L’ivresse du pouvoir (Geheime Staatsaffären) von Claude Chabrol. Frankreich, 2005. Isabelle Huppert, Robin Renucci, Marilyne Canto, Patrick Bruel, Thomas Chabrol, François Berléand, Jean-François Balmer, Pierre Vernier
Man müßte wahrscheinlich Franzose sein, um die offenen oder auch versteckten Anspielungen dieser Geschichte gänzlich verstehen zu können, zumal uns Chabrol zu solchen Interpretationen eine Vorlage liefert, indem er gleich zu Beginn schön ironisch und überdeutlich darauf hinweist, daß alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig wären. Ich lese dann dazu etwas von dem großen Elf-Aquitaine-Skandal, kann aber nicht wirklich etwas damit anfangen, habe aber trotzdem meinen Spaß mit diesem neuen Chabrolfilm, einem sehr französischen, genüßlich detailliert und betulich inszenierten Politthriller über Korruption, Bestechung, Veruntreuung und Verschwörung auf übergreifend hohem Niveau, an dem sich erwartungsgemäß die Ermittler die Zähne ausbeißen, zumal sie von der eigenen Dienststelle ständig ausgebremst sprich weggelobt werden, ihr eigenes Privatleben leidet und sie sogar unter Personenschutz gestellt werden müssen. Die Untersuchungsrichterin mit dem schön sprechenden Namen Charmant-Killmann verbeißt sich in den Fall, überrumpelt kleinere Chargen regelrecht, dringt rasch in höhere Gefilde vor, und als sie schließlich wirklich gefährlich zu werden droht, wird sie kurzerhand von der Untersuchung abgezogen, weil die Großen und Mächtigen langsam um ihre Position fürchten müssen. Sie ist zwar auch zum Schluß noch wild entschlossen, nicht aufzugeben, doch darf man annehmen, gerade auch nach Kenntnis vieler anderer französischer Verschwörungsfilme, daß die Seilschaften erhalten bleiben und die schmutzigen Geldgeschäfte so weiterlaufen werden wie bisher.
Ein gefundenes Fressen also für Chabrol den Zyniker, der sich über die häufig nur angedeuteten Machenschaften gar nicht weiter ereifert, der es eben nicht mal für nötig hält, uns Zuschauern alles im einzelnen zu erklären und aufzuzählen, so als wolle er uns klarmachen, daß man sowieso immer nur die Spitze des Eisbergs sehen könne und niemals eine Ahnung über das wahre Ausmaß der Verstrickungen und Machenschaften bekomme. Ein paar hingeworfene Vokabeln reichen auch völlig aus, um unsere Phantasie so zu beflügeln, daß wir uns den Rest ungefähr vorstellen können, denn die hier verhandelten Themen sind wahrlich international. Viel lieber sehen wir bestens gewandete beleibte Herren, die sich beim Diner über den Stand der Dinger austauschen und die sich angesichts der wachsenden Bedrohung durch die eifrige Richterin genötigt sehen, ein paar Hebel in Bewegung zu setzen, nur um schlußendlich bei einer schönen dicken Zigarre befriedigt festzustellen, daß die Maßnahmen erfolgreich waren. Chabrol gibt sich keinerlei Mühe, diese Leute irgendwie differenziert oder psychologisch nuanciert darzustellen, es sind Typen, Funktionsträger, die lediglich eine spezielle Klasse repräsentieren. Wir kennen ihre Beweggründe (Macht, Geld), wir erleben ihre Unantastbarkeit, wir ahnen deutlich, daß sie gewissenlos sind und notfalls auch vor Gewalt nicht zurückschrecken würden, und mehr müssen wir über sie nicht wissen. Es ist auch nicht nötig, extra noch ein Urteil über sie zu fällen, denn ihre Gespräche und Intrigen sprechen vollkommen für sich, weshalb sich auch Chabrol damit nicht aufhält. Mehr schon interessiert er sich für die Figur der Jeanne (ausgerechnet auch noch Jeanne!) Charmant-Killman, eine äußerst zwiespältige Figur in der faszinierenden Darstellung Isabelle Hupperts, die endlich mal wieder ein bißchen Leben und Temperament investieren darf und nicht nur auf die verhärmte, leblose, kalte Frau reduziert wird, wofür ich schon sehr dankbar war, denn die Huppert hat schon länger ihre Möglichkeiten nicht mehr voll ausspielen können. Hier erleben wir sie zum einen als ehrgeizige, verbissene und durchaus auch zynische und triumphierende Karrierefrau, der ein offenbar frustrierter und stets nörgelnde Ehemann im Nacken sitzt, der sich sogar aus dem Fenster stürzt (der einzige überflüssig melodramatische Kniff in den Film), eine Frau, die ihre Machtposition sichtlich genießt, die ganz offen Spaß daran zu haben scheint, ihre Verhöropfer zu erniedrigen und mit Herablassung zu behandeln, eine Frau, die einen gewissen Ruf hat, die Erfolg hat und die für ihre Arbeit lebt. Und zum anderen sehen wir durchaus eine private, andere Seite, eine Frau, die Gefühle hat, die erschöpft ist, die verletzlich ist, die sich lange Zeit als einzige Frau inmitten der Männerwelt behaupten mußte, bis ihr schließlich eine Mitarbeiterin zur Seite gestellt wird in der irrigen Hoffnung der Männer, die beiden würden sich gegenseitig die Augen auskratzen. Hier überrascht uns Jeanne, denn sie akzeptiert die andere nach kurzer Zeit, erkennt in ihr eine Verbündete im Geiste und die beiden arbeiten höchst effektiv zusammen. Chabrol mischt die verschiedenen Charakterzüge Jeannes überaus geschickt, und Hupperts nuancenreiches Spiel paßt wunderbar in das Konzept, denn mal ist sie uns wirklich nah und man fühlt fast eine Art Komplizenschaft im Kampf gegen das Korruptionsdickicht und mal wirkt sie fremd und fast abstoßend in ihrer Selbstgerechtigkeit. Entsprechend läßt Chabrol auch ihre Handlungsmotive im Unklaren, den Antrieb für ihren enormen Willen und ihre enorme Energie. Ist es wirklich ihr Engagement für Gerechtigkeit und eine saubere, ehrliche Politik oder ist es vielmehr ein fanatischer Privatfeldzug zur Bestätigung ihres Egos und zur Promotion ihrer Karriere. Beide Elemente liegen sehr dicht beieinander und sind häufig nicht voneinander zu trennen, und letztlich muß man sich auch fragen, ob diese Trennung überhaupt relevant ist, denn um wirklich auf die Spur solcher Machenschaften zu kommen und sich in die obersten Regionen der Drahtzieher vorzuarbeiten, muß man vermutlich über eine gewisse Disposition, sprich eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Unerschrockenheit verfügen. Chabrol macht aus Jeanne also keine Märtyrerin ihrer Sache, sein Blick changiert zwischen leiser Sympathie und Befremden, und doch gilt sein hauptsächliches Interesse ganz klar ihr, ihrem Umfeld und ihren Motiven, und er läßt sich fast zwei Stunden Zeit, um beides zu ergründen.
Von daher paßt das Etikett des Politthrillers nur zum Teil, ich würde eher von einer Psychostudie mit politischem Hintergrund sprechen, und die ist Chabrol wirklich vorzüglich gelungen. Der Ton ist häufig ironisch, fast amüsiert, dennoch stets auf das Thema konzentriert und eng an den Beteiligten. Aufreibende Actionszenen sind unnötig, ebenso übertriebenes Drama (bis auf die erwähnte Ausnahme), eine souveräne Inszenierung und ebenso souveräne Akteure reichen für einen neuen schönen, grimmigen und hintergründigen Chabrolfilm aus, mit dem er locker an seine vorhergehenden, gleichsam gelungenen Werke anknüpft. (30.7.)