Komm näher von Vanessa Jopp. BRD, 2006. Meret Becker, Stefanie Stappenbeck, Heidrun Bartholomäus, Marie-Luise Schramm, Hinnerk Schönemann, Fritz Roth, Marek Harloff, Jana Pallaske, Bruno Schubert, Hans-Jürgen Pabst
Erst ganz zum Schluß, als in wenigstens zwei der drei hier verzahnten Paargeschichten eine Art Silberstreif am Horizont erkennbar wird, kann man als teilnahmsvoller weil selbst natürlich bis zum Hals im Alltagsdreck steckender Normalverbraucher ein wenig aufatmen und sich denken – na gottseidank, es ist doch nicht alles völlig für den Eimer, da geht vielleicht doch noch was. Bis dahin aber, so habe ich es an mir selbst jedenfalls empfunden, muß man sich doch ein wenig gegen den Totalfrust stemmen, und wer nur ins Kino geht, um mal zwei Stunden vom Tagesgeschehen Abstand zu nehmen, braucht das hier gar nicht erst zu versuchen. Trist verschneite graumatschige Bilder aus der unvermeidlichen Hauptstadt und dazu eine Handvoll Leute, die sämtlich nur Einsamkeit, Angst, Mißverständnisse, Wut, Trennung, Sprachstörungen, Niederlagen und Erniedrigung zu erleben scheinen: Eine Frau Berger kämpft sich durch mit schmutzigen Gelegenheitsjobs und ebenso schmutzigen Gelegenheitsficks auf Toiletten und in Großküchen, dreht nachts die Musik bis zum Anschlag auf, um wenigstens so etwas Dampf abzulassen, ist mit sich und der Welt total über Kreuz, lernt dann aber einen jungen Polizisten kennen, der es etwas ernster meint mit ihr, und da kommt dann der eine Silberstreif zum Vorschein. Ihre Schwester Ali ist Architektin und scheinbar voll im Job, kriegt das aber mit Familie und Beziehung nicht unter einen Hut, zumal ihr Mann mit allem überfordert ist und schließlich beleidigt zu einer anderen geht und ihr Sohn auffällig wird, um ein bißchen Aufmerksamkeit von der ständig am Laptop daddelnden Mama zu bekommen. Die Ehe geht den Bach runter, der Job wohl auch, aber zumindest hat Ali am Ende etwas mehr Klarheit für sich - sie schickt ihren weinerlichen Kerl in die Wüste und geht doch nicht mit dem Auftraggeber ins Bett, um den Großauftrag zu behalten. Drittens gibt’s dann noch Mutter und Tochter, heillos verzickt in einer waschechten Pubertätskiste, und das wird natürlich noch übler, als Mama einen Mann per Kontaktanzeige auftut, sich sehr schüchtern annähert, und Töchterchen unwissentlich zu gleicher Zeit Telefonkontakt mit dem Herrn aufnimmt, was zwangsläufig irgendwann zur großen Konfrontation führen muß. Wie das für den hilflosen Typen ausgehen wird, weiß man nicht so genau, immerhin aber gehen Mutter und Tochter endlich wieder ein wenig aufeinander zu - Silberstreif Nummer zwei, denke ich.
Zwischendurch merkte ich deutlich, daß mich das ganze Geschehen stimmungsmäßig ziemlich herunterzog, was ich ehrlich gesagt nicht immer gleich gut vertrage, aber auf der anderen Seite ist das natürlich auch schon ein Indiz dafür, wie gut der Film gemacht ist, vor allem die Schauspieler sind glänzend: Stefanie Stappenbeck ragt besonders heraus als Ali, die so lange die Fassade der kühlen, toughen Geschäftsfrau hochhält, bis schließlich doch die Welt um sie herum zusammenbricht, die aber trotzdem ihre Entscheidungen kompromißlos fällt. Meret Becker zieht als Mathilde zwar ihre übliche Exzentriknummer ab, ist aber natürlich trotzdem sehr wirkungsvoll als einsame Außenseiterin, die ständig wie ausgekotzt aussieht und sich wohl auch so fühlt. Heidrun Bartholomäus und Marie-Luise Schramm sind ein toll und zugleich furchtbar realistisches Mama-Tochter-Paar, genau so wie man es aus jeder betroffenen Wohnung hört. In erster Linie ist dies ein Frauenfilm, aber ein paar Kerle gibt’s auch drumherum und die spielen ebenfalls vortrefflich. Dieses grandiose Ensemble wird gebettet in kühle, dunkle Bilder von der weniger glamourösen Seite Berlins, und Vanessa Jopp hat die drei Geschichten sehr souverän und aufmerksam zusammengeführt, inszeniert sehr einfühlsam, ernst und ruhig und vor allem in manchen Momenten mit der passenden Distanz, die hier auf jeden Fall nötig ist und gar nicht negativ auffällt, weil man selbst tief genug in solchen oder ähnlichen Verhältnissen steckt und sich deshalb bei Bedarf ausreichend identifizieren kann. Es scheint für den Außenstehenden kein Rezept zu geben für oder gegen das, was er hier sieht, andererseits empfinde ich solche Filme als sehr wichtig und auch nützlich, weil sie mich an genügend selbst erlebte Situationen erinnern und mir schon helfen, mich gelegentlich mal in den Hintern zu treten oder, wie es auch in diesen Geschichten zum Teil vorkommt, über den sprichwörtlichen Schatten zu springen. Frau Berger tut’s, um dem netten Bullen wenigstens eine Chance zu geben, Ali tut’s, indem sie sich endlich mal zu einer klaren, wenn auch negativen Eheaussage aufrafft, und vor allem Mutter und Tochter tun es, indem sie den Generationsgraben ein wenig zuschütten.
Ich habe gerade zusammengezählt und gemerkt, daß ein Drittel der Filme, die ich in diesem Jahr schon konsumiert habe, aus teutschen Landen kommt, und diese Filme sind sämtlich gut bis außerordentlich gut (die Kinder- und Jugendfilme habe ich jetzt noch nicht mal eingerechnet). Vielleicht profitieren wir in Bielefeld endlich von dem neuen, ausgebauten Programmkino, sicherlich aber gibt unsere einheimische Filmlandschaft das zur Zeit einfach her, so daß ich persönlich die ewig nörgelnden Stimmen überhaupt nicht verstehen kann. Wenn das in diesem Stil weitergeht, wird 2006 was mich betrifft das qualitativ und quantitativ stärkste deutsche Kinojahr seit Ewigkeiten, und ich hoffe doch sehr, daß es genau in diesem Stil weitergeht. Vanessa Jopp jedenfalls hat das Ihre beigetragen und einen dichten, intensiven und eindrucksvollen Großstadtfilm gemacht. (4.4.)