Masjävlar (Zurück nach Dalarna!) von Maria Blom. Schweden, 2004. Sofia Helin, Kajsa Ernst, Ann Petrén, Barbro Enberg, Joakim Lindblad, Inga Ålenius, Wille Andréason, Lars-Gunnar Aronson
Das habe ich bestimmt schon mal aufgeschrieben – traue nie nie nie einem Klappentextschreiber! Und – ich tu’s doch immer wieder, und mit mir übrigens viele andere. Was kann man über diesen Film im lokalen Klappentext lesen? Ich zitiere wörtlich: „Ein witziges, herzerwärmendes Meisterwerk, das rundum glücklich macht.“ Das einzige Wort, das ich aus diesem Text nicht unbedingt anzweifeln, allerdings deutlich übertrieben finden würde, ist das Wort „Meisterwerk“, denn ich finde diesen Film schon ziemlich gut, aber für ein Meisterwerk würde ich ihn vielleicht doch nicht halten. Alles andere aber ist glatter Unsinn, nur dazu bestimmt, uns mit der Vorfreude auf eine weitere warmherzige skandinavische Komödie zu fangen (es klappt natürlich, die Leute kommen und freuen sich auf sonnigen, liebenswürdigen Humor aus dem Norden). Aber: witzig finde ich den Film überhaupt nicht, oder jedenfalls fast nicht, dazu ist er viel zu fürchterlich realistisch. Herzerwärmend ist er schon gar nicht, es sei denn man kann sich eventuell an kollektiven Familienneurosen und -psychosen erfreuen. Und glücklich macht mich dieser Film erst recht nicht, dafür kommt hier einfach zuviel Unglück vor, auch wenn der Ausblick ein wenig versöhnlich und hoffnungsspendend ist. Vielleicht hat ja Ingmar Bergman diesen Werbetext geschrieben, denn dies dürfte zumindest in Teilen eher seine Welt sein.
Mia kommt zur Feier des siebzigsten Geburtstags ihres Vaters zurück nach Hause, in ein Kaff eben in Dalarna. Sie lebt und arbeitet in Stockholm als Systemarchitektin, ohne festen Freund dafür mit wechselnden Bekanntschaften und nun einer ungewollten Schwangerschaft, sie kommt widerwillig, unfreiwillig, begegnet den Leuten daheim mit der Herablassung der Städterin, die alle anderen für Hinterwäldler hält, wird in diesem Urteil natürlich jedesmal prompt bestätigt, versucht, nach außen cool und souverän zu wirken, ist natürlich alles andere als das. Ihre Schwester Eivor ist eine Musterhausfrau und Mutter, engagiertes Gemeindemitglied, die alles regelt, alles organisiert, völlig unentbehrlich ist, spießig, neiderfüllt und zickig gegen die kleine Schwester, die schon immer mehr Freiheiten und Möglichkeiten hatte als sie, erst recht als sie erfährt, daß Mia ein Grundstück von den Eltern geschenkt bekommt, auf das sie selbst seit langem spekuliert hat. Die andere Schwester Gunilla, geschieden und nun in Falun lebend, ist auf dem Selbstfindungstrip und schwärmt ununterbrochen von einer Reise nach Bali, wo sie einen feschen jungen Amerikaner aufgerissen hat. Mittendrin die Eltern, arglos oder vermeintlich arglos, die an dem ganzen Gerangel irgendwie nur peripher beteiligt sind, aber natürlich mehr wissen und sich mehr denken, als sie sagen und zeigen. Um diesen ohnehin schon reichlich explosiven Kern rotieren noch ein paar Kerle, die ebenfalls mit diversen Defekten und Macken ausgerüstet sind, und natürlich kumuliert die ganze Entwicklung auf der abendlichen Feier, wo viel gesoffen, gekotzt, getanzt und vor allem gestritten wird. Dann wird eine Katze totgeschossen, die drei Schwestern machen endlich reinen Tisch, doch Eivor stirbt durch eine Herzattacke, und erst danach kann Mia sagen, daß sie sie geliebt hat.
Das Schema ist weißgott nicht neu – das Nachhausekommen mit bangen Vorahnungen und Ängsten, das Aufeinanderprallen grundverschiedener Lebenswelten und –einstellungen und schließlich der eine Abend, an dem alles aus allen herausplatzt, und entweder wird dann wirklich das System gesprengt, oder aber die Beteiligten raufen sich wieder zusammen, so wie hier. Wenn das zur Komödie reicht, na gut, dann ist das eben eine. Maria Blom geht ziemlich klar und unverblümt zur Sache, niemals aber denunziatorisch oder einseitig. Zunächst wähnt man sich auf Mias Seite und teilt vielleicht ihre negativen Gefühle diesen engstirnigen, simplen Leuten gegenüber, doch mehr und mehr erkennt man, daß sie auf ihre Art genauso engstirnig und vorurteilsbehaftet ist wie alle anderen, daß ihre distanzierte, etwas verächtliche Haltung kein bißchen positiver ist als das, was ihr entgegengebracht wird. Es gibt ein paar ausgesprochen beklemmende und wahrhaftige Momente, in denen Blom sehr gut zeigt, wie es ist, wenn man sich auseinanderlebt und wenn jeder einzelne am Ende nur noch mit sich selbst und seinen Problemen beschäftigt ist, wenn man verlernt hat, miteinander zu sprechen und vor allem aufeinander einzugehen und sich wirklich mal für den anderen zu interessieren. Jede der Schwestern verbarrikadiert sich hinter einer Schutzfassade, keine will ihren Frust, ihre Enttäuschungen und Ängste eingestehen, die eine redet nur von ihrem tollen neuen Job und dem tollen neuen Appartement und dem tollen neuen Auto, die zweite stürzt sich besinnungslos in Arbeit und verkrampften Frohsinn und die dritte schwärmt nur von Bali und wie toll es da war und schenkt ihrem Vater eine rosa Blumengirlande, mit der er garantiert nichts anfangen kann. Diese Mauern werden erst im letzten Moment niedergerissen, und da ist es für Eivor schon zu spät, und auch für die beiden anderen, denn vieles von dem, was sie sich vielleicht hatten sagen wollen, können sie sich nun nicht mehr sagen. Immerhin hat es Mia geschafft, ihre schützende Arroganz über Bord zu werfen und Land und Leute etwas unvoreingenommener und verständnisvoller zu sehen, und damit hat sie sicherlich am meisten gewonnen. Ob das jetzt aber einen restlos glücklich machenden, herzerwärmenden Film ausmacht, weiß ich beim besten Willen nicht.
Ich weiß nur, daß der Film einfühlsam, aber durchaus mit Schärfe und Biß inszeniert ist, mit einigen burlesken Zwischentönen, aber für mein Empfinden im Grundsatz ziemlich ernst. Mit diesem Empfinden war ich bestimmt nicht allein, denn es war deutlich zu spüren, daß die erwartungsvollen Lacher im Saal mit zunehmender Dauer stark nachließen und schließlich völlig unterblieben, weil es einfach nicht sehr viel zu lachen gibt und weil fast alle sich wahrscheinlich an eigene familiäre Erfahrungen erinnert fühlen, die hier zum Teil doch ziemlich beklemmend und alltagsnahe dargestellt werden. Herzerwärmend sind lediglich ein paar wunderbare schwedische Bildimpressionen, die ich so auch schon lange nicht mehr gesehen habe, und das glänzende Kollektiv der Darsteller, die zusammen mit der Regisseurin dafür sorgen, daß die Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen gelungener Tragikomödie und platt übertriebener Klamotte stets gelingt. (15.2.)