Für den unbekannten Hund von Dominik und Benjamin Reding. BRD, 2007. Lukas Steltner, Sascha Reimann, Zarah Löwenthal, Gunnar Melchers, Hedi Kriegeskotte, Fiona Piekarek, Josef Heynert

   Seit „Oi! Warning“ sind gut sieben Jahre ins Land gegangen, doch die besondere Filmsprache der Redings ist eigentlich sofort wieder erkennbar, und das ist mindestens ebenso bemerkenswert wie die Einsicht, wie weit diese beiden eigentlich aus jeder Kategorie im aktuellen deutschen Film herausfallen, der ja auch wahrlich nicht mehr so uniform und bieder ist wie noch vor zwanzig Jahren. Die Vorliebe für Subkulturen, Parallelgesellschaften, die Vorliebe für frische, neue Darsteller, die Entschlossenheit, jedes opportune Stilmittel einzusetzen, wenn es denn nötig ist und nicht auf so was Langweiliges wie Einheitlichkeit zu achten, und auch die Entschlossenheit, bestimmt kein schickes, hippes Postkartendeutschland zeigen zu wollen, sondern die Schauplätze in jeder Beziehung dem Personal anzupassen. Alles drin in diesem neuen Film, der so manchen braven Konsumenten mit Sicherheit aus dem Saal treiben wird und der bezeichnenderweise auch in unserer kleinen Stadt nur für kürzeste Zeit ganz verschämt im Programm versteckt lief.

   Die Story geht grob erzählt so: Bastian und sein Kumpel machen an einer nächtlichen Tanke kurz vor Wismar Stress, ein komischer Penner kommt ihnen in die Quere, wird totgemacht, was aber niemand mitkriegt, denn alles explodiert und Bastian ist schon kurz danach wieder aus dem Knast. Sein Kumpel droht, ihn auffliegen zu lassen, doch bevor der Ärger losgeht, gerät Bastian sehr unfreiwillig an ein paar merkwürdige Wandergesellen in zünftiger Kluft, und aus spontaner Begeisterung bittet er, immerhin gelernter Betonbauer, darum, ein paar Wochen sozusagen auf Probe mitwandern zu dürfen. Er gerät an den schrägen Festus, wandert mit ihm gen Hamburg, lernt Land und Leute mal ganz anders kennen und erfährt, dass der Penner, den er an der Tanke getötet hat, just Festus’ allerbester Freund Schmiege war. Und weil er im Innern doch kein übler Kerl ist, nagt das Schuldgefühl so heftig an ihm, dass er sich letztlich zu seiner Tat bekennt, und am Schluss sieht man ihn allein im Regen wandern, offenbar entschlossen, seine drei Jahre Gesellenzeit vollzumachen.

 

   Wie gesagt, mehr als eine grobe Zusammenfassung kann das nicht sein, denn eine saubere Chronologie ist hier ebenso wenig anzutreffen wie eine berechenbare, wohltemperierte Erzählung. Im Gegenteil, das Temperament schlägt wild aus, geht immer wieder durch mit Farbe, Licht, Bild und Ton, plötzlich stürzen wir in einen rissigen Schwarzweißflashback oder baden in einem sprühenden Lichterregen, werden von dröhnender Musik unterschiedlichster Richtung bombardiert oder taumeln mitten in eine Runde skurrilster Gestalten zwischen Ost und West, rechtslastige Gothics, kernige Herrschaften der Zunft, grimmige Biker oder sexhungrige Schickis von der Elbchaussee. Die Settings sind häufig stark stilisiert, wirken surreal, psychedelisch, wie unter halluzinogenem Einfluss wahrgenommen, manches könnte ein Fiebertraum sein, anderes wieder eher ein Alptraum, und ständig geht die Reise weiter. Es finden sich Motive des klassischen Roadmovies, der Suche nach dem wahren Ich, nach Menschen und Erfahrungen, und davon macht Bastian schließlich eine ganze Menge, nur sind es sämtlich solche, die seinen bisherigen, arg beschränkten Horizont weit übersteigen. Er lernt die eigentümlichen, archaischen Regeln und Werte der Wandersmänner kennen, hört ihre Sprache, die durchsetzt ist von ganz eigenen, alten Vokabeln aus verschiedenen Sprachen, lernt ganz einfach, in anderen Dimensionen zu denken. Die Redings haben offenbar das Milieu ziemlich gut recherchiert und mischen diese Fakten unter ihre Geschichte, die trotz wüster Auswüchse immer irgendwie in sich glaubwürdig und zwingend wirkt. Die Schauspieler sind toll, geben sich mit vollem Einsatz in dieses Projekt, Bilder wie hier findet man wie gesagt nicht allzu häufig in einem deutschen Film und der leidenschaftliche, kompromisslos eigene Stil der Redings ist faszinierend, egal ob man nun jede einzelne Szene nachvollziehen kann. Mir persönlich sind Milieu und Menschen hier ähnlich fremd wie in „Oi! Warning“, weshalb ich auch nicht behaupten kann, dass ich mich mit irgend jemandem identifiziert habe, aber wie die beiden ihre Filme machen, das ist nicht nur aller Achtung wert, das ist auch wirklich klasse und lässt mich hoffen, dass sie weiterhin ihre sperrigen, unangepassten Projekte realisieren können, auch wenn es wieder ein paar Jahre dauert. (26.2.)