Grbavica (Esmas Geheimnis) von Jasmila Zbanić. Bosnien-Herzegowina/Österreich/Kroatien/BRD, 2005. Mirjana Karanović, Luna Mijović, Leon Lučev, Jasna Ornela Berry, Dejan Acimović, Bogdan Diklić
Esmas Geheimnis ist natürlich keines, denn schon früh ahnt man, daß der Vater ihrer Tochter Sara kein im Krieg gefallener und seitdem verschollener Soldat war, sondern daß die Wahrheit vermutlich viel schmerzlicher und würdeloser ist, und ganz offenbar kam es Jasmila Zbanić auch wirklich nicht darauf an, denn letztlich knallt Esma ihrer Tochter die Wahrheit in einem einzigen bitteren Satz buchstäblich an den Kopf und das war’s – sie wurde grausam von serbischen Tschetniks vergewaltigt wie Tausende vor und Tausende nach ihr in einem wahrhaft barbarischen Krieg, und nur in der regelmäßig stattfindenden Selbsthilfegruppe kann Esma schließlich mehr erzählen, und man merkt dann schon, worauf es der Regisseurin eigentlich ankam. Nicht auf die Tat an sich, sondern auf die Folgen, auf die Zeit danach, da Esma, nachdem sie ihr Kind mühsam akzeptiert hat, versucht, im Alltag Sarajewos wieder Fuß zu fassen, einen Lebensunterhalt zu finden, für sich und Sara sorgen und so etwas wie Normalität herstellen zu können. Diesem Alltag widmet sich Zbanić in aller Ruhe und Ausführlichkeit, und gerade diese Geste macht den Film so besonders, denn er verzichtet tatsächlich fast vollständig darauf, das dramatische und spektakuläre Potential der Geschichte auszubeuten. Viel eher zeigt er, wie Esma verzweifelt versucht, genug Geld für Saras Klassenfahrt aufzutreiben, oder wie sie am neuen Arbeitsplatz (einer dubiosen Disko) einen Typen kennenlernt, der wie sie Menschen im Krieg verloren und zahlreiche ausgehobene Massengräber zur Identifizierung möglicher Familienangehöriger durchwühlt hat, einen ganz guten Kerl an sich, der nur wie viele in zwielichtige Gesellschaft geraten ist und mit dem sie offenbar keine sichere Zukunft aufbauen kann. Oder wir sehen wie Sara sich heftig mit ihrer Pubertät herumschlägt, wie sie auch einen Freund findet, mit ihrer trotzigen, heftigen Art überall aneckt und in der Schule Probleme bekommt, weil an ihrem Status gezweifelt wird, denn die Kinder von gefallenen Kriegern sind eigentlich etwas Besonderes, nur bringt Esma nie die offizielle Bescheinigung der Armee bei, in der dies endgültig bestätigt wird. Für Sara wäre das natürlich noch aus einem anderen Grund extrem wichtig, denn sie braucht einfach Gewißheit über ihren Vater, über ihre Identität, und man ahnt schon, daß es über kurz oder lang zum Crash mit der Mutter kommen muß, wenn die ihr weiterhin die Wahrheit vorenthält. Esma allerdings braucht sehr lange, bis sie es endlich aussprechen kann, nicht nur Sara gegenüber, sondern auch in der Frauengruppe, auf die der film immer wieder in langen Einstellungen zurückkommt, und in der, fast mehr noch als in der Privatgeschichte, der eigentliche Schlüssel zum Verständnis des Films zu liegen scheint. Die kollektive Trauer, der Trost in der Gemeinschaft, das gemeinsame Singen, Weinen, Erzählen, Erinnern sind essentiell wichtig, um weiterleben zu können, um nach vorn schauen, um neu aufbauen zu können, und obwohl Esma mit Sara natürlich eine schwere Zeit haben wird, merkt sie doch, daß sie für sich das richtige getan und sich endlich ein Stück weit befreit hat, so das sie endlich von ihren Gefühlen erzählen kann, von Gefühlen, die sie verdrängen wollte, für die sie sich geschämt hat. Die Grausamkeit der Krieger muß zu keiner Zeit explizit ins Bild gerückt werden, sie ist präsent in den Opfern, in ihren verschlossenen, erschütterten Gesichtern, und auf diese Art ist der Film vermutlich noch beeindruckender als irgendein krasses, plakatives Drama.
Bei all dem Leid und den tiefen, vermutlich unheilbaren Wunden bringt es Zbanić dennoch wundersamerweise fertig, einen hoffnungsvollen, fast optimistischen Tonfall einzuarbeiten, indem sie Menschen zeigt, die aufeinander zugehen, die füreinander da sind, die Geld für Esma sammeln, obwohl sie selbst auch wenig haben oder auf ihre Tochter aufpassen, obwohl sie von der nur übel angepflaumt werden, und auch wenn Sara am Ende mit den anderen Kindern im Bus ein frohgemut klingendes Lied anstimmt (dessen Text ich leider nicht verstehe), klingt dieses Lied nicht resignierend oder schwermütig sondern im Gegenteil selbstbewußt und temperamentvoll. Ein wirklich bemerkenswerter, großartig gespielter Film, der ein schwieriges Thema ganz ruhig und unspektakulär im Alltag einbettet und dort behandelt, der nicht viele Worte macht, dennoch alles zeigt und sagt, was gezeigt und gesagt werden muß und der darin absolut überzeugend ist. Nach all dem wüsten Zeug vom Balkan, nach dem schwarzen, verzweifelten, grimmigen, finsteren Galgenhumor hätte ich so etwas nie erwartet, und bin nicht nur sehr positiv überrascht sondern auch sehr bewegt und hoffe gern auf mehr solch eindrucksvoller Filme aus diesem vielgeplagten Teil der Welt. (2.8.)