat gegen Angriffe von innen zu verteidigen. Dies gelingt ihm vor allem deshalb so gut, weil er in jeder Situation in der Lage zu sein scheint, seine eigenen Gefühle einfach abzukoppeln und nur noch maschinell vorzugehen. Mit ausdrucksloser, höchstens professionell interessierter Miene registriert er die Reaktionen seiner Opfer im zermürbenden Dauerverhör, betreibt er Folter mit wissenschaftlicher Akribie und vollkommen jenseits aller Gewissensfragen und den Einwand eines Hörers, diese Methoden seien doch wohl unmenschlich quittiert er damit, daß er den Namen des kritischen Geistes gleich mit einem Kreuz versieht. Mit leicht gebeugter Körperhaltung, grauer Kleidung und einer völlig farblosen Aura ist er das genaue Gegenteil seines Schulfreundes Grubitz, der leutselig, extrovertiert und derb daherkommt, ein großmäuliger, zynischer Intrigant ohne Gewissen, den Blick strikt aufs eigene Fortkommen gerichtet, und während Wiesler die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nach eigenem Verständnis nur im Dienste des Staates einsetzt, benutzt Grubitz sie ohne Bedenken für die eigene Promotion. Zwei Seiten einer Medaille, zwei Gesichter eines Systems, und nur wenn man sie nebeneinander und komplementär betrachtet, versteht man das Ganze. Florian Henckel von Donnersmarck geht dabei durchaus ein wenig typisierend und vereinfachend vor, muß er vielleicht auch, um alle Facetten der komplexen Geschichte so deutlich wie möglich zu machen, und weil ihm der Film insgesamt so ausgezeichnet und in jeder Weise überzeugend gelungen ist, habe ich damit auch kein Problem. Die Wandlung Wieslers vom kalten Stasikrieger zum menschlich betroffenen Täter, der eine Ahnung davon zu bekommen scheint, daß er unrecht tut, oder der jedenfalls ganz plötzlich eine Ahnung von einem ganz anderen Leben hat, das ihn neugierig und fasziniert Anteil nehmen läßt, ist nicht ganz leicht nachvollziehbar, wird aber sehr sorgfältig und detailliert entwickelt und von Ulrich Mühe derart glänzend gespielt, daß man schließlich nicht mehr über Glaubwürdigkeit nachdenkt. Neben Mühe sind alle anderen Darsteller gleichsam hervorragend und sorgen dafür, daß die schwierige Balance zwischen eindrucksvollem, ernstem Privatdrama und bitterer Politsatire perfekt gelingt. Zudem findet Henckel v. D. einen absolut adäquaten, sehr ruhigen und intensiven Erzählstil, der auf grelle Effekte total verzichtet und sich nur den beteiligten Leuten widmet und vor allem in der Bildgestaltung viel Wert auf Atmosphäre legt. Das Motiv der „bleiernen Zeit“ jedenfalls wurde optisch selten so prägnant umgesetzt wie hier, in metallisch kalten, monochromen Graubrauntönen und einer Ausstattung, die Ödnis und Beklemmung zugleich spürbar werden läßt. Mir persönlich ist der Film lediglich zehn Minuten zu lang - den ganzen Nachklapp aus der Zeit nach der Wende hätte ich gern entbehrt, obwohl die Szene in der Buchhandlung, wo Wiesler die an ihn gerichtete Widmung in Dreymanns Roman entdeckt, noch mal ganz hübsch ist. Alles in allem aber wieder ein herausragender deutscher Film, einer der besten und auf jeden Fall ernsthaftesten, die sich nach der Wende mit der DDR beschäftigt haben und auch ein Film, der meiner Meinung nach international keinen Vergleich zu scheuen braucht, denn besser könnte man solch ein Thema auch in Frankreich, England oder Italien nicht umsetzen (von Hollywood ganz zu schweigen). (29.3.)