The black dahlia (Die schwarze Dahlie) von Brian de Palma. USA, 2006. Josh Hartnett, Aaron Eckhart, Scarlett Johansson, Hilary Swank, Mia Kirshner, Mike Starr, Fiona Shaw

   Jetzt hat sich so ein Depp in unserer Lokalzeitung tatsächlich darüber beklagt, Brian de Palmas neuer Film sei inhaltlich zu ausufernd und würde über all die vielen Nebenhandlungen die hauptsächliche Story vernachlässigen. Der hat James Ellroy nie gelesen, sonst wüßte er, daß de Palma im Gegenteil noch etliche Ausuferungen beiseite gelassen und die Romanvorlage auf ein halbwegs übersichtliches Maß gekürzt hat, jenen 500-Seiten-Moloch, in dem Ellroy all seine persönlichen und sonstigen Lieblingsobsessionen verwurstet hat: Den gewaltsamen Tod seiner Mutter, über den er ganz offen im Nachwort schreibt, die Stadt Los Angeles als amerikanischen Mikrokosmos, Glamour und Gewalt, Ruhm und Tod, Sex und abgründige Exzesse, Freundschaft und Haß, Liebe und Lüge und so weiter. „Die schwarze Dahlie“ ist so etwas wie ein Schlüsselwerk Ellroys, weil er hier seine Einflüsse sehr offen legt, und wer auf düster-manisch-brutale Thriller steht, deren Autor die eigenen Grenzen offensichtlich nicht mehr auf die Reihe kriegt, der wird diesen Roman wahrscheinlich faszinierend finden – ich persönlich schwanke bei Ellroy immer zwischen Befremden und Interesse, Abscheu und Faszination, aber das ist mal wenigstens ein Autor, der die Gemüter bewegt.

   Vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren hätte ich bestimmt gedacht, de Palma sei genau der richtige Regisseur für solch einen Film. Heute würde ich eher jemanden wie David Fincher nehmen, das heißt jemanden, der ein Gefühl dafür hat, monströse Abgründe filmisch umzusetzen. De Palma ist nach meiner Ansicht in den letzten Jahren ziemlich eingerostet, und obwohl er sich hier offenbar bemüht, alte Tugenden wieder aufzufrischen, ist er einfach nicht mehr der gleiche und ist mit über sechzig scheinbar nicht mehr imstande, jenes fiebrig-hypnotisch-überdrehte Kino zu reproduzieren, das er einst vorbildlich repräsentierte – zugegeben, die meisten seiner Filme mag ich eben deshalb nicht, aber in ihrem Rahmen waren sie sicherlich stilbildend und exemplarisch. Wie Curtis Hanson in dessen exzellentem „L.A. Confidential“ beschränkt er sich auf ein sorgsam gestyltes Period Movie, das die späten Vierziger in L.A. plastisch auferstehen läßt und außerdem die besondere Atmosphäre des Ellroy-Romans ganz gut einfängt, denn Ellroy hat sich ja nie für das opulente Zentrum Hollywoods interessiert, sondern immer für die abseitigen Ränder, die heruntergekommenen Außenbezirke, die vielen Gestalten im Schatten, die Drogen, die Kriminalität, die unterschiedlichsten Formen der Ausbeutung und Prostitution. Idealerweise gesellen sich dazu dann ein paar Cops, in von jenem Sumpf nur um Haaresbreite entfernt sind bzw. selbst tief darin versinken, Stichwort Frauen, Drogen, Korruption , so wie hier Lee Blanchard, der seinem Partner Bucky Bleichert mehr und mehr entgleitet, bis sein Tod nicht mehr zu verhindern ist. Ellroy hat diesen Prozeß sehr viel ausführlicher dargestellt als de Palma und Blanchard obendrein nach Mexiko flüchten lassen, einen anderen mythischen Ort für amerikanische Gewaltphantasien. De Palma bleibt in L.A.: Der unfaßbare Mord an Elizabeth Short, bis heute nicht aufgeklärt und Treibstoff für viele dunkle oder sensationsgierige Stories (siehe auch Kenneth Anger!), ist auch Hintergrund dieser Geschichte, deren Auflösung in einer ziemlich verwickelten und drastischen Familiengeschichte liegt. Bleichert entdeckt zu spät, wie tief Blanchard in den Fall verstrickt ist, kann zwar ihn nicht retten, wohl aber die Freundin Kay, und er selbst kommt halbwegs heil aus der Sache raus, auch wenn er eine der beteiligten Frauen tötet. Bei Ellroy sind die inneren Wunden etwas tiefer als in diesem Film, was für mein Gefühl stark an der Besetzung liegt, und dies ist ganz klar einer der Haken des Films. „L.A. Confidential“ ist grandios besetzt und profitiert immens von den hochkarätigen Darstellern, de Palma hingegen hat mit Hartnett und Eckhart zwei recht schwache Protagonisten, zu denen ich einfach keine Beziehung bekommen habe, und die eben jene Balance am Abgrund, die die Romanfiguren unbedingt auszeichnen muß, nicht rüberbringen. Blanchard/Eckhart als der interessantere der beiden verschwindet zudem irgendwann einfach aus dem Blickfeld, und so bleiben wir mit Bleichert/Hartnett allein, was dem Film nicht gut tut. Die Frauen sind da schon schwergewichtiger: Scarlett Johansson als die geläuterte, schutzsuchende Hure, ein fast ätherisch-überirdisches Wesen kontrastiert spannend mit Hilary Swanks femme fatale, die sehr wirkungsvoll zwischen Sehnsucht, Gier und Grausamkeit pendelt und an die Heldinnen des klassischen Film Noir anknüpft. De Palma erweist diesen Klassikern durchgehend seine Hommage (so wie auch Ellroy), und zu den beklemmendsten und gelungensten Szenen des Films zählen eh die Schwarzweißbilder von Betty Short (von Mia Kirshner sehr gut dargestellt), wie sie versucht, beim Film und bei widerwilligen Produzenten zu landen, ebenso unbedarft wie rührend und verletzlich, wie sie sich mehr und mehr ranschmeißt an die ekligen Typen und dann, um zu Geld zu kommen, einen Porno dreht in dem fürchterlichen Bewußtsein, endgültig ganz unten angekommen zu sein. De Palma schafft in den diesen Szenen vorzüglich, eine Art Authentizität zu suggerieren, die in die morbide Scheinwelt Hollywoods wie ein Messer schneidet und das ganze brutale System von der Seite der Opfer her betrachtet.

 

   Ansonsten dreht er das routiniert runter, der Film ist durchgehend spannend, wenn auch nicht ganz so rasant wie „L.A.Confidential“, es fehlt halt der typisch eklektische, genialisch-durchgeknallte Esprit seiner älteren Werke, doch immerhin erfaßt er in Ansätzen die spezielle Atmosphäre des Ellroy-Romans recht gut, und als düstere Detektivstory im Look der Vierziger funktioniert die ganze Sache allemal. Und vielleicht finden Fincher und Ellroy eines Tages ja auch mal zusammen. (6.10.)