La graine et le mulet (Couscous mit Fisch) von Abdellatif Kechiche. Frankreich, 2007. Habib Boufares, Hafsia Herzi, Faridah Benkhetache, Abdelhamid Aktouche, Bouraouïa Marzouk, Alice Houri, Cyril Favre, Leila D’Issernio, Abdelkader Djeloulli, Bruno Lochet, Olivier Loustau
Slimane arbeitet seit über dreißig Jahren auf der Werft in Sète. Er hat sich von Frau und Familie getrennt, zahlt säumig Unterhalt und lebt mit einer anderen Frau und deren Tochter Rym zusammen, fühlt sich aber nirgends so recht heimisch. Sein Boss spricht mit ihm und deutet an, dass so langsam die Lichter ausgehen, so wie überhaupt der alte Fischereihafen von Sète zunehmend an Bedeutung verliert und hauptsächlich der Tourismus und der neue Kapitalismus den Ton angeben. Slimane weiß, dass er bald auf der Straße stehen wird, also will er endlich einen alten Traum in die tat umsetzen, nämlich ein alters Schiff zum Restaurant umrüsten, um dort dann Couscous mit Fisch anzubieten. Weil er sich mit solchen Sachen nicht gut auskennt, hilft Rym ihm bei dem Formalitätenkram und den Behördengängen, und schon bald ist beiden klar, dass der Weg sehr lang und steinig sein wird, denn die amtlichen Vorschriften und Hindernisse sind so mannigfaltig, dass man fast glaubt, man sei in Deutschland, und als arabischstämmige Immigranten haben sie es auch in der zweiten oder dritten Generation nicht leicht. Doch Slimane macht sich mit seinen Söhnen an die Arbeit, bringt den alten Kahn auf Vordermann und plant schließlich einen Probelauf, ein großes Diner, zu dem er all jene einladen wird, die er von seiner Kreditwürdigkeit überzeugen muß. Der Abend verspricht ein Erfolg zu werden, bis auf einmal der große Pott mit dem Couscous verschwunden ist und alles ins Rutschen gerät.
Dies ist eigentlich nur die Rahmenhandlung, die obendrein eher elliptisch, das heißt mit etlichen größeren Zeitsprüngen umrissen wird. Seine zweieinhalb Stunden Laufzeit füllt Abdellatif Kechiche allerdings mit anderen Dingen, und darin liegt der eigentliche Reiz dieses faszinierenden, wenn auch zum Teil etwas anstrengenden Films. Zweifellos benötigt man etwas Geduld (auf jeden Fall mehr Geduld als dieses Scheißkaffeekränzchen direkt vor mir in der Reihe!), um die eine oder andere scheinbar endlos ausgedehnte Sequenz zu überstehen, doch aufs Ganze gesehen ist dies ein tolles Dokument arabischen Lebensgefühls in Südfrankreich und eigentlich seit längerem mal wieder ein Lebenszeichen aus dem Multikultiland nebenan im Westen. Kechiche spart konsequent jene Momente aus, die die Handlung im herkömmlichen Sinn vorantreiben, in denen Entscheidungen getroffen werden, er interessiert sich für den Alltag, für die Begegnungen, vor allem für das familiäre Miteinander. Slimanes ökonomische Situation ist schnell umrissen - ein paar kurze Gespräche im Werk und nachher mit Kollegen und anderen Hafenarbeitern machen uns bewusst, dass hier eine Industrie, gleichsam eine ganze Kultur dahinsiecht und überall die Gesetze des Marktes in voller Brutalität zuschlagen. Es zählt nur noch der Profit, am Menschen muß gespart werden und wer dabei überflüssig ist, fällt gnadenlos durchs Raster. Willkommen in der schönen neuen Welt. Slimane nimmt dies mit einer Mischung aus Stoizismus und Melancholie zur Kenntnis, ebenso wie auch im weiteren Verlauf der Geschichte kaum etwas geeignet scheint, sein Gemüt wirklich in Wallung zu bringen. Die zeternde Exfrau nicht, die seinen Fisch verschmäht und ihn stattdessen um Unterhalt angeht. Die meckernde Tochter nicht, die den Fisch zwar nimmt, aber riesigen Stress macht, weil sie die Enkelin ans Töpfchen gewöhnen will. Der notorisch herumvögelnde Sohn nicht und dessen Dauerkrieg mit der verbitterten russischen Ehefrau auch nicht. Und auch nicht die Haltung der Beamten und Bürokraten, mit denen er und Rym sich später herumschlagen müssen auf dem langen Weg durch die Instanzen. Als Zuschauer ist man vielleicht bemüht, gerade in diesen Szenen Spuren von Rassismus zu entdecken, doch ist das nicht Kechiches Priorität, und eigentlich ist es auch kein Thema, denn die Unerbittlichkeit der französischen Bürokratie (die ja fast so schlimm ist wie die deutsche!) macht vermutlich keine Ausnahmen, und außerdem hat es Kechiche gar nicht nötig, explizit zu argumentieren, denn den kompletten soziopolitischen Subtext haben wir sofort parat, er schwingt in jedem Bild, in jeder Szene mit, begleitet die Menschen um Film und uns praktisch auch über die gesamte Spieldauer. Ansonsten sehen wir Slimane bei der neuen Lebensgefährtin und ihrer Tochter, wir hören das Geschwätz der alten Männer draußen vor dem Café, wir hören das Geschwätz der Töchter und Schwiegertöchter Slimanes im Kreis der alten Familie, wir hören das Hickhack zwischen den Geschlechtern, das Piesacken und Necken, und wir hören all dies in voller Länge und Ausführlichkeit. Die Familie ist entscheidend, das begreift man bald, ihre Traditionen, ihre Kultur, ihre Wurzeln, ihre Sprache und die Art und Weise, wie sich alles mit der neuen französischen Heimat vermischt hat. Die Jungen sind anders drauf als die Alten, logisch, ihre Sprache ist anders, ihr Umgang, ihre Werte, doch die Wurzeln sind sehr stark. Rym mag dies besonders eindrucksvoll verkörpern: Nach außen ein moderne junge Frau und ziemlich assimiliert, und doch legt sie, als es knapp wird und Zeit um jeden Preis gewonnen werden muß, abschließend beim großen Diner auf dem Schiff einen Bauchtanz vom allerfeinsten hin und zeigt damit, dass sie die Kultur, aus der sie stammt, nicht vergessen hat und auch noch bewusst leben kann. Diese Bauchtanzszene ist einerseits extrem heiß und sexy, andererseits fällt das Finale insgesamt ein wenig auseinander. Wir sehen Slimanes Kinder, die sich nach Kräften bemühen, die zunehmend unwirschen und ungeduldigen Gäste bei Laune zu halten, bis der Couscoustopf doch noch auftaucht, wir erleben die Rivalität und das Gezicke zwischen Slimanes alter und neuer Familie, wir bewundern Ryms tollen Tanz und wir sehen Slimane, der sich auf die Suche nach dem Sohn macht (in dessen Auto nämlich der Topf spazieren fährt), dann aber vom Weg abkommt, weil ein paar Kinder sein Motorrad klauen und ihn solange hetzen, bis er schließlich zusammenbricht, vielleicht sogar stirbt. Hier entwickelt sich unvermittelt ein tragisches Drama, für das Kechiches bis dahin durchaus überzeugende Antidramaturgie leider ganz und gar nicht geeignet ist und das auch nicht so recht zum Ton des sonstigen Films passt. Ich selbst verspürte auch eine leichte Gereiztheit, drängte innerlich nach einer Auflösung der Situation. Kechiche jedoch ist nicht an einer konventionellen Auflösung interessiert, auch nicht daran, ob das Couscous doch noch ankommt oder daran, ob Slimane nun lebt oder stirbt, ob das Restaurant ein Erfolg wird oder nicht. Er ist an den Situationen drumherum interessiert, an der Familie, an ihrem Leben in der Stadt, und das sind ihm viele Szenen von bestechend starker Atmosphäre und ebenso bestechendem Realismus gelungen. Die Schauspieler sind ganz tolle Typen, die kunstlose Dogmakamera ist ihnen jederzeit dicht auf den Fersen und schert sich nicht um touristische Postkarten, sodaß wir immer mittendrin sind und ohne jede Distanz mit diesem Stück Existenz konfrontiert werden. Wie gesagt, nicht jedermanns Sache, ich finde es toll, habe mich an ein paar großartige französische Filme aus den 80ern erinnert gefühlt (von Mehdi Charef und Konsorten) und bewundere Kechiches konsequent sperrige Haltung, die allein seinem Anliegen verpflichtet ist. So gesehen einer der wichtigsten französischen Filme der letzten Jahre, und wer angesichts des deutschen Titels eine locker-flockige Familienkomödie erwartet hat, wird recht bald eines besseren (im wahrsten Sinne des Wortes) belehrt. (16.9.)