Chiko von Özgür Yildirim. BRD, 2007. Denis Moschitto, Moritz Bleibtreu, Volkan Öszan, Reyhan Sahin, Fahri Ogün Yardim, Lilay Huser, Phillipp Baltus, Hans Löw

   Irgendwo in irgendeiner Kritik stand zu lesen, dass solch ein Film hierzulande praktisch nie gemacht wird. Yo, man. Fragt sich nur, warum. Erstarren die deutschen Filmemacher noch immer in unnötiger Ehrfurcht vor den US-Vorbildern oder trauen sie sich ganz einfach nicht, einen Genrefilm im deutschen Milieu zu machen, weil sie glauben, das sehe vielleicht banal oder albern aus? Ein türkischer Typ aus Hamburg hat sich jetzt, mit Fatih Akin als Produzenten im Rücken, getraut, und siehe da, das Ergebnis ist bestens und muss sich hinter nichts und niemandem verstecken.

   Die Mär vom kleinen Chiko, der mit Gras anfängt und irgendwann das große Geschäft wittert und sich an Brownie ranschmeißt, um für ihn zu arbeiten und an das dicke Geld und damit endlich aus seinem kleinen belämmerten Umfeld zu kommen. Er steigt schnell die Leiter rauf, macht in kurzer Zeit sagenhafte Kohle, fährt ein dickes Auto, diniert im Vier Jahreszeiten, hat ne tolle Braut in ner tollen Wohnung und alles könnte easy sein. Aber er will zu hoch hinaus, und wie all seinen Kollegen zuvor wir auch ihm genau diese Maßlosigkeit zum Verhängnis, denn er gerät in Situationen, die er nicht mehr kontrollieren kann, wird mit einer Welt konfrontiert, die alles in allem eine Nummer zu groß für ihn ist. Und er sprengt seine alte Clique, die beiden Kumpel von einst können und wollen ihm nicht folgen, sie entfremden sich, die alten Bande gelten plötzlich nicht mehr. Der eine will mit dem gefährlichen Koks und der üblen Gewalt nichts zu tun haben und der andere baut zuviel Scheiße und reitet Chiko beim Boss mehrmals rein, bis der schließlich den Loyalitätsbeweis fordert und von Chiko verlangt, dass er den Bruder beseitigt. An dieser Zerreißprobe scheitert unser kleiner Cäsar schließlich, alles endet in Blut und Tod und Tränen, wie man es erwarten konnte, weil es aus solchen Geschichten keinen alternativen Ausstieg gibt.

   Kennt man alles, hat man x-mal gesehen, die Story lässt sich praktisch von Anfang bis Ende Punkt für Punkt vorauserzählen, und trotzdem finde ich es unheimlich erfrischend, dass so was mal nicht aus NYC oder LA kommt, sondern aus Hamburg mit Leuten, die man auch in seiner Stadt jeden Tag um die Ecke auf den Straßen sieht, und zwar auf Straßen, die so oder ähnlich aussehen wie die hier im Film. Das deutsch-türkische Milieu wird absolut überzeugend und in dichten, griffigen Momenten geschildert, die Sprache, die Regeln, der Umgang, die Religion, das alles zeugt von einem Autor, der weiß, wovon er spricht und der die Verhältnisse dementsprechend nicht mal besonders zugespitzt und dramatisiert zu zeigen braucht. Im Gegenteil, gerade im Miteinander der alten Freunde und ihrer Familien ergeben sich die ruhigsten, intensivsten Szenen, und so kann man gut verstehen, was Chiko aufgibt, indem er aus diesem Verbund, der für ihn die Familie ist, aussteigen und sich dem Syndikat anschließen will. Dieser Konflikt zwischen Ehrgeiz und Gier auf der einen und familiärer Verpflichtung auf der anderen ist geradezu klassisch im Gangsterfilm, und wie man sieht, funktioniert das nicht nur im italienischen Kontext perfekt, solange Personen und Geschichte authentisch rüberkommen. Und das ist hier absolut der Fall – die Schauspieler sind top, das Tempo ist hoch, die einzelnen Szenen prägnant und knapp, die Gewalt ist ziemlich krass und die Sprüche auch, und dazu wummert nonstop der Rap aus den Boxen, um uns den passenden Rhythmus zu geben.

 

   Wer das jetzt peinlich oder provinziell findet, der denkt leider genau so, und überhaupt habe ich noch nie verstanden, wieso (fast) alles von drüben bei uns widerstandslos gefressen und für hip und cool gehalten wird und sich die einheimische Filmproduktion ständig nur unter den Scheffel stellt. Total überflüssig, finde ich, denn „Chiko“ ist haargenau so gut wie ein guter US-Gangsterfilm, mit gefällt er eigentlich sogar noch besser, denn er ist einfach näher an mir dran. Aber wahrscheinlich bin ich auch nur ein dummer Provinzheini... (13.5.)