Friedliche Zeiten von Neele Leana Vollmar. BRD, 2008. Katharina Schubert, Oliver Stokowski, Nina Monka, Leonie Brill, Tamino Wecker, Axel Prahl

   Nochmal ein Stück deutsche Geschichte, das ziemlich genau zwischen die Currywurst und die RAF passt, zeitlich allerdings nahe an letztgenannter liegt. Man schreibt das Jahr 1968, allerdings ist von Revolte und Aufbruch in den fernen Metropolen nichts zu spüren in der südlichen Provinz an der Donau. Dort lebt seit sieben Jahren die fünfköpfige Familie Striesow, die ’61 gerade noch vor dem Mauerbau rübergemacht hat und jetzt kurz vor dem Umzug ins eigene Reihenhaus in der Neubausiedlung steht. Aber es gibt große Probleme, besonders zwischen den Eltern. Er wollte unbedingt rüber, sie wollte eigentlich gar nicht, er ist lebensfroh und unternehmungslustig, sie ist gerade das genauer Gegenteil: Am liebsten würde sie ihre Familie in die Wohnung sperren und die Kette vorlegen. Ihre Paranoia nimmt zum Teil bedrohliche Ausmaße ab, zum Beispiel wenn sie Auto fährt oder mit Tabletten hantiert, und als die Russen dann dem Prager Frühling ein blutiges Ende machen, sieht sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, denn ständig wartet sie auf den Dritten Weltkrieg und nun ist sie Zeit scheinbar gekommen. Ihrem Mann, der gern auch mal ein Bierchen trinken geht mit dem Kollegen und der gern auch mal der Kollegin einen forschen Blick zuwirft, macht sie mit Eifersucht und Quengelei das Leben schwer, doch leider bekommt sie auch hier recht, denn eines Tages gesteht er ihr, tatsächlich eine Affäre gehabt zu haben und zieht kurz darauf zum Onkel, und die ganze Zukunft hängt in der Schwebe, erst recht als die Mutter weitere Indizien für seine Untreue findet. Die beiden Töchter, die eine Scheidung gewollt hatten um das Leben der Mutter zu retten und deshalb die verdächtigen Kinokarten selbst in Papas Jackentasche platziert hatten, erkennen plötzlich, was auf dem Spiel steht und gestehen ihre Intrige. Und nach ihrem ersten Besuch im Osten nach der Flucht (anlässlich der Beerdigung ihrer Mutter) weiß auch Mama das Leben im Westen ganz neu zu schätzen.

 

   Wie man sieht, hätte die Geschichte zwischendurch auch ganz leicht die Wendung ins Tragische nehmen können, und tatsächlich balanciert der Film streckenweise sehr geschickt und gekonnt auf einem schmalen Grat. Die westdeutsche Kleinstadtspießeridylle jener Zeit, die von den Ereignissen in Berlin, Frankfurt oder Hamburg Lichtjahre entfernt zu sein, geradezu auf einem ganz anderen Planeten stattzufinden scheint, hat von Anfang an einen unguten Beigeschmack. Erzählt wird aus der Sicht der Kinder, genauer der zweitältesten Tochter, der pragmatischen, die nicht ganz so hübsch ist wie die Schwester, dafür aber insgesamt etwas robuster. Auch dies wird äußerst wirkungsvoll verwendet, um den Geschehnissen eine ganz besondere Note zu geben, die nichts mit Verharmlosung oder Verklärung zu tun hat, sondern sehr authentisch wie ein Stück Kindheitserinnerung aussieht und einen ganz speziellen Blick auf das Handeln und Denken der Erwachsenen wirft. Mama ist die Labile, Papa der Stabile, dennoch ist Mama natürlich näher, und die Töchter fühlen sich täglich zu Rettungsversuchen aufgerufen, haben ihren Alltag genau aufgeteilt und können jedes Geräusch zuordnen, um sofort zu erkennen, wenn etwas von der Routine abweicht. Es gibt gerade hier im Familienkosmos viele höchst realistische und wahrscheinlich von fast jedermann wieder erkennbare Momente, weshalb mir diese Szenen auch die liebsten sind, teilweise warmherzig und komisch, oft aber auch beklemmend und traurig. Als Familie aus dem Osten ist man in dieser Zeit sowieso nicht gut angesehen, die Mädchen in der Schule werden ständig als Russen oder Kommunisten verhöhnt und die dünkelhaften Nachbarinnen brauchen geschlagene sieben Jahre, bis sie Mama endlich in ihren erlauchten Kaffeetantenzirkel aufnehmen wollen. Einzig Paps schient keine Anpassungsprobleme zu haben, doch erfahren wir später, dass auch er einen Preis für die Assimilation bezahlt hat. Die vielen Ängste der Mutter und ihre Auswirkungen auf die Kinder (die manchmal durchaus auch schon drüber stehen können) changieren ebenfalls ständig zwischen Ernst und Komik, und ich persönlich (weil ich so ein Scheißpessimist bin) hätte mir ein etwas weniger idyllisches Finale gewünscht, aber vielleicht ist der Roman auch so und man sieht’s ja allgemein gern, wenn alles gut wird. Auch dies also ein kompetent gestaltetes Stück Periodenkino, liebevoll und zart ironisch im Detail, schön gespielt, wie bei der Currywurst auch etwas zu brav inszeniert, aber ich finde schon, dass man sich als jemand, der selbst in den 60ern mit dem Leben angefangen hat, durchaus in vielem wiederfinden kann. Und vielleicht kommt ja bald mal ein Film aus dieser Schublade, der es nicht ganz so mit der finalen Harmonie hat. (7.10.)