Die Welle von Dennis Gansel. BRD, 2007. Jürgen Vogel, Max Riemelt, Frederick Lau, Jennifer Ulrich, Elyas M’Barek, Cristina do Rego, Jacob Matschenz, Maximilian Vollmar, Christiane Paul

   Immer noch ist das Buch aus den frühen Achtzigern Lesestoff an deutschen Gymnasien, und es ist ungeachtet seiner umstrittenen Qualitäten ganz offensichtlich, weshalb. Die Verführungskraft der Gemeinschaft, der Ideale von Stärke, Zusammenhalt, Identifikation und Emblemen ist heute sicherlich kein bisschen geringer als vor zwanzig oder vierzig Jahren, als in den USA das ausschlaggebende Experiment durchgeführt wurde. Den Fernsehfilm von 1981 kenne ich nicht, an das Buch habe ich aus meiner Schulzeit nur noch unvollkommene Erinnerungen, aber das ist auch relativ egal, denn die Stärken und Schwächen dieser Neuverfilmung liegen ziemlich klar auf der Hand.

 

   Gansel und seinem Autor Peter Thorwarth (der ja bisher eigentlich nur Klamauk gemacht hat) war offenbar daran gelegen, die Botschaft des Experiments so plakativ und deutlich wie möglich herüberzubringen, wahrscheinlich um die zentrale Zielgruppe bewusst anzusprechen. Also sehen wir coole Stakkatoschnitte, erleben knalliges Drama, wo ursprünglich keines war, vor allem am Schluß, der anders als in der Geschichte zur blutige Tragödie eskaliert, hören zeitgemäß dröhnende Musik und sehen einen allzu bewusst gewählten Querschnitt sozialer Stereotypen, damit sich auch jeder im Publikum angesprochen fühlt. Meine Mitstreiter und ich, allesamt saturierte Vierziger mit entsprechender Distanz zu den Kids, empfanden dies weitgehend als zu platt und gewollt, und zweifellos ist dies nicht gerade ein Musterbeispiel für einen differenzierten, ausgewogenen Film. Kommt eben darauf an, wer ihn sieht: Erwachsene, oder solche, die sich dafür halten, werden zu recht bemängeln, hier werde vor faschistoiden, totalitären Mechanismen gewarnt unter Zuhilfenahme einer Ästhetik, die sich selbst reichlich manipulativ und vereinfacht darstellt, und einiges der erwünschten Wirkung verpuffe in Klischees und dramaturgischen Plattitüden. Stimmt schon – irgendwie. Andererseits ist dies ein Film, der auf jeden Fall zu ergiebigen Diskussion anregen könnte und sich allein deswegen deutlich abhebt vom sinnfreien kommerziellen Einerlei, das sonst auf die Kids niedergelassen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Leute mit einzelnen Personen hier identifizieren können und dass ihnen das Thema, die Grundproblematik wirkungsvoll nahe gebracht wird. Der Sog der Gruppe, eine Mischung aus Manipulation, druck, Identifikation und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Halt wird hier bildstark verdeutlicht, ebenso wie die fatalen Konsequenzen einer allseits vernetzten Gesellschaft, in der auch geistiger Unrat per Handyklick sekundenschnell in alle Richtungen verteilt werden kann, in er praktisch jeder unbegrenzten Zugriff auf jedwede Medien hat, egal wie sie dann eingesetzt werden. Der Pädagoge Wenger gibt zusätzlich reichlich Stoff für Kontroversen – wie weit darf ein solches Experiment gehen, um noch den gewünschten Effekt zu erzielen, wann gerät es außer Kontrolle, wann hätte er einschreiten, steuern, umlenken müssen, oder konnte er das selbst schon gar nicht mehr, weil ihn die Welle genau so mitgerissen hat wie die Schülerinnen und Schüler. Was für ihn eher als ein Spiel, eine spontane Improvisation und Provokation beginnt, nimmt rasch bedrohlich systematische und epidemische Züge an, erfasst Schüler anderer Kurse und reißt auch diejenigen mit, die sich sonst gern als kritische und kecke Geister geben. Nur ganz wenige widerstehen der Welle und leisten gar aktiven Widerstand (die „Weiße Rose“ lässt hier allzu deutlich grüßen), und als die Entwicklung tatsächlich ins Gewalttätige kippt, und die Feindseligkeiten zwischen Anhängern und Gegnern der Welle anlässlich ein Wasserballspiels auszuufern drohen, ist Wenger bereit, die Notbremse zu ziehen, doch indem er anderntags den konsternierten Schülern eröffnet, das Experiment sei nun vorbei, verkennt er vollkommen, was er selbst losgetreten und wie sehr sich seine ursprünglich aufklärerisch gemeinte Idee verselbständigt hat. Und auch ohne die finale Schießerei hätten wir gut verstanden, dass sich nicht nur ein Prozess gegen den Auslöser gewendet hat, sondern dass der Pädagoge als solcher fatal versagt hat, weil er die Begeisterung der Kids nicht vorhersehen konnte und sich selbst zu lange hat mitreißen lassen. Jürgen Vogel wirft sein unwiderstehliches Charisma in die Waagschale und spielt den Lehrer Wenger ganz prima, ebenso wie die Schüler auch wirklich gut und überzeugend sind, und vor allem die Szenen, in denen der Lehrer schrittweise die Strukturen einer autoritären, diktatorischen Ordnung etabliert und selbst überrascht ist, wie leicht das geht und wie einfach der Widerspruch der meisten beiseite gewischt werden kann, sind ebenso spannend wie erhellend. Hier macht der Film ein paar wichtige Punkte, und hierin liegt auch sein Potential, das ihn noch immer relevant und aktuell machen könnte. Anderes ist wie gesagt etwas im Weg, ein ziemlicher dramaturgischer Hänger in der Mitte mit zuviel Fete und Privatkram auch, aber das sind eben Mäkeleien von uns gereiften Oldies, denen so was ja nie passiert wäre. Die sogenannte Jugend von heute hat eine andere Basis der Auseinandersetzung und vielleicht ist es dem Film gegenüber fairer, ihn aus dieser Perspektive zu beurteilen. (23.4.)