Where the truth lies (Wahre Lügen) von  Atom Egoyan. Kanada/England, 2005. Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman, Rachel Blanchard, David Hayman, Maury Chaykin, Deborah Glover

   Schönes Wortspiel im Original – wo die Wahrheit lügt oder liegt – so was geht halt nur im Englischen und nicht im Deutschen, und folglich bleibt der deutsche Titel einmal wieder hinter dem englischen zurück, aber das kann man halt nicht ändern. Aber natürlich geht es gerade um das Verhältnis von Wahrheit und Lüge, um den Versuch, die Wahrheit hinter all den lügen und Mythen zu finden, so wie hier eine junge Reporterin versucht, im Jahre 1972 einen 15 Jahre zurückliegenden Todesfall zu klären, der damals ein legendäres Showduo in Verlegenheit brachte, dessen wahre Hintergründe aber rasch vertuscht wurden und seitdem im Dunkel geblieben sind. Nun aber macht sich Karen daran, die Vergangenheit wieder ans Tageslicht zu befördern. Sie will herausfinden, was damals mit der jungen Studentin Maureen geschah und eigentlich möchte sie als leidenschaftlicher Fan auch etwas über Vince und Lanny erfahren, über ihr Leben, ihre Auftritte und auch den Grund für ihre Trennung. Unversehens wird sie selbst tief in die Geschichte hineingezogen, hat eine Affäre mit Lanny und kann nicht verhindern, daß Vince sich schließlich umbringt. Sie erfährt zwar die Wahrheit, glücklich macht sie das natürlich auch nicht, doch immerhin kann sie dafür sorgen, daß Maureens Mutter nach fünfzehn Jahren endlich Gewißheit bekommt und damit ihre Ruhe findet.

   Egoyan hat mit gewohnter Brillanz einen Film von hypnotischer Intensität und Dichte gemacht, der in fast jeder Szenen den außergewöhnlichen Filmemacher und Geschichtenerzähler verrät, nur hat er es versäumt, eine Geschichte zu erzählen, die mich persönlich wirklich interessiert. Bis ungefähr zur Hälfte habe ich mich verschiedentlich selbst dabei ertappt, relativ distanziert und unbeteiligt zuzuschauen, und erst die zweite Stunde hat mich dann stärker in den Bann gezogen und gefesselt. Woran es liegt ist gar nicht mal so leicht zu sagen. Zum einen interessiert mich schon die Welt des Showbiz nicht, die glitzernde Fassade, hinter der sich, jeder weiß es und hat es bereits x-mal gesehen, grenzenlose Gier, Kälte, Brutalität und Egozentrik verbergen, angereichert mit der amerikanischen Bigotterie der Fünfziger und natürlich reichlich Sex und Drogen. Die Zutaten für solche Melodramen sind hinlänglich bekannt, und Egoyan hat sie lediglich ein wenig knackiger, deftiger und zynischer aufbereitet. Das Motiv der ehrgeizig und ebenso naiv wie investigativ forschenden Neugierigen ist ebenfalls nicht neu, und sehr bald schon weiß man ziemlich sicher, daß sich das eifrige Mädchen tiefer als geplant in die Sache verstricken und keineswegs die Kontrolle über den Lauf der Ereignisse und vor allem ihre eigenen Gefühle behalten wird. Dann wäre da noch das Komikerpaar selbst und für mich vielleicht der größte Haken an dem Film, denn bei Licht betrachtet gibt ihre Partnerschaft einfach nicht genug Substanz her. Wir sehen sie auf oder hinter der Bühne oder mit Groupies im Hotel oder eben Jahre später, gealtert und verbittert, als Ex-Stars, die nichts mehr mit sich und ihrem Leben anfangen können. Wir erleben die Diskrepanz zwischen ihrer lockeren, coolen, schlagfertigen äußeren Erscheinung und ihren Differenzen, ihrer Erschöpfung und schließlich ihrer Panik, als die Leiche der Studentin auftaucht. Karen gelingt es schließlich, den Grund für ihren Bruch wie auch den wirklichen Grund für Maureens Tod in Erfahrung zu bringen, nämlich Vinces Enthüllung, daß er eigentlich bisexuell ist, und ich persönlich habe mich bei diesem dramaturgischen Knallfrosch schon ein wenig düpiert gefühlt, denn bei aller Liebe kann ich so etwas heutzutage nicht mehr als spektakuläres Highlight präsentieren, es ist schlicht und ergreifend banal, vor allem nach all der gespannten Erwartung, die hier aufgebaut wurde.

 

   So hat Egoyan seine ganze suggestive Inszenierungskunst für eine Story aufgewendet, die es meiner Ansicht nach nicht wirklich wert ist, obwohl die puzzleartige Konstruktion einmal mehr sehr kunstvoll und elegant verschachtelt ist, die Schauspieler außerordentlich überzeugend sind und der Soundtrack für mich als altem Fan der 60s und 70s natürlich einen zusätzlichen Pluspunkt darstellt. Formal kann der Film leicht mit seinen besten mithalten, inhaltlich aber haben mir „Felicia, mein Engel“ und vor allem „Das süße Jenseits“ weitaus besser gefallen. Vielleicht kriegt beim nächsten Mal wieder Inhalt und Form so perfekt zusammen wie in diesen beiden Meisterstücken. (8.2.)