Die Könige der Nutzholzgewinnung von Matthias Keilich. BRD, 2006. Bjarne Mädel, Christina Große, Frank Auerbach, Steven Merting, Peter Sodann, Thomas Dehler, Isolde Kühn, Max Reschke, Doreen Kutzke
Was dem Briten sein Industrienorden, ist dem Deutschen sein wilder Osten – nirgendwo sonst lassen sich Geschichten über Identitätsverlust und sozialen wie wirtschaftlichen Niedergang so glaubwürdig verorten, weil man nämlich einfach nur abfilmen muß, was man sieht, egal, ob daraus nun ein Drama oder eher ein komödiantisch gefärbter Stoff wird.
Dieser Film – der Titel deutet es schon an – hat sich für die komödiantische Seite entscheiden, ohne allerdings den Blick für traurige Realitäten zu verlieren, worin er ebenfalls britischen Vorbildern sehr nahekommt. Der Handlungsort ist dabei doch recht ungewöhnlich und bislang wenig erschlossen: Der Harz kurz hinter der Zonengrenze und kurz vor Wernigerode, wo die Dörfer Schierke, Elend, Sorge oder Tanne
heißen und auch genau so aussehen. Die Männer waren früher allesamt im Nutzholzbereich tätig, die Wände der Dorfkneipen sind gepflastert mit Ehrenurkunden zur Plansollübererfüllung, doch nun bevölkern sie nicht mehr die dichten Wälder ringsumher, sondern die überfüllten Wartezimmer der Arbeitsagenturen, wo sie sich vorzugsweise von bornierten, ignoranten Bürokraten erniedrigen lassen müssen und bestenfalls eine kurzfristige ABM oder Eingliederungsmaßnahme aufgedrückt bekommen. Perspektiven im alten Beruf gibt es nicht, umstellen können oder wollen sich viele nicht, und selbst wenn, Platz im modernen Kapitalismus ist für sie sowieso nicht da, denn sie sind Fossilien, Überbleibsel einer vergangenen Zeit und für die Gegenwart untauglich. Die Frauen, in allem zumeist ein wenig geschmeidiger und anpassungsfähiger, haben schlecht bezahlte harte Jobs, können aber wenigstens die Familien halbwegs ernähren und treffen sich abends zum Square Dance mit anderen Frauen, wo sie sich über ihre resignierten, frustrierten, tatenlosen Männer austauschen können. In diese triste, von der Außenwelt wenig berührte Szenerie kehrt eines Tages Krischan nach langer, unerklärter Abwesenheit zurück, doch niemand freut sich zunächst darüber. Seine beiden Freunde Ronnie und Bert wollen noch immer das Geld sehen, das er einst in eines seiner vielen Projekte gesteckt hat, bevor er plötzlich verschwand, seine ehemalige Freundin präsentiert ihm den gemeinsamen Sohn, den er nie gesehen und um den er sich nie gekümmert hat und macht ihm unmißverständlich klar, daß die beiden nicht einfach dort anknüpfen können, wo sie einst aufhörten, und die übrigen Dorbewohner betrachten ihn mit Argwohn und Verachtung, weil er immer ein Windei war, einer mit dem Kopf voll Flausen, der es aber nie zu irgendwas gebracht hat. Er kommt also zurück nach Tanne, erlebt seine mut- und kraftlosen Freunde und hat gleich wieder eine Idee, um allen zu Geld zu verhelfen und endlich mal wieder Leben in die Bude zu bringen: Ein Holzfällerwettbewerb soll’s diesmal werden, und man merkt bald, daß ihm sowohl organisatorischer Überblick als auch Realitätssinn fehlen, und so geraten die Dinge mehr als einmal in bedrohliche Schieflage, doch andererseits kann er die Leute motivieren und begeistern, und er schafft es doch, genug auf seine Seite zu ziehen, die dann, als er alles verloren sieht sich schon wieder vom Acker machen will, die Kastanien aus dem Feuer holen. Den Wettbewerb gewinnen die „Könige der Nutzholzgewinnung“ (sprich Krischan und Ronnie und Bert) zwar nicht, doch irgendwie wird doch noch alles gut, und mit Freundin und Sohn könnte es letztendlich auch klappen, auch wenn sie es ihm sicher nicht leicht machen wird.
Mal geht es hier recht launig und unbekümmert komödiantisch zu und mal stürzt man jäh ins Loch der Wirklichkeit, und aus diesem sehr wirkungsvoll realisierten Kontrast schöpft der Film seine Qualität. Manches ist durchaus etwas bieder oder seicht oder auch schematisch, was aber nicht so schwer wiegt, denn der Blick für Mensch und Milieu ist so gefühlvoll und authentisch, daß man nie den Eindruck bekommt, hier werden putzige Ossis in skurriler Umgebung zur Schau gestellt. Manche Überzeichnung ist dabei, doch häufig genug bleibt das Lachen im Ansatz stecken, weil man plötzlich sieht, daß die Dinge vielleicht wirklich so sind, und weil man auf jeden Fall weiß, daß der Zusammenbruch der gesamten Strukturen in vielen Teilen der neuen Länder absolute Realität ist. Der wunderbare Peter Sodann ist immer ein Sprachrohr für solche Dinge gewesen, weswegen er unbedingt in diesen Film gehört, auch wenn er von Typ (und auch vom Akzent her) nicht unbedingt optimal besetzt zu sein scheint. Für viele hier geht es um die reine Existenz – die Frauen haben das viel schneller begriffen als die trägen Männer, die sich oft in Resignation suhlen, und sie übernehmen nun die Verantwortung für die Familie, was die Herren natürlich noch mehr lähmt und frustriert und viele Ehen auf Dauer überbelastet. Auf dem Amt spielen sich Szenen zwischen typischer Beamtenmentalität, behördlicher Herablassung und privatem Zynismus einerseits und fehlender Flexibilität und Anpassungswilligkeit andererseits ab, und dann kommt auch noch Krischan mit seinen verrückten Ideen und dubiosen Tricks, denen viele hier in Tanne beträchtlicher finanzielle Probleme zu verdanken haben. Wie gesagt, einige Teile der Handlung kennt man aus vielen anderen Filmen, und das es schlußendlich trotz erheblicher Schwierigkeiten doch ein glückliches Ende auf ganzer Linie geben wird, weiß man sofort, doch Buch und Regie gehen mit soviel Liebe für die Leute und Gefühl für Alltag und Leben in dieser merkwürdig abgeschiedenen Welt vor, daß der Gesamteindruck einfach stimmt und der Film sehr menschlich und sympathisch wirkt.
Und wie bei den Briten muß es auch hier ein ermutigendes, optimistisches Finale geben, wenn nicht totale Endzeitstimmung herrschen soll, und solch einen Film könnte man gerade heutzutage niemandem mehr verkaufen, denn reale Endzeit herrscht längst in vielen verlassenen Regionen. Dies nimmt der Film, obwohl er eine witzige Utopie dagegen setzt, grundsätzlich völlig ernst, und so ist eine sehr gelungene, hervorragend gespielte und schön bebilderte Mischung aus Realem und Märchenhaftem entstanden. (18.10.)