Iberia (#) von Carlos Saura. Spanien, 2005.

   Wer noch immer erwartet, daß Carlos Saura so wie früher intensive Psychokammerspiele mit maximalem Tiefgang zelebriert oder aber subtile und giftige Attacken gegen das Francoregime reitet, der braucht wohl nicht mehr zu kommen. Nach seinem ersten Ausflug in die Richtung vor fast fünfundzwanzig Jahren mit „Carmen“ hat er nun scheinbar endgültig seinen Schwerpunkt auf l’art pour l’art gelegt – es sei denn, er belehrt uns eines schönen Tages eines Besseren. Es kommt also drauf an, wie man grundsätzlich zu l’art pour l’art steht – belanglos-eitle Nabelshow oder aber Liebeserklärung an die Kunst, und je nachdem wird man auch dieses neue Werk nach den Tango- und Flamenco- und Goyalektionen der vergangenen zehn Jahre beurteilen.

   Diesmal geht’s um eine getanzte Reise durch das ganze Land, über Granada, Sevilla, Almería oder Cádiz, kreisend um die Musik von Isaac Albéniz, einen Aneinanderreihung von Tanzszenen ganz unterschiedlicher Färbung: Mal als klassisches Ballett zum Solopiano, mal als furioser Flamcoshowdown, mal als intimer pas de deux, mal als prickelndes Erotikduett zu virtuoser spanischer Gitarrenmusik. Saura hat hier reichlich Gelegenheit, seine visuelle Fantasie und seine Musikalität unter Beweis zu stellen, und der gut über siebzig Jahre alte Knacker entpuppt sich einmal mehr als ein großer Meister seines Faches, denn sein Film ist das sprichwörtliche Fest für Auge und Ohr, ohne Einschränkungen und bei gerade mal neunzig Minuten dankenswerterweise auch nicht zu lang. Ich betone das, weil die einzige Schwäche dieses Films für meinen Geschmack darin liegt, daß er so gar keine sichtbare Struktur oder gar Dramaturgie hat (jedenfalls keine, die sich mir erschlossen hätte), die einzelnen Sequenzen werden ohne jeden Schnickschnack zügig und zackig aneinandergereiht, und so nach siebzig Minuten oder so dachte ich bei mir, hoffentlich geht das jetzt nicht noch ewig so weiter, zumal ich bereist zu diesem Zeitpunkt randvoll mit faszinierenden Eindrücken war.

 

  Sauras’ Bildgestaltung ist natürlich ein Ereignis, sie korrespondiert mit den extrem vielfältigen, expressiven, manchmal explosiven, manchmal zarten und manchmal überaus erotischen Choreographien so erstaunlich gut, als hätte der Mann nie etwas anderes gemacht. Manche Szenen werden karg und grell ausgeleuchtet, manchmal finden sich die wunderbar warm und sinnlich getönten Farbwände aus dem Tangofilm wieder (schön in gelb, rot und orange so wie ich es liebe), mal marschiert eine Streetgang komplett mit rivalisierenden Machos auf, mal verzehrt sich ein einzelner Mann oder eine einzelne Frau an ihrem Herzeleid, mal wirbeln arabisch gewandete Frauen und einmal sogar archaisch kostümierte Nonnen. Mit Sicherheit ist mir die eine oder andere Reminiszenz an eine spezifisch lokale spanische Kulturtradition durch die Lappen gegangen und von den unterschiedlichen Richtungen und Feinheiten des Flamenco versteh ich sowieso nix, aber zweifellos besticht der Film durch seine exquisite Ästhetik, die grandiose Kunst der Tänzer/innen, die fantastische Vielfalt und Ausdruckskraft der zelebrierten Tänze, die wunderbare Musik zwischen ursprünglicher Folklore, abgewandeltem Jazz, klassisch-puristischer Interpretation und zahlreichen Zwischentönen, und eben die Fähigkeit des Regisseurs, all dies kongenial und sehr sinnlich ins Bild zu setzen. Wie gesagt, der Film richtet sich eher an ein quantitativ beschränktes Publikum, dies allerdings wird einmal mehr mit einem eindrucksvollen Genuß verwöhnt. (18.6.)