Water (#) von Deepa Mehta. Indien/Kanada, 2005. Sarala, Seema Biswas, Lisa Ray, John Abraham, Kulbhushan Kharbanda, Waheeda Rehman, Raghubir Yadav, Vinay Pathak, Rishma Malik
Indien 1938: Die kleine Chuyia wird mit acht Jahren Witwe, und damit ist ihr Leben vorgezeichnet. Für Witwen gab es nach geltendem Recht drei Möglichkeiten: Sie heirateten den Bruder des Verstorbenen, sie führten ein enthaltsames Leben bis zum Tod oder aber sie folgten ihrem Gatten gleich mit ihn den Tod. Witwen mußten eine bestimmte Tracht tragen, waren also gleich erkennbar, lebten mehr oder weniger rechtlos und ausgestoßen wie jemand, dessen Existenzberechtigung ausschließlich am Leben des Ehemannes hing. Chuyia kommt in ein Haus, in dem nur Witwen leben, kann sich aber in die resignative, hermetische Gemeinschaft nicht einfügen. Sie lernt die schöne Kalyani kennen, in die sich ein junger Mann verliebt, der sie ungeachtet ihres Ranges heiraten möchte. Doch er muß erfahren, daß Kalyani sich auf Druck einer der anderen Witwen seit längerem schon prostituiert hat, um den Lebensunterhalt der Frauen zu sichern, und daß einer ihrer Kunden sein eigener Vater war. Sie stürzt sich verzweifelt ins Wasser und stirbt, und Chuyia kann nur knapp vor einem ähnlichen Schicksal gerettet werden, denn einmal bereits wurde sie dem alten Mann zugeführt, bevor eine andere Witwe die Wahrheit erkennt und das Mädchen schnell fortbringt zum Bahnhof, wo der junge Mann den Zug nimmt, mit dem der jüngst in Südafrika freigelassene Mahatma Gandhi durch das Land fährt, um den Landsleuten seine Botschaft zu verkünden.
Bollywood kann auch anders, das weiß man wohl, sieht man aber nicht so oft. Bunte Bilder, heftiges Melodrama, Musik und Tanz und dazu dann politische Aussagen – auf den ersten Blick vielleicht eine kuriose Mischung, aber andererseits wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, den indischen Zuschauern irgendeine Absicht nahezubringen. Deepa Metha hat sich dabei mit der Anwendung der bewährten filmischen Mittel sehr zurückgehalten. Ihr Film setzt viel eher auf meditative Ruhe und dichte Atmosphäre statt auf lauten Trubel. Zwar wird auch hier drei- oder viermal auf der Tonspur ein Liedchen geträllert, und für unseren Geschmack scheinen die Emotionen zuweilen ein wenig hoch zu wallen (Liebe und Liebesleid und der abschließende Gang ins Wasser), doch verglichen mit dem, was sonst in Bollyood Standart ist, kommt mir das sehr dezent vor und eher auf westliche Sehgewohnheiten abgestimmt. Metha läßt die Dramaturgie absichtlich schleifen, erinnert daran ein bißchen an Satyiajit Ray, nimmt sich Zeit für Alltagsszenen aus dem Witwenhaus und bemüht sich vor allem darum, die Stellung der Witwen in der indischen Gesellschaft zu verdeutlichen. Dies gelingt ihr am besten anhand eindrucksvoller Einzelschicksale, die zusammengenommen ein sehr differenziertes Gesamtbild ergeben und einzeln gesehen zum Teil ziemlich hart sind. Dies ist vielleicht die erstaunlichste Qualität dieses sehr schön poetischen Films- unter seiner täuschend idyllischen Oberfläche ist er in der Tat ziemlich hart, und die eingebauten melodramatischen Akzente haben rein gar nichts mit Verwässerung der Aussage zu tun. Die bündelt sich am Schluß in Chuyias traurigem Schicksal, das vielleicht gerade noch einmal zum Guten abgewendet werden kann, und auch die Integration Gandhis in die Geschichte ist sehr interessant, den der Mahatma war offensichtlich nicht nur auf politischem Gebiet ein Hoffnungsträger, sondern auch was die dringend notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen angeht. Methas Schlußwort allerdings betrachtet den Erfolg seines Wirkens in dieser speziellen Hinsicht allerdings mit der gebotenen Nüchternheit: Auch heute noch leben in Indien mehr als dreißig Millionen Witwen, und ihre Lebensumstände haben sich im Vergleich zu damals keineswegs so verbessert wie es eigentlich sein sollte.
Insgesamt also ein eindrucksvoll gespielter und gestalteter Film, der uns die bunte Exotenwelt mal von einer anderen, dunkleren Seite zeigt und nicht nur den sonst üblichen irren Frohsinn zur Schau stellt. (19.9.)