Die Anruferin von Felix Randau. BRD, 2007. Valerie Koch, Esther Schweins, Franziska Ponitz, Ivan Shvedoff

   Irm arbeitet im Waschsalon, pflegt zuhause ihre schwer alkoholkranke Mutter, und außerdem lebt sie nicht viel. Nur am Telefon wird sie ein anderer Mensch, da gibt sie sich mit hoher Kieksstimme als kleines Mädchen aus und führt bizarre Gespräche mit Frauen, denen sie auch schon mal grausame Streiche spielt, sie auf den Friedhof lockt, weil angeblich jemand aus der Familie gestorben ist oder dergleichen. Manchmal lässt Irm selbst die Kleine auch sterben, ganz mitleidlos an Leukämie. Erst die Bekanntschaft mit Sina, die ihren Mann durch einen Unfall verlor und eigentlich auch nur ein neue Opfer von Irms Telefonspiel werden sollte, bringt die Dinge ins Rollen, und am Schluss sieht es so aus, als könnte sich zwischen den beiden Frauen eine Freundschaft entwickeln und Irm den Weg in die Realität finden.

   Klingt nach „Kleines Fernsehspiel“, ist es sogar auch, aber erstens kenne ich viele gute aus der Serie und zweitens ist dies ein besonders gutes, auch wenn ich mich zwischendurch mal fragte, ob ich das wirklich im Kino hätte sehen müssen, denn man sieht schon, dass die Bilder nicht gerade für die große Leinwand konzipiert sind. Andererseits passen sie sich gut dem äußerst intimen, engen Rahmen an, den die Story vorgibt und der sowieso keine brüllenden Breitwandeffekte vertragen hätte. Intimität ist das zentrale Stichwort hier, von dieser Seite nähern sich Regisseur und Autorin Vera Kissel den wenigen Personen an, wobei der unstete Blickwinkel wiederum ganz von Irms Wahrnehmung bestimmt wird. Eine hermetische, schizophrene Welt, in der Irm fluchtartig in die Rolle des kleinen Mädchens schlüpft, um Versäumtes noch zu erleben und um sich vielleicht die mütterliche Zuneigung am Telefon zu holen, die ihre eigene Mutter ihr nicht geben konnte und nun auch nicht mehr geben kann, nun da sie dement und sprach- und hilflos im Bett liegt und sich gelegentlich von der Nachbarin mit Alkohol versorgen lässt. In Gesprächen mit Sina deutet Irm einiges an: Die bevorzugte und deshalb verhasste Schwester, die dann an Leukämie starb, die Einsamkeit, die Gebundenheit an die Mutter, für die sie sich trotz aller Abneigung doch verantwortlich fühlt. Ein irritierend komplexer, beunruhigender Charakter, den Valerie Koch brillant erfasst hat und der sich in seinen Facetten so spannend entfaltet, dass der Film voll und ganz auf äußere Sensationen verzichten kann. Sie wirkt hart, berechnend, gemein und fast grausam, dann in kurzen Momenten verletzlich, einsam und fast zärtlich, und bis zuletzt bewahrt sie sich ihr Geheimnis und offenbart sich nicht vollständig. Auch wie es für sie weitergehen wird, bleibt trotz des optimistischen Endes relativ offen, doch das gehört zum Spiel, das der film mit den Erwartungen des Zuschauers spielt. Mancher mag vom unspektakulären Finale enttäuscht sein, auch ich dachte erst, dass die Dramaturgie nach vielversprechendem Beginn in der zweiten Hälfte etwas durchhängt, doch im Grunde sind unsere Sehgewohnheiten so sehr von den üblichen Hollywoodeskalationen geprägt, dass wir selbstverständlich etwas in dieser Art erwarten und zunächst nicht gern akzeptieren, dass ein Film auch mal wieder andere Wege geht. In stillen, intensiven Szenen wird Irms Leben zwischen den Welten vorgestellt, zwischen Arbeits- und Pflegealltag und ihren Telefoneskapaden, die Balance ist überaus delikat, droht jederzeit zu kippen, und wie gesagt ist es auch am Schluss nicht sicher, dass es nicht doch noch dazu kommen kann.

 

   Ein fein gesponnenes, subtiles Psychodrama, das man in dieser form leider nur selten sieht, und gerade dafür ist das Fernsehspielformat immer gut gewesen. Wem das nicht gefällt – der nächste Hollywoodschinken läuft gleich um die Ecke! (20.3.)