The squid and the whale (Der Tintenfisch und der Wal) von Noah Baumbach. USA, 2005. Jeff Daniels, Laura Linney, Jesse Eisenberg, Owen Kline, Anna Paquin, William Baldwin

   Nur wenigen US-Filmen gelingt es, in vergleichsweise kurzer Zeit (nämlich gerade mal achtzig Minuten) so viel zu sagen und es vor allem auf eine solch prägnante Art und Weise zu tun, daß man es schwerlich so schnell vergessen wird. Gerade bei diesem Thema kann eigentlich nur eins dahinterstecken – persönliche Betroffenheit. Autor/Regisseur Noah Baumbach hat todsicher von eigenem Erleben berichtet oder aber er verfügt über eine geradezu phänomenale Vorstellungs- und Einfühlungsgabe, doch ich persönlich glaube sicher, daß zumindest der Kern der Geschichte autobiographisch ist.

   Eine schrecklich banale Geschichte, wie die meisten wirklich guten: Familie Berkman lebt gut situiert in Brooklyn, Vater Bernard Schriftsteller, Mutter Joan Schriftstellerin, die beiden Söhne Walt und Frank gehen zur Schule, und abgesehen von den ganz normalen familiären Spannungen scheint alles okay zu sein. Bis Mom & Dad den Söhnen eines Tages eröffnen, daß sie sich trennen werden und zum Wohle aller eine höchst komplizierte und strapaziöse Besuchsregelung erdacht haben, damit auch keins der Elternteile zu kurz kommt. Plötzlich liegt alles in Scherben: Dads literarischer Ruhm ist arg ramponiert, weil er seit Jahren nichts mehr veröffentlicht hat, und sich nun Mom anschickt, ihn zu überflügeln und etwas im New Yorker zu publizieren. Seine neue Wohnung auf der anderen Seite des Parks ist ziemlich vergammelt und für die beiden Söhne nicht wirklich ein Platz, an dem sie gern leben möchten. Parallel dazu erfahren sie von Moms zahlreichen Seitensprüngen, und überhaupt orientieren sie sich grundsätzlich verschieden: Der ältere Walt hält sich eng an den bewunderten Vater während Frank der Mutter näher steht. Die hat jetzt einen Tennislehrer aufgerissen und lebt ihr eigenes Leben, während Bernard weiter als Lehrer arbeitet und sich nur zu gern von einer Studentin angraben läßt und sie mit in sein Haus nimmt. Walt und Frank zeigen deutliche Reaktionen auf den dramatischen Schnitt in ihrem bisherigen Leben: Walt freundet sich mit einem Mädchen an, doch hat er in seiner kritiklosen Bewunderung soviel von Bernards altbackener, selbstgefälliger, herablassender  und dabei total verklemmter Machoallüre übernommen, daß er sie zwangsläufig früher oder später vor den Kopf stößt und verliert. Bei einem künstlerischen Schulwettbewerb gibt er einen Roger-Waters-Song von „The Wall“ als seinen eigenen aus, kommt damit zunächst durch, doch nicht für lange. Erst ganz langsam lernt er, seinen im Grunde völlig derangierten, tief verunsicherten und verstörten Vater, der sich noch immer hinter der Fassade arroganter Intellektualität verstecken will, distanzierter zu sehen und sich auch dem Standpunkt der Mutter anzunähern, und plötzlich erinnert er sich auch an schöne Momente mit ihr und daran, daß Bernard eigentlich nie dabei war  und beschließt dann, den Vater vorerst zu verlassen. Der zwölfjährige Frank scheint zunächst am härtesten getroffen und er lebt seinen Schmerz, da er ihn in seiner Umgebung niemandem gegenüber direkt äußern kann, abwechselnd in Aggressionen und Provokationen aus. Zum Beispiel masturbiert er gern an öffentlichen Orten und beschmiert Türen, Bücher und Wände mit dem Sperma oder flucht wie wild, wenn er beim Spiel verliert, so wie Bernard es in seiner Verbissenheit auch immer tut. Die Eltern sind, wie das meistens nun mal so ist, nicht in der Lage, die traurigen Folgen ihres gemeinsamen Scheitern auch nur annähernd aufzufangen, weil sie schlicht und einfach nur mit sich selbst beschäftigt sind. Bernard suhlt sich in Selbstmitleid, tischt Walt unentwegt seine fest installierten Lebenslügen auf und versucht gezielt, ihn gegen Joan zu beeinflussen, was der Junge ihm zuliebe auch eine lange Zeit mitmacht. Verbissen beharrt er auf sein vermeintliches Recht, will überall der beste sein, ob beim Sport oder in der Literatur und kann emotional überhaupt nicht auf die Jungs eingehen. Genauso wenig wie Joan übrigens, die zumeist passiv und unbeteiligt wirkt, mit der Befindlichkeit der Söhne ebenso überfordert ist und sich lieber in die neueste Affäre stürzt, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie Walt und Frank damit zurechtkommen. Und das Schlimme ist: All dies ist völlig banal, alltäglich und kommt tausendfach immer und immer wieder vor. Und, noch schlimmer womöglich: Niemand ist davor sicher, Ähnliches selbst mal zu erleben.

   Baumbach hält den Film knapp und präzise, und er hat hier eine fast unheimliche Gabe, komplexeste Emotionen und Beziehungen in einigen wenigen Szenen und Bildern einzufangen. Als Zuschauer, erst recht als einer, der selbst in einer Familie lebt, sitzt man praktisch in der Falle: Man schaut zu, übersieht ganz klar und deutlich jedermanns Fehler und Defizite, und dennoch kann ich zumindest nicht unbeteiligt bleiben, muß ich mich praktisch identifizieren, muß pausenlos Anteil nehmen und mich immer fragen: Wie würde ich mich jetzt verhalten, wie würde ich mit den Kindern umgehen, was würde ich ihnen sagen, was könnte ich ihnen geben, oder würde ich am Schluß genauso versagen wie Bernard und Joan? Die unter dem Strich ja auch nur ganz normale Leute sind, ebenso gefangen in ihren Gefühlen, ihrem Frust, ihrer Angst vor dem Alleinsein, ihren bitteren Enttäuschungen, und die zumindest hier niemanden haben, der ihnen hilft, im Gegenteil, sie sind ständig weiter in der Rolle der Eltern, die vermitteln, schützen, Sicherheit und Wärme gegen sollten. Zumindest Bernard überfordert sich maßlos, weil er immer stark und dominant und souverän wirken will, obwohl eigentlich alles dagegen spricht und seinen Söhnen vielleicht viel eher helfen würde, wenn er einmal Schwäche und Trauer zeigen würde statt sie andauernd zu zwingen, ihre Schwäche und ihre Trauer zu unterdrücken. Seine Herzattacke am Ende des Films ist eine logische Folge seines Verhaltens, doch bleibt er damit schließlich auch allein, denn außer Walt besucht ihn scheinbar niemand, und selbst der kommt nur um ihm zu sagen, daß er ausziehen wird. Und obwohl ich selbst zwischendurch mehr las einmal dachte, du liebe Güte, was für’n Arsch, ist es mir doch auch unmöglich, nicht so etwas wie Mitgefühl für Bernard zu empfinden, wie gesagt immer mit der bangen Frage, wieviel von ihm ich wohl in mir wiederfinde, wenn ich mal ganz ehrlich nachforsche. Daß diese Zwiespältigkeit so unter die Haut geht, darf vor allem der bravourösen Darstellung Jeff Daniels’ zugute gehalten werden, den ich ganz lange nicht mehr im Kino und allgemein noch nie so gut gesehen habe. Laura Linney steht ihm eigentlich in nichts nach, doch bleibt mir ihre Joan durchgehend etwas fremder, was ganz klar auch daran liegt, daß Baumbach den Fokus auf Bernard richtet und sich offenbar eher an seinem Vater abarbeiten wollte als an der Mutter – wenn man das überhaupt denn eins zu eins übertragen kann. Die beiden Jungs sind aber genauso toll wie die Profis und bringen die Verunsicherung, Angst und, Verstörung der Söhne wunderbar zum Ausdruck, und es gibt schon so manche Szene, da schnürt’s einem derb die Kehle zu, so nah ist das dem eigenen Empfinden und so weh tut’s halt auch. Als Bonus für unsereinen (und garantiert auch für sich selbst) unterlegt Baumbach seinen Film mit einem famosen Soundtrack, läßt schöne Lieder von Bert Jansch oder Lou Reed oder eben Pink Floyd hören und hat besonders passend wie ich denke ein paar Songs von Loudon Wainwright eingefügt, der ja in vielen Stücken haargenau diese Themen beackert und auf seine Weise kommentiert hat, und in einer besonders hübsch montierten Szene, kommt erst Loudon Wainwright sprich Bernard zu Wort, um dann nach abruptem Schnitt die Antwort durch Kate & Anna McGarrigle zu erhalten, die ja mit Wainwright selbst ehetechnisch bzw. familiär für einige Zeit verbunden waren, was im Film eine nette Doppeldeutigkeit quasi für Eingeweihte ergibt.

 

   Auch daran erkennt man sofort, daß der Film für Baumbach eine ganz private Herzensangelegenheit ist, oder wenn man so will ein Stück Exorzismus, aber ganz gleich wie man es nun deutet, unbestritten ist dies ein ganz außergewöhnlich beeindruckender, bemerkenswerter Film, mit keinem vergleichbar, den ich in den letzten Jahren aus den Staaten gesehen habe, aber immerhin einzuordnen in die Kategorie der „kleinen Independentfilme“, und von denen hat es ja doch eine Reihe sehr guter gegeben. (6.6.)