Marie Antoinette (#) von Sofia Coppola. USA/Frankreich, 2006. Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Rip Torn, Judy Davis, Asia Argento, Danny Huston, Marianne Faithfull, Aurore Clément
Nach all den biederen Historienschmonzettchen und Kostümfilmchen nun also Marie “Sollen sie doch Kuchen essen” Antoinette ganz neu und hip als Popqueen, als Zuckerbäckergirl, als Barbiedoll im Prunkrausch von Versailles, als ein junges, unbefangenes, spontanes Mädchen, gefangen in lächerlichen Hofritualen, brutal unter Druck gesetzt vom gnadenlosen Hofklatsch und den Erwartungen der Königshäuser, gehemmt in ihren Gefühlen und ausgesetzt einem anfangs frigiden und distanzierten Louis XVI., dem sie dennoch unbedingt einen Thronfolger gebären muß, mitgerissen erst von einem maßlosen Konsumrausch und später von der wütenden Volksmeute, die zunächst die Bastille stürmt und sich dann drohend und blutdürstend vor dem großen Schloß aufbaut und die Königsfamilie in die Flucht schlägt.
Weil jederman die Story kennt, muß Sofia Coppola hier keine Geschichtsstunde abhalten und nichts hätte ihr vermutlich ferner gelegen als das. Ihr Film ist kaum an handfesten Daten interessiert, ebenso wenig an tiefergehenden soziologischen oder psychologischen Analysen, er ist vielmehr ein Beweis dafür, wie man zwei Stunden klang fast vollkommen an der Oberfläche bleiben kann und dabei trotzdem etwas zu sagen hat. In dem wir wunderschön gefilmte und rhythmisierte Tableaus vom täglichen Leben Marie am Hofe von Versailles an uns vorüberziehen lassen – dazu noch in gehöriger Distanz, denn wirklich nahe kommen wir dem Geschehen niemals – können wir uns zumindest mit einer möglichen Sichtweise der Dinge auseinandersetzen. Wir sehen eine hermetische Gesellschaft, die auf geradezu beängstigende Weise allem realen Lenen entrückt zu sein und tatsächlich in einer ganz anderen Welt zu existieren scheint – ich möchte nicht mal von „leben“ sprechen, denn lebendig wirkt diese Zusammenrottung von wahnwitziger Dekadenz, ebensolcher Verschwendungssucht, Eitelkeit, Selbstsucht und Grausamkeit selten, diese Anhäufung von muffigen Perücken, fetten Make-ups, schicken Roben und opulenter Festmahle, von zur Schau getragener Zucht und Bigotterie und gleichzeitig hemmungsloser Gier und Genusssucht. Marie kommt aus Österreich scheinbar ganz unvorbereitet hinein in diese morbide, im Untergang begriffene Welt, und genau an solchen Stellen gerät Coppolas absichtliche Unverbindlichkeit zum Nachteil, denn sie will uns hoffentlich nicht suggerieren, dass die Gebräuche vom Hof zu Wien gänzlich anders waren und jemand wie Marie absolut unvertraut war mit Dekadenz und Intrige. Jedenfalls präsentiert sich ihr in Versailles ein Monstrositätenkabinett an lächerlichen Figuren und lächerlichen Gepflogenheiten, gegen die sie anfänglich eher noch amüsiert aufbegehrt, bevor sie sich weitgehend fügt und schließlich versucht, das für sie beste herauszuholen. Und das ist beispielsweise eine Liebesaffäre mit einem schneidigen schwedischen Offizier, weil der Herr Gemahl im Bett nicht zu Topfe kommt, ein kichernder, gackernder Hofstaat, mit dem sie sich wenigstens amüsieren kann, weil der Herr Gemahl zumeist nur auf der Jagd ist, und vor allem eine Konsumorgie ohne gleichen, die schließlich sogar die Staatsfinanzen ins Wanken bringt und auf jeden Fall in groteskem Ungleichgewicht zu dem allgemein draußen vor der Tür herrschenden Elend darstellt. Coppola blendet dieses Elend völlig aus und das ist gut und konsequent, denn erstens wissen wir sowieso darum und zweitens vermittelt sie so einen viel besseren Eindruck von der totalen Entfremdung zwischen Volk und Adel, von der Abschottung desselben, von seiner Distanzierung von allem, was vermeintlich vulgär und weltlich war. Es gibt einige sehr starke Szenen von äußerst effektvollem, coolem und zugleich bitter-sarkastischem Humor, und für einige wenige Momente erlaubt uns Coppola auch mal einen Blick hinter die Fassade des ewig lächelnden Mädchens, aber ansonsten beruft sich ihre gesamte Darstellung wie gesagt auf eine reizvoll und suggestiv gestaltete Fläche, die nicht in die Tiefe lotet. Kirsten Dunst fügt sich in dieses Konzept hervorragend ein und präsentiert die Marie in äußerst charismatischer Weise, mal verführerisch sexy, mal als staunende Kindfrau, mal als verletztes Mädchen, zuletzt als entschlossene Ehegattin und Mutter, die ihrem Untergang gefasst entgegensieht, immer jedoch als ein Geschöpf ihrer Klasse und ohne die Möglichkeit, über diesen goldenen Tellerrand hinauszublicken. Hunger und Not sind ihr fremd, Einschränkungen hat sie nicht kennengelernt und sie kann sich scheinbar überhaupt nicht vorstellen, dass es noch eine andere Welt gibt als die ihre. Dunst und ihre Marie stehen sehr im Mittelpunkt, alle anderen Figuren werden an den Rand gedrängt, und detaillierte Charakterisierungen gibt es sowieso nicht. Der Film fließt in üppigem Design und schönen Bildern gleichmäßig an uns vorüber, baut einige Zeitsprünge ein ohne darüber Auskunft zu geben und ergeht sich im letzten Drittel auch in einigen Längen, ist zudem für meinen Geschmack unnötig aufgepeppt mit New Wave-Klängen, so als wolle Coppola sich bewusst an eine ganz junge Zielgruppe wenden, was ihr aber wohl nicht gelingen wird, da der Film ansonsten nicht sehr modern gestylt ist. Vielleicht will sie mit diesem Kunstgriff auch ihre eigenen Vorlieben oder ihre Eigensinnigkeit zur Schau stellen, egal was, ich persönlich kann darin keinen rechten Sinn erkennen, aber das macht auch nichts. Der Film hat seine Momente und ist innerhalb seiner Absichten bemerkenswert konsequent, und wer mit diesem Absichten etwas mehr fangen kann als ich wird den Film wohl auch noch lieber mögen. Ich für meinen Teil ziehe Coppolas frühere Werke vor, obwohl ich mich auch hier ganz gut unterhalten habe. (13.11.)