The road to Guantánamo (#) von Michael Winterbottom und Mat Whitecross. England, 2006. Farhad Harun, Arfan Usman, Rizman Ahmed, Waqar Siddiqui, Shahid Iqbal, Jason Salkey, Jacob Gaffney

   Die Geschichte der sogenannten “Tipton Three”, die im September 2001 aus den englischen Midlands in ihre ursprüngliche Heimat Pakistan reisen, um dort der Hochzeit eines Freunde beizuwohnen, die dann im Zuge der sich überschlagenden Ereignisse mehr aus Neugier heraus rüber nach Afghanistan fahren, einfach um zu sehen was dort los ist und ob sie etwas tun können, die dort vom rasenden Strudel sozusagen mitgerissen, von der Nordallianz gefangen genommen und an die Amerikaner ausgeliefert werden, jetzt bereits feststehend als islamistische Terroristen, die dann nach Guantánamo Bay auf Kuba kommen und dort zwei Jahre lang unter schlimmsten Bedingungen zu vegetieren bis sie wieder freigelassen werden.

   Wer vor einigen Jahren Michael Winterbottoms „In this world“ gesehen hat, weiß eigentlich schon vorher, was er von diesem Film erwarten kann und was nicht, oder ahnt es wenigstens. Kein sauber strukturiertes, braves Politkino jedenfalls, keinen feierlichen Appell im Mainstreamgewand, keine besonnen ausgewogene Argumentationslinie, sondern sperriges, kantiges Zeug. Und das ist genau, was man bekommt, und das ist zugleich der größte Vorteil und auch der größte Nachteil dieses Films. Wie schon in dem älteren Flüchtlingsdrama konfrontiert uns Winterbottom radikal und ohne jegliche Vermittlung mit einer erschütternden, dramatischen Geschichte, die, wenn sie auch genau so vielleicht nicht geschehen ist, so doch auf jeden Fall ganz ähnlich jederzeit geschehen könnte. Interviews mit den Beteiligten, die ein paar Jahre später von ihren Erlebnissen berichten wechseln ab mit nachgespielten Szenen in körnigem, verwackelten Dokustil, die mitten hinein in das atemberaubende politische und menschliche Chaos gehen, das auch die drei Freunde aus Tipton erfaßt und sie für über zwei Jahre aus ihrem Leben herausreißt und dieses nachhaltig verändert. Winterbottom erzählt nicht sachlich und systematisch, er bemüht sich in keiner Weise um einen gesicherten faktischen historischen Hintergrund, er verfährt mit uns im Grunde so, wie das leben mit Ruhel, Asif und Shafiq verfahren ist, er überrollt uns, stürzt uns mitten hinein in die Geschichte, konfrontiert uns mit Ereignissen, auf die man im Moment nur intuitiv und emotional reagieren kann. Der Vorwurf also, dieser Film sei subjektiv, unkritisch und gaukle Objektivität nur vor, geht total an Winterbottoms Absichten vorbei, denn diese Subjektivität ist gerade seine Strategie, er will uns subjektiv Erlebtes zeigen und vielleicht auch ein Stück nachleben lassen, denn nachdem wir gut anderthalb Stunden lang ordentlich durchgeschüttelt und regelrecht überfahren wurden, können wir möglicherweise ein wenig besser nachvollziehen, wie es für die drei gewesen sein muß, die eher aus naivem Interesse und ohne jeden Blick für die tieferen politischen Zusammenhänge nach Afghanistan reisen, an sich schon eine zunehmend bedrohliche Unternehmung, um dort plötzlich mit Krieg und Gewalt und vor allem erschreckender Radikalität konfrontiert zu werden, mit der sie in ihrem bisherigen Leben in England nichts zu tun hatten. Winterbottom hat es nicht nötig, explizit klarzustellen, daß diese drei niemals Terroristen oder islamistische Gewalttäter waren und es auch niemals werden würden, denn erstens sprechen die gezeigten Szenen für sich und zweitens hätte dies zu einer rechtfertigenden Haltung geführt, die der Film bewußt nicht einnehmen will. Die Verhaftung durch Soldaten der Nordallianz, die Auslieferung an die Amis, die Verfrachtung nach Kuba und die Internierung in das Foltergefängnis erleben wir ähnlich wie die drei als wirre, unübersichtliche Abfolge von Ereignissen, die man nicht verstehen kann, und es ist auch niemand da, all dies zu ordnen oder gar zu erklären, und auf diese Weise erhält man schon einen gewissen Eindruck davon, wie es ist wenn man ausgeliefert, macht- und

schutzlos ist und das Gefühl hat, nicht zu verstehen und nichts tun zu können. Die Szenen im Gefängnis sind schlimm, zeigen brutale Folter, Gewalt, Demütigung, Entmenschlichung und sind in ihrer Aussage sehr deutlich. Auch hier kümmert sich Winterbottom nicht um die Frage der Wahrheit (was auch immer das in den Augen vieler Kritiker ist), denn selbst wenn ein Mensch unter einem irgendwie begründeten Verdacht steht, hat keine Nation, die sich zivilisiert nennen möchte das Recht, ihn so zu erniedrigen und zu mißhandeln, wie das die Amerikaner seit Jahr und Tag getan haben und es immer noch tun und sich noch immer hinstellen und behaupten, sie würden auf diese Weise die Interessen der gesamten freien Welt wahrnehmen – und noch immer Mitläufer finden, die diese Politik unterstützenswert und gut und richtig finden. Tony Blair wird in diesem Zusammenhang nicht vergessen, allein ein kurzer Einschub mit ihm und Bush, der keines weiteren Kommentars bedarf,  reicht schon aus, um uns an diese unselige Allianz zu erinnern.

   Daß Winterbottom also polemisch und meinetwegen wenig ausgewogen vorgeht, gereicht dem Film meiner Ansicht nach nicht zum Nachteil sondern im Gegenteil zum Vorteil, denn ich persönlich habe schon lange die Schnauze voll von den vielen wohlmeinenden, aufrichtigen Politfilmen, die vielleicht ein ehrenwertes Anliegen haben aber keine echte Wut, keine echten Emotionen, und Winterbottom hat sicherlich von beidem reichlich und er bringt es auch zum Ausdruck. Menschenrechtsverletzungen, Völkerrechtsverletzungen, politische Paranoia, die Schaffung rechtsfreier Räume und dergleichen gehören sämtlich in diese Geschichte – jedes für sich genommen ein großes Thema, doch fügt Winterbottom sie organisch und folgerichtig zusammen. Sein Film ist zu keiner Zeit unglaubwürdig oder fragwürdig und man hat als Zuschauer immer die Möglichkeit, ihn inhaltlich oder politisch abzulehnen, aber wenigstens hat man mal etwas, woran man sich reiben und worüber man diskutieren kann, und so betrachtet ist dies natürlich ein außerordentlich starker und wichtiger Film.

   Mein einziger Einwand gegen ihn, und den hatte auch mein Mitstreiter, der mit einem ähnlichen Gefühl aus dem Saal ging, ist, daß alle Ereignisse hier in gleichbleibend hohem, teilweise schwindelerregenden Tempo ablaufen und daß Winterbottom dramaturgisch keine Akzente und Schwerpunkte setzt. Wie schon in „In this world“ rauscht die bestürzende Story atemlos und ununterbrochen voran, nichts wird besonders betont oder herausgehoben, nirgendwo wird eingehalten, und irgendwann merke ich, daß ich rein als Schutzmaßnahme eine gewisse Distanz zu dem Gesehenen aufbaue und das selbiges folglich in einiger Entfernung von mir abläuft. Vielleicht ist auch dies Teil von Winterbottoms Konzept, ich persönlich hätte mir aber gewünscht, daß er die ihm wichtigen Aspekte deutlicher hervorgehoben und hier und da ein wenig mehr Zeit aufgewendet hätte, Zeit, die ich gebraucht hätte, um mich in die eine oder andere Szenerie hineinzudenken und zu fühlen. Also ein Film, der es uns wirklich nicht leicht macht, der sich bewährt unzugänglich und schroff gibt auch bei einem Thema, bei dem wir als sicher und weit weg lebende Europäer ein wenig mehr Hilfe nötig

 

gehabt hätten. Winterbottom hat uns diesen Gefallen nicht getan, er hat uns dieses ruppige Ding hingeworfen, so wie er es ja häufig tut, und es ist an uns, damit klarzukommen. Dennoch inmitten der globalen Filmlandschaft eine ziemliche Ausnahme, und wenn man auch nicht mit allen einverstanden sein mag, so wird dennoch die Wichtigkeit und die Kraft seiner Aussage nicht bestreiten können. (17.10.)