Anonyma – Eine Frau aus Berlin von Max Färberböck. BRD, 2008. Nina Hoss, Evgeny Sidikhin, Ulrike Krumbiegel, Eva Löbau, Jördis Triebel, Irm Hermann, Roman Gribkow, August Diehl, Juliane Köhler, Sandra Hüller, Rosalie Thomass, Anne Kanis, Stefan Urzendowski, Rüdiger Vogler
April 1945 in Berlin. Die Russen kommen in die Stadt, kämpfen sich Straße für Straße vor, bis fast alles in Trümmern liegt und die Deutschen endlich kapitulieren. Die russischen Soldaten suchen nach Beute, und das sind die Frauen. Zahllose werden vergewaltigt und schlimmstenfalls getötet, es gibt kein Recht und keine Sicherheit, die Opfer sind den Männern vollkommen hilflos ausgeliefert. Eine ehemalige Journalistin, deren Identität bis heute ungeklärt geblieben ist, schreibt in diesen Monaten ein Tagebuch, das die furchtbare Zeit im Detail abbildet. Ende der 50er wurde es schon einmal veröffentlicht, damals aber entrüstet als „Schande für die deutsche Frau“ bezeichnet und alsbald aus dem Verkehr gezogen. Heutzutage, da das Prinzip der „Kriegsbeute“ längst bekannt und erforscht ist – und auch schon im Kino verarbeitet, siehe „Befreier und Befreite“ von Helke Sander - kann man sich dem Thema wertfreier nähern und auch einen großen Publikumsfilm daraus machen. Einen wichtigen Film zweifellos, nur kann man sich mit Recht mal wieder darüber streiten, ob man ihn unbedingt so machen musste oder ob es nicht doch andere Optionen gegeben hätte.
Im Zentrum steht diese unbekannte Frau, die mit anderen Frauen zusammen in einem halb zerbombten Mietshaus lebt, wie die anderen ebenfalls mehrfach missbraucht wird und sich in der Not an den russischen Offizier Andrej wendet in der Hoffnung, er könne seine Männer disziplinieren. Es entsteht eine tiefere Verbindung zwischen den beiden, die natürlich keine Zukunft hat: Die übrigen Soldaten werden misstrauisch und böse, Neid und Eifersucht kommen auf, und schließlich wird der Mann, der selbst seine Frau und damit alles im Krieg verlor, abkommandiert und Anonyma steht ihrem Mann Gerd gegenüber, der jahrelang an der Ostfront war, nicht mehr imstande ist, zu seiner Frau eine neue Beziehung aufzubauen und wie viele Männer in seiner Lage dem Schicksal seiner Frau nur mit hilfloser Verachtung begegnet, so als habe sie eine Wahl gehabt. Und auch das übersteht sie nach ihrem Credo, das Leben muss weitergehen, egal wie.
Dieser Satz ist das Motto der meisten dieser Frauen, die monatelang schrecklichste Erniedrigungen und Misshandlungen über sich ergehen lassen müssen und gleichzeitig bereits wissen, dass ihnen später, wenn sich die Verhältnisse konsolidiert haben werden, die allgemeine gesellschaftliche Ächtung so gut wie sicher ist. Dann werden sie Russenhuren sein, so wie sie nun Freiwild und Opfer jeglicher Willkür und Gewalt sind, und jener oben genannte Satz ist es, der ihnen all dies zu überleben hilft, denn sie haben fest die Zeit danach im Auge, wenn die Stadt irgendwann aufhören wird, rechtsfreier Raum zu sein, wenn sie irgendwann aufhören, Kriegsbeute zu sein. Die innere Stärke, die viele dabei entwickeln, ist unglaublich und nicht hoch genug einzuschätzen, und viele Männer haben wohl deshalb so aggressiv und abweisend reagiert, weil sie eigentlich wussten, dass sie selbst diese Stärke nie gehabt, dieses fürchterliche Trauma nicht verkraftet hätten. Es geht hier allerdings nicht darum zu werten oder gegeneinander aufzurechnen. Die russischen Soldaten sind trotz all der Untaten auch nur Menschen, die ihrerseits die Hölle erfahren haben, denn was zuvor die Deutschen in ihrem Land angerichtet haben, lässt sich kaum in Worte fassen. Eine der Frauen sagt es deutlich: Wenn die Russen uns das zurückzahlen, was wir ihnen angetan haben, dann werden wird alle in Kürze nicht mehr leben. Das darf man nicht vergessen, obwohl es natürlich zu keiner Zeit die Verbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung rechtfertigt.
Die anonyme Frau jedenfalls, wie viele ihrer Leidensgenossinnen auch, legt nach dem ersten Entsetzen, der ersten Demütigung, dem ersten Schmerz, eine Art fatalistischen und zweckgerichteten Pragmatismus an den Tag, sie versuchen mit allen mitteln, durch die Zeit zu kommen, manche setzen ihren Körper bewusst ein, andere verstecken sich, wieder andere hoffen (zumeist vergeblich), aufgrund ihres Alters verschont zu werden, und manche eben suchen nach einflussreichen Fürsprechern, die ihnen das schlimmste ersparen können. Der Film hat seine mit Abstand stärksten Momente in diesen Augenblicken und nicht in den Szenen mit Anonyma und Andrej, was umgekehrt bedeutet, dass seine zweitgrößte Schwäche eben darin liegt, dass er sich in der zweiten Hälfte zu sehr darauf konzentriert und den weiten Blick aufgibt, viele der zuvor schemenhaft vorgestellten Frauen aus den Augen verliert. Bei einer Schar solch illustrer und erstklassiger Schauspielerinnen in zum Teil schandbar kleinen Rollen (Juliane Köhler, Sandra Hüller etc) kann ich nur von unverständlicher Verschwendung reden, die auch durch eine besonders fesselnde Hauptgeschichte nicht gerechtfertigt wird, im Gegenteil. Jedem ist gleich klar, dass es zwischen den beiden Protagonisten keine Liebesgeschichte geben kann, und ich persönlich habe mich auch nicht dafür interessiert (obwohl Nina Hoss und Evgeny Sidikhin brillant sind), ich habe mich eher für die Gruppe im ganzen interessiert, für die Vielfalt der unterschiedlichen Typen und für das, was sie kollektiv weiter erleben, zumal auch das Einzelschicksal der Journalistin, einer gebildeten, selbstbewussten Frau von Welt, kaum als repräsentativ gesehen werden kann. Ich kenne das Buch leider nicht, könnte mir aber vorstellen, dass die Autorin darin den Fokus auch etwas anders gerichtet hat und mehr über ihre Mitmenschen erzählt. Auch würde mich interessieren, ob sie selbst klarer über ihre politische Position Auskunft gibt, denn die bleibt im Film bemerkenswert verschwommen. In einer raschen Rückblende sieht man sie mal zusammen mit Gerd, wie sie noch voller Zuversicht und offenbar auch Zustimmung auf den Krieg und in die Zukunft sehen, vielleicht nicht gerade begeisterte Nazis, bestimmt aber auch keine Oppositionellen, was ich nur schwer mit der Beschreibung ihrer sonstigen Person vereinbaren konnte. Das Problem taucht in dem Film durchgehend auf, trotz seiner Laufzeit von gut über zwei Stunden zu wenig Zeit wird für tiefergehende Charakterisierungen aufgewendet, zuviel Zeit geht drauf für breitwandiges, nebensächliches Geschehen.
Damit kann ich gleich zur größten Schwäche überleiten, und die betrifft einmal mehr die Form. Obgleich es viele sehr eindrucksvolle und auch bewegende Momente hier gibt und ich niemals behaupten würde, von dem Geschehen hier unberührt geblieben zu sein, gibt es doch einige Hinweise darauf, wieviel besser dieser Film hätte werden können. Das ergibt sich immer dann, wenn mal zwischendurch eine kurze Passage aus dem Buch im Off vorgetragen wird. Normalerweise ist das für mich ein absolut tödlicher Missgriff in einem Literaturfilm, diesmal aber werden die Einschränkungen des Films dadurch noch stärker angedeutet, denn dieser unglaubliche, teilweise fast brutal lakonische Ton, der bittere Humor und die ebenso bittere Sicht auf Gegenwart und Zukunft haben eine Qualität, die im Film nirgends anzutreffen ist und der Färberböck mit einer enttäuschend konventionellen, einfallslosen Bildsprache zu begegnen versucht, wie man sie in den gängigen Filmen über diese Zeit halt vorzufinden gewohnt ist. Dass man hier ein außergewöhnliches Dokument vor sich hat, das eigentlich seinesgleichen sucht, und zwar nicht nur was die Krassheit und Authentizität angeht, sondern auch in seiner schonungslosen Ehrlichkeit und Verletzlichkeit wird vom Film meiner Meinung nach nicht gebührend und adäquat gewürdigt und in eine eigene Form umgesetzt. Ein kompetent gemachtes Stück Historienkino nach außen, und das ist diesmal zu wenig. Nina Hoss ist toll, wie gesagt, und ich habe ihr gern hundertdreißig Minuten lang zugesehen, aber erstens hätte ich auch gern mehr von all den anderen gesehen, und zweitens fehlt der Produktion auf formaler Ebene der nötige Mut. Kennt man schon, finde ich aber immer wieder schade. (5.11.)