Sommer vorm Balkon von Andreas Dresen. BRD, 2005. Nadja Uhl, Inka Friedrich, Andreas Schmidt, Stephanie Schönfeld

   Vorneweg bemerkt ist es erst mal ziemlich beknackt, solch einen Film mitten im trüben, naßkalten deutschen Winter zu zeigen, wenn es unsereinem wirklich schwer fällt, sich gefühlsmäßig auf etwas völlig Gegenteiliges einzustellen. Das kann ich natürlich nicht diesem Film vorwerfen, denn wenn es überhaupt einem gelingen sollte, uns hier und jetzt den Sommer zu bringen, dann sicherlich diesem, denn kaum jemals habe ich Bilder gesehen, die den Sommer in der Stadt regelrecht geatmet, ihn fühl- ,schmeck- und riechbar gemacht haben. Jeder hat es sofort vor Augen und im Gefühl: Die heißen, grellen Tage und vor allem die langen, warmen Abende oben auf dem Balkon mit den Sommergeräuschen von der Straße unten, den offenen Kneipen, den Leuten, die bis spät in die Nacht unterwegs sind, dem langsam ausklingenden Licht im Westen und so weiter. Man kommt leicht ins Schwärmen, aber Dresen hat diese Atmosphäre einfach grandios gut festgehalten.

 Er hat aber noch viel mehr gemacht, er hat einen der schönsten Alltagsfilme aus Deutschland seit langer Zeit gemacht, die Geschichte sogenannter einfacher Leute, oder vielmehr einen Ausschnitt aus ihrer Geschichte, denn wie als Schlußwort bemerkt wird, geht alles immer so weiter. Dresen hat dies nach bestem britischen Vorbild getan, das heißt ohne Pathos, ohne große Sprüche oder Absichtserklärungen, nah dran an den Leuten und ihrem Alltag und perfekt ausgesteuert zwischen Gefühl und Realismus, all das auf so warmherzige und charmante Weise, daß es im deutschen Film eine echte Rarität ist. Sehr maßgeblichen Anteil daran haben Inka Friedrich und Nadja Uhl, die phantastisch sind als Katrin und Nike, zwei Freundinnen, die in Berlin in einem Mietshaus wohnen. Katrin kommt eigentlich aus Freiburg, hat in den Osten geheiratet, hat sich vertan, ist geschieden, nun also alleinerziehende, arbeitslose Singlemutter und versucht in Bewerbungstrainings und mit zuviel Alkohol über die Runden zu kommen und kriegt fast nicht mit, daß ihr Sohn seinen ersten Liebeskummer hat. Nike ist Dauersingle mit lockerem Lebenswandel, deutlich offener und offensiver als die etwas spröde Katrin, arbeitet als Altenpflegerin in der mobilen Pflege („weil ick ja irjendwie Jeld vadienen muß“), verbringt mit Katrin so manchen lauen Abend auf dem Balkon und schleppt sie ab und zu mit in die Disko, damit vielleicht auch mal ein Kerl abfällt. Sie lernt den Trucker Ronald kennen, einen ebenso liebenswerten wie bindungsunfähigen Chauvi („vasteh ick nich“) mit vielen Frauen und Kindern, und braucht einige Zeit, um zu merken, daß das nichts werden kann. Gleichzeitig hat Katrin ihren Zusammenbruch, kommt in die Entzugstherapie und kann sich danach halbwegs gefestigt den weiteren Herausforderungen stellen, und nach kurzem Streit raufen sich auch die beiden Freundinnen wieder zusammen.

   Der anfängliche Eindruck, es können sich hier vielleicht „nur“ um eine flotte, sympathische Sommerkomödie handeln, verfliegt relativ schnell, den Komisches und Ernstes liegen hier sehr nah beieinander und bilden ein echtes Wechselbad, durch das Nike und Katrin voll durch müssen. Für die eine ist das der tägliche Arbeitsstreß (ich kann sagen, daß die Szenen aus der Pflege teilweise beängstigend wirklichkeitsnah sind) im Kampf gegen die Uhr, garstige Angehörige oder herablassende Vorgesetzte, für die andere der lange und oft frustrierende Weg durch die erwähnten Trainings oder auch reale Bewerbungen und immer nur kurze Beschäftigungen. Beide leben allein, beide sind im Grunde nicht damit zufrieden, gehen ihre Situation jedoch unterschiedlich an und machen entsprechend unterschiedliche Erfahrungen (die zunehmende Alkoholsucht bei Katrin, das ständige Hoffen und Bangen wegen diesem Kerl bei Nike). Gerade diese tägliche Auf und Ab mit Irrtümern, Umwegen, Abwegen, Streits und Versöhnungen und was sonst dazugehört, wird mit ganz viel Liebe und Gefühl für den richtigen Ton erzählt, und das ist bei soviel Bewegung und Turbulenz ziemlich schwierig. Von der Sprache bis zum Milieu stimmt bis in die Details einfach alles, man ist mitten drin in diesem Leben, und da werden keine Rezepte verschenkt und keine Heilmittel oder Durchhalteparolen, da muß man einfach durch, jeder von uns und eben auch diese beiden Frauen hier. Ganz einfach und direkt gestaltet, aber besser kann man es wohl nicht spielen und auch nicht schreiben und inszenieren. (18.1.)