Der Baader Meinhof Komplex von Uli Edel. BRD, 2008. Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Nadja Uhl, Niels Bruno Schmidt, Stipe Erceg, Vinzenz Kiefer, Simon Licht, Jan-Josef Liefers, Hannah Herzsprung, Katharina Wackernagel, Anna Thalbach, Bruno Ganz, Thomas Thieme, Heino Ferch, Alexandra Maria Lara, Sebastian Blomberg, Tom Schilling
Letztes Jahr gab’s dreißig Jahre Stammheim, dieses Jahr wird das vierzigste Jubiläum der sogenannten 68er begangen, der thematische Dunstkreis lässt uns zur Zeit also nie ganz los, und folglich könnte dies der rechte Film zur rechten Zeit sein. Und das ist er einerseits auch, darin kann man den Marketingexperten Bernd Eichinger wiederfinden, denn der Film wird niemanden kalt lassen, er bewegt, wühlt auf, polarisiert, provoziert Widerspruch und vielleicht auch Zustimmung, und egal wie man zu ihm stehen mag, so wird er in jedem Fall Diskussionen anstoßen, und das allein ist schon kein geringer Verdienst. Stefan Aust hat zur gleichen Zeit ein erheblich umfangreicheres update seines Klassikers von 1985 vorgelegt, doch kann sich die Breitenwirkung seines Werkes bezeichnenderweise nicht mit der des Films messen. Die Absichten des Produzenten sind unmissverständlich und offensichtlich: Er wollte ein „event“ schaffen und das ist ihm gelungen.
Wenn es nun um die objektiven Qualitäten geht, so wäre vieles kritisch zu bemerken, und mit dem Abstand eines knappen Tages würde ich sagen, dass dies alles in allem kein sonderlich guter Film ist. Er ist laut, drängend, dramatisch, zweieinhalb stürmische Stunden prallen Kinos, doch wenn sich das Ohrenrauschen gelegt hat, bleiben sehr viele Fragen offen. Die erste und wichtigste richtet sich an die Konzeption. Ein wichtiges Kapitel bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte soll fürs Kinopublikum von heute aufbereitet, neunhundert Seiten Fakten und Recherche von Stefan Aust (der dem Drehbuchautor als Berater zur Seite stand) auf ein konsumierbares Häppchen eingedampft werden. Zehn Jahre, vom berüchtigten 2.Juni 1967 bis zum Mord an Hanns Martin Schleyer im ebenso berüchtigten „deutschen Herbst“ von 1977, werden im Schweinsgalopp absolviert, eine atemlose Nummernrevue aus dramatischen und gewaltsamen Ereignissen, und alles musste offensichtlich mit rein in den Topf: Ohnesorg, Dutschke, Bachmann, Kaufhausbrände, Bomben auf US-Militärbasen, Ausbildung in Jordanien, Rasterfahndung und dann natürlich Stammheim, die zweite Generation, Stockholm, Buback, Ponto und und und bis hin zu Mogadischu, den Selbstmorden und dem Schleyermord und dann ist abrupt Schluss, obwohl die Geschichte an sich ja noch lang nicht vorüber war. Eichingers Drehbuch, das meiner Meinung nach voller falscher Entscheidungen und Gewichtungen steckt, nähert sich anfänglich vor allem Ulrike Meinhof an, zeigt sie privat im Urlaub auf Sylt, im Kreis der Familie und Freunde und beschreibt dann ihre Annäherung an Ensslin, Baader und Konsorten und ihre zunehmende Radikalisierung im Lauf der Eskalation zwischen einem sehr autoritär auftretenden Staat und der aufbegehrenden Opposition. Hier gibt es durchaus ein paar gelungene, vielsagende Szenen, nur passen sie nicht in den Gesamtkontext des Films, der es später immer eiliger hat und immer flüchtiger wird und den Anspruch eines ernsthaften Psychogramms nicht mehr einzulösen vermag. Viele Episoden hätten im Nachhinein zugunsten ausführlicherer, differenzierterer Darstellungen unbedingt weggelassen werden müssen: Das völlig belanglose Geplänkel in Rom, das Dutschkeattentat, die groteske Farce vom Ausbildungslager bei den Palästinensern, die vielleicht zeigt, wie selbstgefällig und überheblich Baader und Ensslin waren, die sich aber im Ganzen zu lang hinzieht und wertvolle Zeit verbraucht. Die wäre an anderer Stelle vonnöten gewesen: Für eine sorgfältigere Einordnung der Entstehung der Protestbewegung. Für eine sorgfältigere Darstellung dieser Bewegung zur RAF. Für eine sorgfältigere Darstellung der gegenseitigen Eskalation, denn es kann natürlich nicht verschwiegen werden, dass im Zuge der Terrorbekämpfung auch von Staatsseite her beträchtliche Gewalt und Willkür ausgeübt wurden. Für eine sorgfältigere Darstellung des Lebens im Untergrund. Für eine ausführlichere Darstellung der gesamten Zeit in Stammheim, immerhin rein quantitativ der größte Teil der Baader-Meinhof-Geschichte und natürlich interessant im Hinblick auf ihre Entwicklung als einzelne und in der Gruppe. Und so weiter. Wie gesagt, ein bemerkenswert schwaches Drehbuch, nicht Fisch nicht Fleisch, von allem ein bisschen und damit nichts richtiges.
Eichinger wollte möglichst viele Fakten zusammenraffen und in die kurze Zeit hineinpacken, doch Fakten an sich machen noch keinen engagierten oder aufschlussreichen Film. Zumal er sich um jede persönliche Stellungnahme drückt, was mir ebenfalls sehr missfallen hat, aber natürlich war das zu erwarten von einem hauptsächlich an Hollywood geschulten Produzenten, der gelernt hat, dass so was Gift ist für die Kassen, weil sich ja das Publikum sonst bevormundet fühlen könnte. Merkwürdigerweise wird ihm hierzulande nun häufig vorgeworfen, er habe die RAF idealisieren und zu Ikonen stilisieren wollen, doch dem tritt er entgegen zum einen durch die betont neutrale, unspezifische Erzählhaltung eines neugierigen, sensationshungrigen, aber letztlich unbeteiligten Chronisten und zum anderen durch die reichlich explizite Gewaltdarstellung, die die Terroranschläge von ihrer blutigen, scheußlichen Seite zeigt und ganz bestimmt nicht zur Heroisierung einlädt. Die Terroristen in diesen Film, das mag man ihm zugute halten, haben ganz und gar nichts romantisches und cooles an sich, es sind verstörte oder verzweifelte Fanatiker in der zweiten Generation, und in der ersten ein Gemisch aus intellektuellem und bis zuletzt nicht völlig kompatiblem Widerstand (Meinhof) und Radikalschick mit aggressiven Posen und erschreckender Gewaltbereitschaft (Baader), während Ensslin die Machoattitüde ihres Freundes durch hohle Revoluzzerparolen zu untermauern versucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich heute irgendein Zuschauer mit diesen Figuren identifizieren kann, und so gesehen ist mir die Empörung einiger Teilnehmer an Diskussionsrunden, die man im Vorfeld überall sehen konnte, total unverständlich. Auch kann man einem Film mit diesem Titel kaum vorwerfen, er verharre in der Täterperspektive und vernachlässige die Opfer, denn logischerweise geht es um die Täter, um ihre Aktionen und Motivationen, und ehrlich gesagt halte ich ihre Perspektive in diesem Fall auch für die relevante.
Uli Edel als Spielleiter gibt dem ganzen einen modernen Look, inszeniert wirkungsvoll und auf Effekt, und ordnet insgesamt natürlich hinter Eichinger in die ihm gebührende zweite Reihe ein. Eine bis in die kleinste Nebenrolle prominente Schauspielercrew gibt ihr Bestes und sorgt für starke Momente, und die drei oder vier Hauptdarsteller sind zweifellos hervorragend und treten ganz hinter ihre Rolle zurück, was ich besonders im Fall Bleibtreus sehr beachtlich finde. Mich hat während des Zuschauens bewegt, wie sehr gewisse Namen und Bilder mit meiner eigenen Biographie verbunden sind, wie viel hängen geblieben ist, obwohl ich gerade mal acht bis dreizehn Jahre alt war und die Ereignisse kaum bewusst verfolgt und verarbeitet habe. Dennoch gehören Fahndungsfotos, Plakate, Nachrichten von Mordanschlägen und Entführungen usw. zum Kanon der 70er Jahre und haben sie zumindest in meiner Erinnerung zum Teil mit geprägt. Der Film rührt vieles davon wieder an die Oberfläche, und das wird sicherlich nicht nur mir so gehen. Über seine spezifische Qualität hingegen ist damit nichts gesagt, denn die hat mich wie schon gesagt im Großen und Ganzen nicht überzeugt. Ein zwar optisch und schauspielerisch eindrucksvolles, inhaltlich aber oberflächliches und zu unentschiedenes Werk, das weder dem Buch von Aust gerecht wird noch dem Anspruch, etwas endgültiges zum Thema RAF zu sagen. (25.9.)