Munich (München) von Steven Spielberg. USA, 2005. Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, Ciáran Hinds, Hanns Zischler, Mathieu Kassovitz, Ayelet Zurer, Michel Lonsdale
Gewisse Bilder werden mich, glaube ich, ein Leben lang verfolgen, vor allem jene, die ich als Kind gesehen und teilweise kaum verstanden habe oder richtig einordnen konnte, die mich dann aber auf einer rein gefühlsmäßigen Ebene umso stärker beschäftigt haben. In den frühen Siebzigern waren das keine Bilder aus dem Fernsehen, sondern Bilder aus Zeitschriften oder zum Beispiel jene typischen Terroristenplakate, die man damals in jedem öffentlichen Gebäude zu sehen bekam und die mich und meine Altersgenossen ganz selbstverständlich jahrelang begleiteten, und noch heute klingt etwas in mir an, wenn ich Bilder von damals sehe oder Namen höre. Das wohl wirkungsstärkste Bild aus dieser Zeit ist für mich der mit einer Strumpfmaske vermummte palästinensische Terrorist auf dem Balkon einer der Athletenwohnungen im olympischen Dorf in München 1972, gleichermaßen ein zeitloser Ausdruck brutalsten, rücksichtslosesten Terrors wie auch ein ambivalenter, seltsamer Ansporn meiner Fantasie, der Fantasie eines Achtjährigen, der natürlich noch nicht verstand, worum es da mit Israel und Palästina überhaupt ging. Fast ebenso unvergeßlich sind für mich die Bilder von dem palästinensischen Unterhändler mit dem weißen Hut, wie er da mit Genscher verhandelt und von dem zerschossenen Hubschrauber auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck – vielleicht die erste Bekanntschaft, die ich damals mit der sogenannten großen Politik machte.
Steven Spielberg hat nun einen Film über München 1972 gedreht und damit seinen ersten, der mich auf einer sehr persönlichen Ebene anspricht, und folglich war Hingehen für mich Pflicht. Ich bin also hingegangen und hatte keinen Grund, dies zu bereuen, denn der Film ist sehr interessant und in vieler Hinsicht auch sehr gelungen (aber doch mehr interessant als gelungen vielleicht), wenn auch wiederum in anderer Hinsicht nicht ganz so eindrucksvoll, wie er wohl hätte sein können. Er erzählt ausgehend vom September 72 die (mir bis dato nicht mal bekannte) Geschichte der Vergeltung durch den Mossad, der eine Todesliste mit elf Namen anfertigt und ein fünfköpfiges Killerkommando auf den Weg schickt, um diese elf Männer, die sämtlich zu den Organisatoren des Attentats von München gehörten, zu „liquidieren“, wie es in der Diplomatensprache so schön süffig heißt. Golda Meir gibt die Parole aus: Diesmal muß Israel hart reagieren, um den Palästinensern ein für allemal zu zeigen, daß man sich weder einschüchtern noch terrorisieren läßt. In den Jahren bis 1979 wird dann quer durch ganz Europa zwischen Frankfurt, Paris, London und Athen und einmal sogar in Beirut gebombt und geschossen, ein paar Unbeteiligte finden den Tod, drei der fünf Männer ebenso, und am Ende stellt der Film die einfache und doch unendlich schwer zu beantwortende Frage, wozu all dies gut war, außer ein brutales und menschenverachtendes Verbrechen zu vergelten mit ebenso brutalen und menschenverachtenden Verbrechen. Der Anführer des Killerkommandos, ein israelischer Soldat namens Avner, verläßt jedenfalls mit seiner Familie Israel, um in New York zu leben, und dort konfrontiert er seinen Auftraggeber Ephraim mit dieser Frage und mit der Frage nach der Zukunft. Avner ist psychisch schwer angeschlagen, traumatisiert, eine Ehe wird viel auszuhalten haben, ständig hat er diese Bilder von Gewalt, Blut und Tod im Kopf, und je mehr Morde er begangen hat, desto intensiver fragt er nach dem Sinn, nach der Rechtfertigung, und da gibt es auch innerhalb der Gruppe ein paar Konfliktlinien. Denn nicht nur tötet er Menschen und gefährdet das Leben anderer (der Bombenbauer der Gruppe erweist sich nämlich als ziemlicher Stümper), sondern ihre Aktionen ziehen dramatische weltpolitische Kreise, denn der Gegenschlag der Palästinenser läßt niemals lange auf sich warten und so entspinnt sich in den Siebzigern eine schlimme Gewaltspirale mit Flugzeugentführungen, Geiseldramen, Bombenattentaten und Tausenden von Opfern. So ergibt sich eine eher persönliche und eine politische Dimension dieser Geschichte, und Spielberg hat beide recht überzeugend verknüpft, wenn auch so manches Detail fast am Rande verloren zu gehen droht. Aber zumindest wird die Frage nach der Rechtfertigung der ganzen Aktion deutlich aufgeworfen. Dem Mossad ging es um nichts als pure Vergeltung, Leben gegen Leben, Haß gegen Haß, und dafür haben sie sich konsequent über sämtliche völkerrechtlichen und gesetzlichen Rahmen hinweggesetzt, haben alle Möglichkeiten der Organisation ausgeschöpft und, wie Avner erst zuletzt erfährt, haben auch mehr als nur ein Kommando losgeschickt. In einigen kurzen aber prägnanten Szenen macht Spielberg deutlich, daß die Gewalt auf beiden Seiten qualitativ und auch moralisch gesehen in nichts unterschieden werden kann: In München fließt viel Blut und viele Familien weinen, aber bei den Rachemorden des Mossad fließt ebenso viel Blut und noch mehr Familien weinen. Ephraim und seine Leute setzen sich über all diese Einwände hinweg und argumentieren nur, daß Israel, um überleben zu können, sich energisch und mit aller Härte wehren muß, und Avner glaubt anfänglich an den Sinn seines Auftrags, nur geht ihm dieser im Lauf der Zeit dann verloren, und nicht nur ihm, sondern auch noch anderen aus der Gruppe, denn sie alle wissen, daß sie nach Beendigung ihrer Mission kaum mehr ins normale Leben werden zurückkehren können und fortan in ständiger Angst vor Vergeltungsschlägen rechnen müssen.
Die Stärke des Films, seine ziemlich ausgewogene und auf den humanistischen Aspekt fokussierte Haltung, ist aber zugleich auch seine Schwäche, zumindest für denjenigen, der von Spielberg endlich mal ein klares politisches Statement erwartet hatte. Alle Betrachtungen über den Sinn und die Berechtigung von Rache sind ehrenhaft und richtig und berühren mich auch, ohne Frage, aber die Geschichte hat eben auch noch eine politische, oder wenn man so will historische Dimension, die nicht einfach ausgeblendet werden kann, und hier bleiben Spielberg und sein Autor Tony Kushner auf typisch amerikanische Weise etwas zu vage und unverbindlich. Natürlich ist es absolut nicht gefragt, einseitig zu urteilen oder mit großen Botschaften um sich zu werfen, aber ich hatte häufig den Eindruck, daß Spielberg sich auf dem Actionterrain sicherer fühlt als auf politischem Boden, weshalb die Attentate (und auch das Attentat in München) in aller Ausführlichkeit und unter Zurschaustellung zum Teil übermäßig grober Gewalt vorgeführt werden und der Film über weite Strecken auch sehr gut als reiner Thriller mit historischem Hintergrund funktionieren könnte. Leider bleiben auch Avners Mitstreiter als Menschen sehr undeutlich, obwohl ich denke, daß sich durch sie ein breites, interessantes Spektrum jüdischer Identitäten und Meinungen eröffnet hätte, wie man ja an der einen oder anderen kurzen Debatte schon ahnen kann. Spielbergs Gewichtung geht doch zu deutlich auf die spektakulären Momente, die er einmal mehr gekonnt und virtuos inszeniert, die aber gerade hier im Vergleich zu dem, was auf sie folgt, eher in den Hintergrund hätten treten können. Ich habe selbst gemerkt, daß ich den Actionhighlights weitgehend unbeteiligt gefolgt bin und nur dann besonders interessiert war, wenn es um die Leute, die Hintergründe, die Argumente ging. Auch manche Sprünge in der Chronologie hätte man sich sparen können bei entsprechender Kürzung der mitunter sehr detailliert geschilderten Morde.
Dennoch ist dies wie schon gesagt ein sehr interessanter, manchmal sogar kontroverser und auch komplexer Film und vielleicht so nah dran an einem anspruchsvollen Politdrama, wie Hollywood überhaupt nur sein kann. Spielberg ist, und daran ist auch nichts mehr zu ändern, den Gesetzen der Branche zu sehr verpflichtet, um mal total aus der Rolle zu fallen und mal wirklich etwas Mutiges und Sperriges zu produzieren. Aber innerhalb seiner natürlichen Grenzen ist dies sicher einer seiner besten, weil inhaltlich interessantesten Filme, in jeder Hinsicht hervorragend geschrieben und gespielt und jedenfalls ein guter Ausgangspunkt für Diskussionen. (2.2.)