Control (#) von Anton Corbijn. England, 2007. Sam Riley, Samantha Morton, Joe Anderson, James Anthony Pearson, Harry Tredaway, Alexandra Maria Lara, Toby Kebbel, Craig Parkinson

   Auf der einen Seite ist dies ein Film mit einem konzeptionellen Problem, sofern man davon ausgeht, dass er uns den Menschen Ian Curtis näher zu bringen versucht. Er stützt sich nämlich, wenigstens zum Teil, auf das Buch seiner Witwe Debbie (die skurrilerweise gleich auch als Produzentin mit im Boot sitzt), und das hat den Titel „Touching from a distance“, womit das oben angesprochene Problem bereits umrissen wäre: Debbies Perspektive kann nicht die des Filmemachers sein, denn sie ist so beengt und einseitig, dass auf diese Weise nie und nimmer ein auch nur halbwegs vollständiges Porträt entstünde. Selbst im Film kommt klar zum Ausdruck, dass sie weder der Musik noch den Musikern noch dem Business im Ganzen besonders nahe war und weder viel Verständnis noch Insiderinformationen hatte, sondern diesen ganzen Komplex betrachtete aus der Sicht der abwechselnd besorgten und befremdeten Freundin und später Frau und Mutter, die in alldem höchstens eine Bedrohung für Ian und sich selbst gesehen haben mochte. Sie selbst hat immer nur einen Teil Ians gekannt, und ob das nun der wichtige, der größte Teil ist, mag bezweifelt werden.

   Auf der anderen Seite hatte ich selbst mit Joy Divison nie sonderlich viel zu tun, entspringen sie doch einer Zeit, die für mich musikalisch gesehen ein einziges langes schwarzes Loch war, denn ich schätze weder Punk oder New Wave im allgemeinen noch den kalten, gruftigen Düstersound dieser Band im besonderen, und erinnere mich vielmehr mit Gruseln an die gefühlt endlosen, einsamen Kellerfeten zu kalten Synthiklängen, monotonen Gesängen, und natürlich war „Love will tear us apart“ immer integraler Bestandteil dieser unangenehmen Erlebnisse (alle anderen hatten ein Mädchen, nur ich nicht, so in der Art...).

   Trotz und alledem ist dies meiner Meinung nach ein sehr bemerkenswerter Film, und wenn auch nur auf künstlerischer Ebene. Er umreißt die wenigen Jahre vom Zusammenfinden der Band Joy Division um 1977 bis zu Ian Curtis Selbstmord im Frühjahr 1980 kurz vor Erscheinen der zweiten Studio-LP der Band und der geplanten ersten US-Tournee. Wir sehen einen jungen, introvertierten, rätselhaft dunklen Mann aus Manchester mit markant dunkler Stimme und einem Hang zu dunklen Poemen, der spätestens dann in Schwierigkeiten gerät, als er sich zwischen zwei Frauen verfängt und sich nicht für die eine oder andere entscheiden kann, und als seine Epilepsie ausbricht und er, auch unter Medikamenteneinfluss, immer launischer, verletzlicher, unsteter wird. Der jähe Ruhm der Band wächst ihm über den Kopf, die Auftritte werden zur Tortur, alles wird größer und schneller als er es gewollt hatte, und so ist er zerrissen zwischen privatem und beruflichem Stress. Die private Seite – die Liebe zu Debbie und der belgischen Botschaftsmitarbeiterin Annik – nimmt naturgemäß (s.o.) einen breiten Raum ein, was ich zwar einsehe, was aber eben den Blick auf den Künstler und die Band einschränkt, und hier bleiben doch viele Fragen offen. Wir sehen ein paar sehr eindrucksvoll nachgespielte Auftritte und erleben ein paar Momente der Band backstage oder im Studio oder mit ihrem Manager, doch was gerade Curtis als Sänger und Texter umtrieb, bleibt ebenso vage wie die häufig losgetretene Diskussion um das bewusst provozierende und mehrdeutige Image der Band, die gerade am Anfang mit Vokabeln und Emblemen aus der Nazizeit operierte, was ihnen sehr viel Kritik und Unverständnis eingebracht hat und was im Film zwar angesprochen, doch nie weiter vertieft wird. Wer also hofft, dass ihm Ian Curtis hier endlich mal erklärt wird, der sieht sich wahrscheinlich enttäuscht, wer aber mit einem spannenden Charakter- und Zeitporträt zufrieden ist, dem wird der Film schon eher gefallen. Er ist (bis auf die unerträglich kuhäugige, tranige Alexandra Maria Lara) ganz toll gespielt, wobei Sam Riley und Samantha Morton deutlich im Zentrum stehen, er ist bis zum Schluss sehr dicht und intensiv und er zeugt vom einem Regisseur, der eine Vergangenheit als prominenter Rockfotograf hat, denn zumindest die Bilder dieses Films sind absolut exquisit und lohnen den Besuch auf jeden Fall. Alle Jubeljahre sieht man heutzutage mal einen Schwarzweißfilm auf großer Wand, und für mich zumindest ist dies immer ein großer Genuss, und wenn man dann mit dem Medium so gekonnt und stilvoll umgeht wie eben der Herr Corbijn (der selbst ja auch gern in Schwarzweiß fotografiert), und vor allem die Menschen so eindrucksvoll in Szene setzt, dann ist der Genuss noch einmal größer.

 

   Ein Fan der Musik werde ich jetzt nicht gerade werden, aber immerhin hat mich der Film dazu gebracht, mal wieder in diese für mich normalerweise ganz abseitige Richtung zu schauen. Gute Filme über Rockmusik sind zudem sehr rar gesät, und dies ist einer, gemacht von einem, der zwar auch keine offenen Fragen klären kann (oder will), der aber das Geschäft kennt und der vor allem in die passende künstlerische Ausdrucksform gefunden hat, und das ist in diesem Fall sehr viel wert. (14.1.)