Syriana (#) von Stephen Gaghan. USA, 2005. George Clooney, Matt Damon. Jeffrey Wright, Christopher Plummer, Chris Cooper, Mazhar Munir, Amanda Peet, Tim Blake Nelson, William Hurt
Kein guter Film für die Popcornindustrie, überhaupt kein guter Film für jegliche Art von Konsumindustrie, denn entgegen der üblichen Kinoerfahrung findet sich der Konsument hier in einer ganz ungewohnten Situation wieder – er muß erstens wirklich hingucken und er muß zweitens und vor allem mitdenken. Popcornmampfen oder Colaschlürfen oder Chipscrunchen sind schlicht und einfach kontraindiziert, denn dieser Film verlangt die volle Aufmerksamkeit über mehr als zwei Stunden, und wer dies allgemein als Zumutung empfindet, kann gleich wegbleiben (und soll das bitteschön auch tun und die übrigen nicht mit nervösem Krach nerven), wer allerdings die Bereitschaft zum Aufpassen und Mitdenken aufbringt, wird fürstlich belohnt mit einem der allerbesten Hollywoodfilme der letzten Jahre – das klingt reichlich hochgegriffen, aber so meine ich es.
Stephen Gaghan hat für Soderberghs „Traffic“ das Drehbuch geschrieben, nun haben sie die Rollen getauscht: Gaghan schreibt und führt Regie und Soderbergh und George Clooney produzieren. Sie setzen nicht auf dröhnende Rowdyaction und plakative Statements sondern auf kontinuierlichen Spannungsaufbau und eine Erzählstruktur, die eben so komplex und undurchsichtig ist wie die Dinge auch in der Realität.
Wir sehen die Fusion zweier Ölkonzerne in den Staaten, die unter anderem hinter den Rechten für die letzten großen unerschlossenen Ölvorkommen in Kasachstan her sind. Um die Gerichte zu beruhigen, daß auch alles mit rechten Dingen zugehe, müssen Bauernopfer dargebracht werden. Eines findet man sehr schnell, das andere muß Jeffrey Wright als Rechtsberater finden. Er schafft das auch, kann sich in seinem Erfolg sonnen, kann aber seinem alten Vater am Schluß nicht mehr in die Augen sehen. Wir sehen die Fusionsverhandlungen der beiden firmen, hören ihre Sprüche, ahnen dunkel ihre Ränkespiele und Intrigen – wer muß geschmiert, wer beiseite gedrängt werden, mit welchen Regime fährt man am besten und wie zum Teufel kriegt man es hin, daß im Iran nicht progressive Kräfte ans Ruder kommen, sondern weiterhin das Mittelalter herrscht, damit um Gottes Willen die Geschäftsbeziehungen nicht in Gefahr geraten und sich etwa die Chinesen noch auf den Markt drängen. Diese Interessen teilt man mit der CIA, und wir sehen Tim Blake Nelson als Anzugträger und Drahtzieher daheim in Washington, von wo aus politische Umstürze, Waffenschiebereien, Attentate gegen unliebsame Machthaber am persischen Golf und andere Operationen geleitet werden, und wir sehen George Clooney mit Struppelbart vor Ort, wie er die Drecksarbeit macht, die Waffengeschäfte abwickelt, die Bombe ins richtige Auto legt, und schließlich in Beirut in die Falle läuft, weil einer seiner Kontaktpersonen mittlerweile zur Gegenseite übergelaufen ist, und er anschließend auch daheim nicht mehr gesellschaftsfähig ist und auch von den eigenen Leuten gemieden und abserviert wird. Wir sehen Matt Damon als jungen Wirtschaftsexperten und Berater, der ebenfalls im Ölgeschäft tätig ist, am Persischen Golf einem fortschrittlich und modern eingestellten Emir zur Übernahme der politischen Verantwortung verhelfen will, dabei aber eine schwere familiäre Krise und sogar den tragischen Unfalltod seines älteren Sohnes in Kauf nehmen muß. Wir sehen die Machtkämpfe rivalisierender Emire am Golf selbst und wir sehen die Rekrutierung neuer Selbstmordattentäter aus dem Pool der zahlreichen mal wieder willkürlich entlassenen Arbeiter, denn bei jedem Konzernwechsel fallen vor Ort Tausende Männer durchs Raster und die sind dann bevorzugte Ansprechpartner religiöser Fanatiker. Zum Schluß krachts dann: Zwei der Attentäter rasen mit ihrem Boot in einen Öltanker, und die Amis plazieren eine Lenkrakete punktgenau auf jenen Emir, der ihnen ein Dorn im Auge ist, und Georgie Clooney erwischen sie gleich in eins auch noch. Parallel dazu feiert man drüben in den Staaten die gelungene Fusion und die Hoffnung auf eine glorreiche, gewinnträchtige Zukunft.
Gaghan hat den einen Vorteil, daß er gar nicht übertreiben muß, um eine in jeder Hinsicht sprachlos machende Geschichte zu erzählen, denn das Ausmaß an Korruption und Rücksichtslosigkeit in der internationalen Großfinanz- und Politikszene ist so unermeßlich, daß man vermutlich gar nicht übertreiben kann, sondern vermutlich trotz allem noch ein gutes Stück hinter der monströsen Wirklichkeit zurückbleibt. Als Zuschauer bekommt man erst ziemlich spät, so im letzten Drittel ungefähr, eine ungefähre Ahnung von den Zusammenhängen, aber das ist wie gesagt völlig in Ordnung, denn schon vorher begreift man, daß es bei alledem lediglich um zwei Dinge geht: Um politische Macht und wirtschaftliche Profite. Diesen beiden Götzen wird mit absoluter Bedenkenlosigkeit alles andere geopfert, jedes nationale und internationale Gesetz, jedes einzelne Menschenrecht (daß es die überhaupt noch gibt...) und jeder Anschein von Integrität, Ehrlichkeit und Menschlichkeit. Die Wahl der Mittel variiert je nach der Umgebung: Daheim trägt man Anzug und Schlips und trägt die Verhandlungen und Schlammkämpfe in Konferenzräumen aus, in Europa trifft man sich immerhin noch in Luxusresidenzen und am Pool zu intriganten Aktion, und drüben in der Dritten Welt wird’s schon mal handgreiflicher mit Krach und Bumm und Folter, aber solange das nur weit genug weg ist und keine schlechte Presse daraus erwächst, ist alles okay. Die vermeintlich investigative Staatsanwaltschaft wird mit einem Deal hinter getönten Limousinenfenstern gepflegt ruhiggestellt, in Washington werden ein paar Fäden gezogen und Knöpfchen gedrückt, und clean gestylte Wirtschaftsjournalisten hinter unentwegt durchratternden Laufbändern von Börsenotierungen lassen nicht mal im Ansatz erahnen, wieviel Gewalt und Machtmißbrauch hinter den Geschäften steckt, deren Resultate uns dann zum Frühstücksfernsehen in die gute Stube gereicht werden. Bei alledem muß sich der Film im Ton gar nicht mal erhitzen oder aufregen, um uns dennoch am Ende bleischwer im Magen zu liegen, weil wir doch wissen, daß alles so oder so ähnlich geschieht und daß vor allem niemand von Macht und Einfluß auf der Welt ein echtes Interesse daran hat, daß sich die Dinge ändern. Wie schon in „Traffic“ werden die einzelnen Handlungselemente souverän ineinander geflochten, entsteht ein brillant komplexes Gebilde, ein unauflösbares Dickicht, das letztlich Ohnmacht und Wut hervorruft, weil der Einzelne weiß, daß er nichts tun kann, und weil er auch weiß, daß die Großen nichts tun wollen. Insofern ist dies sicherlich kein ermutigender Film, der uns individuell anspricht und zum Engagement auffordert, es ist eher eine extrem grimmige und bissige Zustandsbeschreibung und ein heftiger Schlag in die Fresse der US-amerikanischen Polit- und Wirtschaftsmafia. Künstlerisch und darstellerisch ist das durchweg erste Sahne und sehr viel spannender als all die Brüller und Kracher, die uns sonst so auf den Wecker fallen. Und wie gesagt ein Film, der den Mund aufmacht und sich was traut, und egal ob er nun von den Angesprochenen (die sich wahrscheinlich wieder mal nicht angesprochen fühlen) nur mit dem üblichen achselzuckenden Grinsen quittiert wird, einer der wenigen wirklich wichtigen politischen Filme aus Hollywood und gerade das kann man gar nicht hoch genug veranschlagen. (27.2.)