Le cou de la giraffe (Der Hals der Giraffe) von Safy Nebbou. Frankreich, 2004. Sandrine Bonnarie, Claude Rich, Louisa Pili, Darry Cowl

   Mathilde ist ein neunjähriges Mädchen mit einem sehr eigenen Kopf, einer allein erziehenden Mutter, einem italienischen Papa in den Staaten, einem Großvater im Altenheim und einer Großmutter, von deren Existenz sie eigentlich nichts wissen darf, weil sie einst den Opa verließ und der danach nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Nun gibt es aber Briefe und die hat Mathilde aufgehoben, und eines schönen Tages schnappt sie sich den verblüfften Opa, rüttelt ihn aus seiner Pensionärsroutine, und auf geht’s nach Biarritz, die Oma suchen. Mama, natürlich hart am Rande des Nervenzusammenbruchs, eilt hinterher, und dann wird erst mal die familiäre Biographie aufgearbeitet. Das Finale findet in Spanien statt, doch das erhoffte Happy End hat eindeutig eine traurige Färbung.

   Dies ist einer jener seltenen Filme, in denen sich glücklich zum besten fügt, was ebensogut total in die Hose hätte gehen können. Eine nicht eben konfliktfreie Familiengeschichte mit viel Ballast, mit Lügen und Geheimnissen, mit Trennungen, Fluchten, verschütteten Fragen und Gefühlen, und dann muß eben ein forsches Ding wie Mathilde her, um all die Verkrustungen aufzubrechen. Und aufzubrechen gibt’s wahrlich viel: Eine Vater-Tochter-Kiste, eine Mutter-Tochter-Kiste, eine Oma-Opa-Kiste undsoweiter, all der ganze Quatsch und Ballast, mit dem sich die doofen Erwachsenen unentwegt ihr Leben und das ihrer Kinder unendlich schwer machen, wo es doch manchmal genügte, wenn nur einer über den Schatten springen oder ein einziges Wort sagen könnte. Mathilde bohrt unerbittlich und besteht darauf, daß Opa seinen verletzten Stolz endlich überwindet, kann natürlich die Lawine, die sie damit lostritt, nicht übersehen, aber wenigstens sorgt sie, wenn auch ganz unfreiwillig, dafür, daß reiner Tisch gemacht wird und ein paar unbequeme Dinge nach vielen Jahren zur Sprache kommen, denn Mathildes Mama Hélène wird ihren Vater mit erbitterten Vorwürfen und der Frage konfrontieren, weshalb er den Kontakt zu ihrer Mutter so viele Jahre unterbunden hat. Und ganz nebenbei geht’s auch noch um Dinge wie Alter, Krankheit, Sterben und Tod, denn der Opa haust in einem Altenheim, wo halt gesiecht und gestorben wird, und die Oma, die schlußendlich in einem Bergdorf in Spanien aufgetrieben wird, leidet offensichtlich unter starker Demenz und weiß nicht mal mehr, daß sie eine Tochter und eine Enkelin hat. Reichlich viel Stoff für einen „kleinen“ Film, sollte man meinen, doch Safy Nebbou hat all seine Themen mit solcher Leichtigkeit, soviel Charme, Humor und vor allem menschlicher Wärme verbunden, daß bei aller Tiefgründigkeit doch niemals das Gefühl der Überfrachtung entsteht. Es gibt Szenen zärtlicher Komik, vor allem in Opa Heim, es gibt Szenen intensiver Auseinandersetzungen und es gibt Szenen tiefer Melancholie, und immer stimmt der Ton genau, nie muß sich der Film dafür anstrengen, bis zuletzt ist er bemerkenswert dicht, wie aus einem Guß. Dafür sorgen vornehmlich die warmen, herbstlichen Bilder, das behutsame Erzähltempo mit viel Zeit für Stimmungen, und die wunderbaren Schauspieler, die ebenfalls Zeit bekommen, ihren Personen und deren Gefühlen auf den Grund zu gehen. Viele Momente prägen sich tief ein, als Zuschauer taucht man richtig in die Geschichte ein, das Ganze ist ein Film mit soviel Gefühl und Zärtlichkeit, daß es der reine Genuß ist.

 

   Zwischendurch kann das schon mal festgehalten werden als eine Art vorweggenommenes Jahresfazit: Wo im letzten Jahr noch die Italiener mit vielen tollen Filmen beeindruckten, sind diesmal endlich nach vielen vielen Jahren wieder die Franzosen dran, und darauf habe ich wahrlich lange genug warten müssen. Hoffentlich wird dieser Trend von Dauer sein! (2.10.)