Je ne suis pas là pour être aimé (Man muß mich nicht lieben) von Stéphane Brizé. Frankreich, 2005. Patrick Chesnais, Anne Consigny, Georges Wilson, Cyril Coupon

   Solche sogenannten einfachen Geschichten sind oft verflucht schwierig, wenn es darum geht, einen Film draus zu machen, der die Leute wirklich für anderthalb Stunden beschäftigt und bewegt. Man hat nur eine knappe Handvoll Leute, die tun wiederum nichts besonderes und stellen erst recht nichts besonderes dar, und was mit ihnen geschieht läßt sich auch schlecht in die Kategorie „spektakulär“ einsortieren: Eine, wie soll man sagen, halbe Liebesgeschichte zwischen einem recht ergrauten fünfzigjährigen Gerichtsvollzieher und einer jungen Frau die sich im Tangokurs kennenlernen. Jean-Claude ist ganz der trockene Beamte im unvermeidlichen Staubmantel zwischen Büro und Vollstreckungsbefehl, geschieden, trüb und längst der Routine ergeben, ohne ein nennenswertes Privatleben, höchstens mit dem schikanösen alten Vater, den er jeden Sonntag zum Monopoly im Heim besucht. Françoise steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem Verlobten Thierry, der allerdings eher ein muffelnder Intellektueller ist, ziemlich auf seinen Roman fixiert und ständig mit neuen Ausreden, damit er nicht mit ihr den Hochzeitstango einüben muß. Die beiden treffen also im Tanzkurs aufeinander, sie spricht ihn an und irgendwie kommen sich die beiden näher, nur ist die Frage, wie weit sie gehen, zumal Françoise ihre Verlobung zunächst für sich behält. Er ist natürlich überaus unbeholfen und findet nie die passenden Worte, auch nicht, als er endlich die ganze Wahrheit erfährt, und sie läßt sich von ihrer heiratswütigen Familie so unter Druck setzen, daß sie ihm schließlich einen längeren Vortrag darüber hält, daß sie nur verwirrt war, alles nicht so gemeint hat und die beiden doch noch gute Freunde sein können. Gottseidank lauscht Jean-Claudes Sekretärin an der Tür und kann ihrem Chef nachher aus erfahrener weiblicher Sicht klarmachen, daß nichts von alledem ernst gemeint war, so daß er seine brüsk gekränkte Reaktion noch einmal überdenken kann. Immerhin weckt ihn die unerwartete Aufruhr der Gefühle auch sonst ein bißchen auf: Er geigt seinem Alten endlich mal die Meinung und hindert seinen Sohn, der gerade in seiner Kanzlei angefangen hat, daran, ein vertrockneter, halbtoter Bürohengst wie er zu werden. Und schließlich rafft er sich auch dazu auf, wieder zu Françoise in den Tanzkurs zu kommen.

   Wie gesagt, die Gefahr, daß so was in banale, langweilige Nichtigkeit abrutscht, ist immens groß, und man muß sich nur all die ungezählten Hollywoodprodukte ansehen, um zu wissen, was damit passieren kann. Die Schwierigkeit besteht darin, daß alle natürlich ein glückliches Ende erwarten, auf dem Weg dahin aber noch unterhalten werden wollen und vor allem, was am allerschwierigsten ist, sie wollen gerührt werden. Genau da fangen meine Probleme mit Hollywood an, denn gegen den dort handelsüblichen Kitsch bin ich leider immun, und nur ganz selten kommt mir mal eine Lovestory von dort unter, die mir wirklich gefällt. Dies ist aber gottlob kein Hollywoodfilm, die ist ein französischer Film und ein wunderschöner dazu. Seine Kunst besteht darin, daß er es sich leisten kann, im Grunde wirklich nur zwei Leute in ihren immer wiederkehrenden alltäglichen Zusammenhängen zu zeigen und ihre Begegnungen dann zu solch spannenden Ereignissen werden zu lassen, daß man fasziniert und in der Tat berührt zuschaut. Einige Male erlebt man Jean-Claudes traurige berufliche Praxis, die ermattete Gleichmütigkeit, mit der er sie ausführt, wie er sich stoisch Sonntag für Sonntag vom grantigen Vater anmeckern läßt und seinen Haß erst nachher im Auto herausschreit, und man erlebt Françoise, die versucht, ihren weinerlichen Schreiber zum Tanzen zu überreden und sich gegen die Übermami zu wehren, die die gesamte Hochzeit am liebsten im Alleingang planen möchte. Den Tango erleben die beiden zunächst sehr verschieden – sie tanzt mit sichtlichem Genuß und verfolgt ein konkretes Ziel, er geht die Sache sehr schüchtern und holperig an und ist eigentlich nur aus vager Neugier gekommen. Ihre Offenheit und Kontaktfreudigkeit überfordert ihn anfänglich, doch merkt man bald, daß sie irgend etwas in ihm angerührt hat und daß er plötzlich wieder Anschluß findet an Gefühle, die er lange begraben hatte, und mit denen er erst wieder umzugehen lernen muß. Es gibt zwischen den beiden Momente zauberhafter Intimität und Erotik (nichts Plattes allerdings!), Momente reiner Kinomagie, und es ist der Regie perfekt gelungen, eine Balance zwischen Diskretion, Distanz und zunehmender Nähe herzustellen. Die teilt sich weniger in Worten mit, als vielmehr in Blicken, in Körperhaltungen und natürlich auch im Tanz, der vor allem Françoise dazu dient, ihre Gefühle zu sortieren und zu prüfen. Stéphane Brizé erzählt seine Geschichte sehr ruhig, in gedämpften herbstlichen Bildern und ohne jede Länge. Die Szenen mit Jean-Claude und seinem Vater sind wunderbar realistisch und dicht in ihrer melancholischen und im Grunde tieftraurigen Stimmung, und die Szenen mit Jean-Claude und Françoise sind der reine Genuß. Das liegt zum einen an der intimen Inszenierung, zum anderen natürlich an beiden großartigen Hauptdarstellern. Patrick Chesnais zeigt als Minimalist eine ungewöhnliche Kunst, kleinste Nuancen sichtbar zu machen, und Anne Consigny ist wirklich zauberhaft und bringt jede einzelne ihrer Szenen unweigerlich zum strahlen. Selten zuvor fand ich es so nachvollziehbar, daß eine Frau das Leben eines Mannes dermaßen in Aufruhr versetzt.

 

   So ist also ein wunderschöner Liebesfilm entstanden, einer auf die ganz stille und subtile Art, perfekt im Timing, perfekt in der Umsetzung jeder Kleinigkeit, und selbst einem aktuell tief frustrierten Holzklotz wie mir ging so richtig das Herz auf – da merkt man erst mal, daß man auch eins hat! (21.8.)